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  • DVD

Produktdetails
  • Hersteller: Afred Hitchcock
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • EAN: 4013659004981
  • Artikelnr.: 38072352
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2024

Tödliche Theorien

Zwei Studenten wollen den perfekten Mord begehen - dafür bediente sich Hitchcock einer realen Vorlage.

Die Idee klingt, als könnte sie nur von Alfred Hitchcock stammen: Zwei junge Männer planen den perfekten Mord. Als Opfer wählen sie einen Kommilitonen, verstecken die Leiche in einer großen Truhe und richten darauf einen Imbiss für eine Party aus, zu der sie ausschließlich Menschen laden, die mit dem Ermordeten in Beziehung standen. Die ganze Inszenierung dient jedoch vor allem ihrem Professor, der sie mit den Theorien Friedrich Nietzsches vertraut machte und die Thesen vom Übermenschen und dessen Privilegien etwas zu enthusiastisch mit ihnen diskutierte.

Einige der perfiden Details im Film "Cocktail für eine Leiche" sind tatsächlich erst dem Hirn des britischen Regisseurs entsprungen, der Fall an sich aber war real. Vor ziemlich genau hundert Jahren brachten die beiden Studenten Nathan Leopold und Richard Loeb einen vierzehn Jahre alten Nachbarsjungen um. Aufgewachsen in wohlhabenden jüdischen Familien im Süden von Chicago taten sich Leopold und Loeb als äußerst intelligente Schüler hervor, die Klassen übersprangen und Sprachen schnell lernten. Besonders Leopold entwickelte nach der Lektüre von Nietzsches Büchern den Drang, die Übermensch-Theorie in der Praxis zu testen. Nach ersten gemeinsamen kleineren Diebstählen und Einbrüchen mussten die beiden feststellen, dass sich weder die Medien noch die Polizei für ihre Taten interessierten. Mit einem "perfekten Verbrechen" wollten sie das ändern. Sieben Monate schmiedeten sie an dem Plan zur Entführung und Ermordung eines Jungen und setzten ihn dann 1924 in die Tat um. Nicht nur Krimileser wissen, dass es "perfekte Verbrechen" nicht gibt - die Chicagoer Polizei fand schon bald Indizien, die sie auf die Spur der beiden jungen Männer brachte. Bei der Befragung gestanden die Studenten, wobei Leopold noch einmal seine Übermenschen-Theorien als Motiv für den Mord vorbrachte. Die Gerichtsverhandlung nannten die Zeitungen "den Prozess des Jahrhunderts".

Als Hitchcock sich 1948 des Stoffes annahm, gab es bereits ein Theaterstück und davon einen Fernsehmitschnitt, den die BBC 1939 ausgestrahlt hatte. Der Regisseur bediente sich der Dialoge des Stücks und verfiel darauf, den Film als Kammerspiel ohne Schnitte zu inszenieren. Eine Idee, die er später im Interview mit François Truffaut als "idiotisch" bezeichnete, da er seinen eigenen Grundsätzen der Montagetechnik untreu wurde. Statt also nachträglich das Material schneiden zu können, drehte er jeweils so lange, wie es eine Filmrolle damals hergab (also rund zehn Minuten am Stück), und versuchte dabei, durch Kamerabewegungen und Schauspielerpositionierung im Bildraum "die Proportionen der Bilder zu verändern im Verhältnis zur emotionellen Wichtigkeit der einzelnen Momente".

Es ist nicht nur dieses technische Experiment, das "Cocktail für eine Leiche" noch heute sehenswert macht. Vor allem James Stewart, der den Philosophieprofessor mit den gefährlichen Ideen spielt, hält den Film zusammen. Im scharf geschnittenen grauen Dreiteiler bringt er der Partygesellschaft seine Theorien von lebenswertem und nicht lebenswertem Leben nahe. Mord sei durchaus zu rechtfertigen, sofern es den Richtigen treffe, erklärt Stewart einer Matrone: "Denken Sie nur an all die Probleme, die das lösen könnte: Arbeitslosigkeit, Armut, das Anstehen für Theaterkarten." Die Partygäste lachen belustigt, nur ein Buchhändler nimmt keinen Anteil am Spaß. Es ist dieser Bruch, der den Film zum philosophischen Lehrstück macht.

Denn in dieser Szene ist Hitchcock am Kern seines moralischen Dilemmas angelangt, das er wie stets subtil über Blicke, die die Kameraführung einfängt, aufbaut. Während Stewart immer haarsträubendere Beispiele fürs fröhliche Morden als Kunst in feiner Gesellschaft von sich gibt, schwenkt die Kamera auf das Gesicht des Buchhändlers. Den Teller hat er beiseitegeschoben, den anderen Gästen kehrt er den Rücken und lässt seinen Blick sinnierend durch die große Fensterfront über die Stadtsilhouette schweifen. Stewarts Worte nimmt er noch wahr, das zeigt das langsame Versteifen seiner Rückenmuskeln. Das Bild sagt: Dieser Mann muss sich zusammenreißen, um die gesellschaftliche Etikette zu wahren. Als er sich wieder zu ihnen umdreht, fragt er indigniert, wer denn nach dieser Theorie das Recht habe, darüber zu entscheiden, wer leben und wer sterben müsse - und spricht so indirekt die Verbrechen des Holocausts an. Der Zweite Weltkrieg war bei Erscheinen des Films erst drei Jahre vorbei. Dass die Übermenschen-Theorien nicht nur zwei Studenten als Rechtfertigung zum Mord gedient hatten, muss für jeden Kinogänger präsent gewesen sein.

James Stewart obliegt es, das moralische Gewissen zu spielen. Sein Gesicht wird zur Maske des Entsetzens, als er viel zu spät begreift, dass sein intellektueller Spaß bei seinen Schülern fatale Schlussfolgerungen nach sich zog. MARIA WIESNER

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