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4000 Mark für zwei Wochen: Leicht verdientes Geld und ein netter Spaß noch dazu, denken die 20 Freiwilligen, die sich auf das von einer Universität ausgeschriebene Experiment einlassen. Um die Erforschung des Aggressionsverhaltens in einer künstlichen Gefängnissituation soll es gehen. Zunächst halten die Beteiligten, die per Zufallsprinzip in Gefangene und Wärter eingeteilt werden, das Ganze für ein Spiel. Doch schon bald setzt sich eine Spirale der Gewalt in Gang, und als der verantwortliche Professor für kurze Zeit nicht erreichbar ist, eskalieren die Ereignisse. Aus dem harmlosen Spiel wird ein erbitterter Kampf auf Leben und Tod.…mehr

Produktbeschreibung
4000 Mark für zwei Wochen: Leicht verdientes Geld und ein netter Spaß noch dazu, denken die 20 Freiwilligen, die sich auf das von einer Universität ausgeschriebene Experiment einlassen. Um die Erforschung des Aggressionsverhaltens in einer künstlichen Gefängnissituation soll es gehen. Zunächst halten die Beteiligten, die per Zufallsprinzip in Gefangene und Wärter eingeteilt werden, das Ganze für ein Spiel. Doch schon bald setzt sich eine Spirale der Gewalt in Gang, und als der verantwortliche Professor für kurze Zeit nicht erreichbar ist, eskalieren die Ereignisse. Aus dem harmlosen Spiel wird ein erbitterter Kampf auf Leben und Tod.
Autorenporträt
Mario Giordano, geb. 1963, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Hörspiele, Kinder- und Drehbücher. Zahlreiche Preise, Stipendien und Auszeichnungen (u. a. Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis). Der Autor lebt und arbeitet in Hamburg.

Christian Berkel, bekannt aus Der Untergang und Die Affäre Semmeling, spielt den Gefühlsmenschen ebenso überzeugend wie zwielichtige Charaktere. Als Hörbuchsprecher (Imperium, Der Afghane u.a.) setzt er jede Textvorlage virtuos um.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2001

Wenn der Mensch des Menschen Ratte ist
Forscherblick oder forscher Blick: In Oliver Hirschbiegels Kinodebüt machen Freiwillige im Laborknast "Das Experiment"

Bekannt klingen die Worte, vertraut scheint dieses Menschenbild, doch von der Erforschung des Genoms ist hier nicht die Rede: "Für alles, was jetzt geschieht, gibt es weltweit keine vergleichbaren Daten." Der Wissenschaftler Thon greift zum Totschlagargument, damit die Informationen, die seine Probanden ihm liefern, nicht versiegen und das Projekt nicht abgebrochen wird. Ein kleiner weißer Fleck auf der Landkarte des Wissens könnte schließlich bald schon ausgefüllt sein.

Den Preis, der hierfür zu entrichten ist, halten zwei andere reinweiße Flecken umschlossen, des Probanden Tarek angstvoll im Dunkeln flackernde Augen. Das Experiment, an dem der Taxifahrer und Gelegenheitsjournalist Tarek teilnimmt, findet im Untergeschoß einer Universität statt. Dort ließ Professor Thon, der Leiter des psychologischen Instituts, einen Gefängnistrakt für ein Dutzend Sträflinge und acht Strafvollzugsbeamte nachbauen.

Der deutsche Hochschullehrer ist ein Wiedergänger des amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo. Dieser führte 1971 an der Stanford-Universität jenen Versuch durch, der dem bemerkenswerten Kinodebüt "Das Experiment" des dreifachen Grimme-Preisträgers Oliver Hirschbiegel zugrunde liegt. Zimbardos Versuchsobjekte, nach dem Zufallsprinzip in Wärter und Gefangene eingeteilte junge Männer, waren nach sieben Tagen derart massiv in ihrer Persönlichkeit gestört, daß das Projekt abgebrochen werden mußte. Noch pessimistischer ist Hirschbiegel: Schon am fünften Tag läßt er seinen spannenden, klugen Spielfilm auf alarmierende Weise enden.

Die schwärzesten Tage in Tareks Leben beginnen mit Bilderrausch und Computerspiel, zwei Symbolen unserer Zerstreuungsgesellschaft, aus deren Mitte hier die Knechtschaft entspringt. Frau Dr. Grimm, Thons Assistentin, bittet die Kandidaten vor das künstliche Angesicht der Rechenmaschinen. Farbige, blinkende, piepsende Quadrate erscheinen auf dem Bildschirm und wollen umsorgt sein. Der Reaktionstest ist die vorletzte Hürde auf dem Weg zum Probandendasein. Anschließend fordert eine Diashow den unempfindlichen Mann. Rasend schnell ziehen Fotos von schönen Frauen, von Kartoffeln, von Leichen und zahllose disparate Motive mehr an Tareks zum erstenmal geblendeten Augen vorbei. "Alles wunderbar", entgegnet er wider seine Empfindung auf die Rattenfängerfrage: "Haben Sie ein Problem?"

Zwei Tage später heißt es schroff, "77 ist das Problem", und Tarek ist damit gemeint. Die zwanzig Probanden, allesamt zuvor bereit, der wissenschaftlichen Leitung die Abwesenheit jedes Problems vorzugaukeln, bereit sogar, für zwei Wochen und 4000 Mark auf die bürgerlichen Grundrechte zu verzichten, haben sich in ein bipolares Machtsystem verwandelt. Die vom Computer in zwei Hälften geschiedene Gruppe besteht aus Wärtern, die beobachten, und Häftlingen, die beobachtet werden, und also aus Diktatoren und Problemen.

Strukturidentisch ist diese Frontstellung mit dem anfangs rituell zelebrierten Frohsinn unter Männern, weshalb ein semiprofessioneller Komiker, der Elvis-Imitator Eckert, bald am genüßlichsten von seiner Autorität Gebrauch macht. "Jede Menge Fun" erhoffte sich der pummelige Lockenträger von dem Experiment; er wird nicht enttäuscht. Da die Gnade des Rechners ihm eine Polizistenuniform statt der Sträflingshemden spendiert, darf der von Timo Dierkes grandios widerwärtig gespielte Eckert den Milchallergiker Schütte zum Milchgenuß zwingen. Ein "gutes Gefühl", gesteht Eckert der Videokamera, habe er dabei, denn die Eingesperrten "machen echt alles mit". Weinflasche nebst Gaspistole schwenkt er beim Dienstbeginn, kennt er doch den Zusammenhang von Gewalt und Party: Wo Euphorie herrscht, ist der Rausch nicht weit, der dem Terror vorausgeht.

Schon die Versuchsanordnung definiert das Gefängnis auf Zeit als einen moralfreien Raum, weil dessen Insassen einzig als Datenquellen von Belang sind. Das zum Algorithmus entseelte Menschenleben existiert nicht zufällig nur unterhalb der Hörsäle in kargen Zellen, anhand deren Professor Thon, dank Edgar Selges unterkühlter Darstellung glaubhaft zwischen Nüchternheit und Fanatismus schwankend, das Fundament der Zivilgesellschaft rekonstruieren zu können meint. Das anthropologische Kellergeschoß aber, das Thons Ehrgeiz auffinden will, ist ein blutiges Konstrukt. Während seine Kollegin Dr. Grimm (Andrea Sawatzki) noch weiß, daß die Grenzen der Menschenwürde auch die Grenzen der Wissenschaft sind, und deshalb das Experiment abgebrochen werden sollte, sieht Thon "ungeheuer dynamische Faktoren" am Werk, wo Individuen einander quälen. Der Forscherblick auf die Menschennatur gebiert Monster, weil es den Forscher danach verlangt.

Zwei Gründe sind es, die innerhalb von wenigen Tagen aus Starkstromelektrikern, Referendaren und Imbißbudenbesitzern ein apokalyptisches Gefüge machen. Getreu Thons Zielvorgabe besteht das "Rollenverhalten" darin, "Druck auszuüben und Druck zu ertragen". Diesen Zustand führen sechs Regeln herbei, die das Gefängnisleben in permanenter Regellosigkeit halten. Die Gefangenen verpflichten sich etwa, jede Mahlzeit vollständig aufzuessen. Der Milchallergiker Schütte, den Oliver Stokowski nuancenreich als eine sentimentale, redselige Nervensäge vorführt, reagiert im Sinne der Regelgeber, verweigert seine Milchration und sorgt so für den ersten Eklat: Das sechste Gebot verlangt die Bestrafung von Ungehorsam, die der Wärter Eckert gerne vornimmt.

Die Eskalation ist das Ergebnis inhumaner Regularien und insofern Ausweis eher der Perfidie des wissenschaftlichen Ansatzes als der menschlichen Niedertracht im allgemeinen. Zugleich aber würde das Klima nicht derart rasch bestialisiert, verschärfte ein Proband nicht kräftig die Polaritäten. Tarek Fahd (Moritz Bleibtreu) trägt eine Brille mit eingebauter Miniaturkamera, weil er für eine Zeitung über das Experiment berichten soll. Als "Häftling 77" provoziert er das Wachpersonal, besonders den komplexbeladenen Flugbegleiter Berus (Justus von Dohnànyi). Dessen sadistische Anwandlungen glaubt Tarek für eine spektakuläre Story nutzen zu können, unterschätzt jedoch die Brutalität einmal entfesselter Vernichtungslust.

Das berufliche Interesse Tareks an Krawall und Radau zählt neben einer äußerst überflüssigen und einfallslos erzählten Liebesgeschichte zu den wenigen Schwächen des Drehbuchs, das auf einem Roman von Mario Giordano beruht. Ohne dieses Beigaben verliefe die Handlung nicht minder dramatisch, aber authentischer: Das "Stanford Experiment" wurde abgebrochen, obwohl kein verliebter "Maulwurf" unter den Versuchspersonen weilte.

Tarek, vom eigennützigen Agent provocateur zum gedemütigten Dulder gewandelt, sitzt schließlich allein in einem drei Kubikmeter großen Tresor. Seine Augen sind weiße, lidlose Flecken. Um ihn herrscht das blickdichte Nichts. Die Aufnahmen aus der "Black Box" sind der ästhetische wie ethische Endpunkt verschiedener Weisen, die Welt sich durch Blicke zu unterwerfen. Rainer Klausmanns mal statische, mal durch die Gefängnisgänge hetzende Kamera fängt das klaustrophobische Geschehen darum in Oberperspektive, auf Augenhöhe, als Videoüberwachungsbild oder mit der Handkamera ein. Alle Blicke eint ihr diktatorisches, den Weltunterwerfungsanspruch des Humanwissenschaftlers abbildendes Verlangen nach Kontrolle und Allmacht.

Oliver Hirschbiegels "Experiment" ist ein handwerklich fast makelloses, inhaltlich beunruhigendes Werk und zudem die erste deutsche Produktion dieses Kinojahrgangs, die internationalen Ansprüchen genügt. Seinen moralischen Zielpunkt hat "Das Experiment" nicht in dem finalen Überlebenskampf, sondern in Tareks Isolationshaft: Blind und einsam endet, wer sich funktionalisieren läßt. Die "Black Boxes" sind in uns.

ALEXANDER KISSLER

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