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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2024

Außerirdische und andere Touristen

Die Zukunft ist bloß ein Witz, die Vergangenheit ist nicht vergangen - Filme von Bruno Dumont und Julia von Heinz auf der Berlinale: "L'Empire" und "Treasure".

Aus einer außerirdischen Perspektive betrachtet, scheint unsere Erde ein Planet zu sein, den man irgendwann erobern sollte. Das Meer glänzt blau und gelb im Nachmittagssonnenlicht, die Hügel an der Ufern sind grün und haben sinnliche Rundungen. Und außerdem wird diese Erde von Menschen bewohnt, leicht zurückgebliebenen Wesen, deren Körper man allerdings übernehmen müsste, was vielleicht keine große Zumutung ist. Denn wenn sie sich paaren, scheinen sie ungeheure Lust dabei zu empfinden, wogegen die Außerirdischen, die aus Licht oder Gelee bestehen, vom Sex bislang nichts wussten.

Das ist die Idee von Bruno Dumonts Film "L'Empire", der Science-Fiction, Komödie und surrealer Tagtraum sein will. Und der doch ganz bodenständig damit beginnt, dass, irgendwo an der nordfranzösischen Küste, eine junge Frau sich sonnt, bis es ihr zu heiß wird, viel zu heiß. Und auf dem Weg nach Hause kommt sie mit einem jungen Fischer ins Gespräch, in dem sie aber den schwarzen Ritter eines außerirdischen Imperiums erkennt. Und drinnen im Haus, grinst das dicke, blonde Baby, das der Sohn des außerirdischen Bösen ist. Wenn er einmal groß ist, soll er die absolute Macht erringen.

Aus der Perspektive eines heißen Ferientags im August ist das eine realistische Szene. Es braucht keinen Sonnenstich, damit man spürt, dass die Leute hier, die Fischer und die Bauern, ein bisschen seltsam sind. Selbst die Kinder scheinen verrückt zu sein. Und das scharfe Licht, die blauen Wolken, das kann nichts Gutes bedeuten.

Wenn der Film am Anfang seinen Schauplatz ausmisst, sein Personal mustert und nur die Dialoge davon erzählen, dass hierher, in dieses Kaff an der Küste, das helle Imperium der "Einser" und das dunkle der "Nuller" ihre Soldaten geschickt haben, denkt man an den jungen Alexander Kluge oder den mittleren Luis Buñuel. Daran, dass scharfes Licht, genaue Blicke und eine gewisse Dreistigkeit des Schreibens und Inszenierens schon ausreichen, damit man glaubt, einen Traum zu sehen. Oder den Weltraum, was hier fast das Gleiche ist.

Nur dass Kluge und Buñuel nicht die Computer hatten, mit denen Dumont die Außerirdischen in ihrem geleeartigen Sosein herbeizaubern kann, mitsamt ihren Weltraumschiffen, die, bei den Guten, wie die Sainte-Chapelle aussehen. Und bei den Bösen wie das Schloss von Caserta. Und natürlich schaffen diese Computer auch ein schönes Schwarzes Loch, von welchem, wenn endlich der Showdown kommen müsste, der ganze Plot und jeder tiefere Sinn verschluckt wird. Was man nur mit viel Sympathie für den Regisseur als finalen surrealistischen Gag deuten mag.

Von der Schwärze war viel die Rede in den Buchbesprechungen, als Lily Bretts Roman "Zu viele Männer" erschien, im Jahr 2001, wobei das eine metaphorische und umso dunklere Schwärze war. Es geht in dem Roman um Erinnerungen, die man nicht hat oder die verdrängt und verschüttet sind. Es geht um eine New Yorker Journalistin, die in Polen nach der Antwort auf die Frage sucht, woher sie komme, wer sie eigentlich sei. Und um ihren Vater, der mit ihr reist und ihr zeigen soll, was geblieben ist vom einstigen Reichtum der jüdischen Familie, von der Fabrik, dem schönen Haus. Und von Auschwitz, das er überlebt hat.

Lena Dunham spielt in der Verfilmung die Tochter, Stephen Fry den Vater, und beider Gesichter, beider Körper sind der eigentlich Schauplatz dieses Films. Sie hat, auch wenn es ihr ganz ernst ist, ein touristisches Verhältnis zur Geschichte; sie glaubt, wenn sie Schauplätze besichtigt, werde sich alles ordnen in der Erinnerung. Er will ganz und gar Tourist sein, sich amüsieren, trinken, flirten, und lieber als eine Gedenkstätte besucht er das Chopin-Museum, das ihn heiterer stimmt. Er zögert den Besuch in Lodz, woher die Familie kommt, hinaus, er sagt, er werde bestimmt nicht nach Auschwitz fahren. Er nervt und ärgert und provoziert damit die Tochter. Und den Zuschauer ärgert er auch. Weil man im Kino sitzt und sich fragt, wann der Film endlich zur Sache kommt. Man erkennt es erst, wenn es auch die Tochter erkennt: dass genau das die Sache ist. Dass der Vater weiß, wo er herkommt. Und dass er weiß, warum er das vergessen wollte.

Es gibt nichts zu besichtigen im Polen des Jahres 1991, in dem der Film spielt. Das ganze Land wirkt versehrt, zwei Jahre nach dem Kollaps des Kommunismus. Das große Haus in Lodz ist verwahrlost, und die armen Leute die jetzt darin hausen, können nichts dafür, dass die Deutschen die Familie enteignet haben. Die Vergangenheit wird nicht sichtbar, wenn man bloß zu den Schauplätzen reist. Und in Auschwitz sprechen alle vom Museum, und die Tochter brüllt sie an: "Es ist kein Museum. Es ist ein Todeslager."

"Treasure" heißt der Film; die deutsche Regisseurin Julia von Heinz hat ihn inszeniert, und vermutlich war es das Schwierige, das Unmögliche, was ihre Arbeit angetrieben hat: dass man Erinnerungen nicht mit der Kamera beobachten kann. Dass Menschen vielleicht Bilder im Kopf haben; aber man bekommt sie da nicht heraus. Einmal stehen Vater und Tochter auf dem Balkon eines Hotels und blicken hinunter auf die menschenleere Straße. Vor dem Krieg, sagt er, war hier alles belebt, Menschen in ihren besten Garderoben gingen hier spazieren.

Nichts ist geblieben, wie es war. Das hätte die Tochter wissen können. Geblieben ist das fahle, blaugraue, schattenlose Winterlicht, das alle Heiterkeit verschluckt. CLAUDIUS SEIDL

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