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Produktdetails
  • Hersteller: Aki Kaurismäki
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • EAN: 7321940018287
  • Artikelnr.: 60477389
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2023

Kino der Underdogs

Aki Kaurismäki mischt in seiner "proletarischen Trilogie" aus Finnland Humor und Verzweiflung.

Als Taisto Kasurinen den weißen Cadillac mit den roten Ledersitzen aus dem Holzschuppen herausfährt, bricht die Scheune hinter ihm zusammen. Taistos Vater, dem der Wagen gehört, hat sich auf der Toilette seiner Stammkneipe erschossen. Das Bergwerk im Norden Finnlands, in dem die beiden gearbeitet haben, ist geschlossen, die letzten Kumpel haben die Stollen gesprengt. "Hier gibt es nichts mehr", hat der Vater gesagt. Taisto zieht daraus die Konsequenz. Er hebt seine Ersparnisse ab und fährt los.

Es ist Winter, und Taisto fährt mit offenem Verdeck, weil er nicht weiß, wie der Mechanismus des Cadillacs funktioniert. An einer Imbissbude in Helsinki wird er von zwei Gaunern ausgeraubt. Am Morgen steht er ohne einen Pfennig am Hafenkai, wo sich die Hilfsarbeiter versammeln. Er schleppt Säcke, übernachtet im Schlafsaal der Heilsarmee und betrinkt sich in einer Bar. Am nächsten Tag stellt er seinen Wagen ins Halteverbot. Eine Politesse schreibt einen Strafzettel. Wo er sich beschweren könne, fragt Taisto die Frau. "Bei mir." - "Wie kann ich die Sache vorantreiben?" - "Ein Abendessen könnte nicht schaden." Sie essen zusammen, dann sagt Irmeli: "Ich bin geschieden." - "Mach dir nichts draus." - "Ich habe auch ein Kind." - "Das spart Zeit bei der Familiengründung."

Bis zum Jahr 1988, in dem dieser Film entsteht, hat Aki Kaurismäki mehrere Kurzfilme und vier Spielfilme gedreht: "Crime and Punishment", "Calamari Union", "Hamlet goes Business" und "Schatten im Paradies". Mit dem vierten Film hat Kaurismäki seinen Stil und sein Thema gefunden. "Schatten im Paradies" ist der Beginn einer Serie, die bis heute anhält: eine Geschichte aus sparsamen, genau komponierten, an echten Schauplätzen mit einem Minimum an Requisiten gedrehten Bildern; ein Kino der Underdogs, der kleinen und kleinsten Leute, der Armut und der Verlorenheit; ein Ton, gemischt aus Humor und Verzweiflung, oder besser: ein Gleichklang von Humor und Verzweiflung, der zur Grundstimmung der Erzählung wird. Es ist der erste Teil einer "proletarischen Trilogie", wie Kaurismäki erklärt. Der nächste Teil trägt den Namen eines Luftgeists von Shakespeare im Titel: "Ariel".

Taisto und Irmeli werden ein Paar, aber das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen. Der Mann aus dem Norden findet keinen Job, und als er in einer U-Bahnstation einen der Gauner, die ihn ausgeraubt haben, zusammenschlägt, wird er verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Dort trifft er Mikkonen, einen verurteilten Mörder, der wie er von einem neuen Leben im Ausland träumt. Die beiden brechen aus, schütteln ihre Verfolger ab und landen bei einer Gangsterbande, die ihnen falsche Pässe verschafft. Im Gegenzug müssen Taisto und Mikkonen eine Bank ausrauben. Der Überfall gelingt, doch die Gangster halten nicht Wort. Taisto schießt sich den Weg frei, aber Mikkonen bekommt ein Messer in den Bauch.

In einem Interview aus dem Jahr 2015 bezeichnet Aki Kaurismäki "Ariel" als seinen besten Film. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat die Geschichte einen unerbittlichen Drive, der weniger vom Tempo des Cadillacs als von Taistos rastloser Glückssuche bestimmt wird. Zum anderen fehlen alle Schnörkel in Form von Nebenhandlungen, Schauplatzwechseln und erklärenden Randfiguren, wie sie für Kaurismäkis jüngere Filme typisch sind. Aber die Kamera Timo Salminens ist schon auf der Höhe, die sie seither mehr als dreißig Jahre lang gehalten hat, die Szenen- und Farbdramaturgie so zwanglos perfekt wie in "Der Mann ohne Gedächtnis" oder "Le Havre". Und zugleich steckt in der Handlung mehr als nur ein Splitter der Biographie von Kaurismäki, der selbst aus der Provinzstadt Orimattila nach Helsinki kam, um hier mit Filmen sein Glück zu machen. Taistos Geschichte ist nicht seine, aber in ihr ist der Blick des Regisseurs auf die kalte finnische Hauptstadt aufgehoben. Ein Jahr später, nach dem Abschluss der "proletarischen Trilogie" mit "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik", wanderte Kaurismäki aus Finnland nach Portugal aus, wo er bis heute lebt.

Der Film endet herzzerreißend. Mikkonen, der von Kaurismäkis früh verstorbenem Lieblingsschauspieler Matti Pellonpää gespielt wird, haucht in Taistos Wagen sein Leben aus, aber vorher findet er noch den Knopf, der die Automatik des Verdecks bewegt, und das Lederdach schließt sich langsam über ihm wie ein Sargdeckel. "Das Schiff heißt Ariel . . . begrabt mein Herz auf der Müllkippe" sind seine letzten Worte. Dann erklingt, während Taisto und Irmeli mit einem Boot zu dem Dampfer fahren, der sie nach Mexiko bringt, "Over the Rainbow" mit finnischem Text. So hat man dieses Lied noch nie gehört. Und seither nicht wieder. ANDREAS KILB

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