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"That rare person who looked like Marlene Dietrich and wrote like Virginia Woolf," Clarice Lispector is one of the most popular but least understood of Latin American writers, and now, after years of research on three continents, drawing on previously unknown manuscripts and dozens of interviews, Benjamin Moser demonstrates how Lispector's development as a writer was directly connected to the story of her turbulent life. Born in the nightmarish landscape of post-World War I Ukraine, Clarice became, virtually from adolescence, a person whose beauty, genius, and eccentricity intrigued Brazil.…mehr

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Produktbeschreibung
"That rare person who looked like Marlene Dietrich and wrote like Virginia Woolf," Clarice Lispector is one of the most popular but least understood of Latin American writers, and now, after years of research on three continents, drawing on previously unknown manuscripts and dozens of interviews, Benjamin Moser demonstrates how Lispector's development as a writer was directly connected to the story of her turbulent life. Born in the nightmarish landscape of post-World War I Ukraine, Clarice became, virtually from adolescence, a person whose beauty, genius, and eccentricity intrigued Brazil. Why This World tells how this precocious girl, through long exile abroad and difficult personal struggles, matured into a great writer, and asserts, for the first time, the deep roots in the Jewish mystical tradition that make her the true heir to Kafka as well as the unlikely author of "perhaps the greatest spiritual autobiography of the twentieth century." From Chechelnik to Recife, from Naples and Bern to Washington and Rio de Janeiro, Why This World strips away the mythology surrounding this extraordinary figure and shows how Clarice Lispector transformed one woman's struggles into a universally resonant art.

Benjamin Moser is the New Books columnist of Harper's Magazine. He was born in Houston in 1976 and currently lives in the Netherlands. He is a contributor to the The New York Review of Books, and he has written for Conde Nast Traveler and Newsweek, as well as many other publications.


Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Benjamin Moser is the author of Why This World: A Biography of Clarice Lispector, a finalist for the National Book Critics' Circle Award. His work bringing Clarice Lispector to international prominence was recognized with Brazil's State Prize for Cultural Diplomacy. His most recent book, Sontag: Her Life, won the Pulitzer Prize. He lives in Utrecht, in the central Netherlands.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2013

Von träumerischer Grausamkeit

Heute gilt sie als Kult-Autorin Brasiliens und wird mit Virginia Woolf verglichen. Zu Lebzeiten jedoch blieb der Ruhm von Clarice Lispector überschaubar.

Im Jahr 1975 folgt Clarice Lispector einer Einladung eines kolumbianischen Aristokraten zum "Ersten Weltkongress der Hexerei" nach Bogotá. Die Legenden und Gerüchte, die sich um diesen Kongress rankten - etwa über eine Lispector, die mit Amuletten behängt und in schwarze Gewänder gekleidet durch die Straßen gewandert sei -, passten nur allzu gut ins Bild der bisweilen bizarr anmutenden und unnahbaren Autorin. Lispector, die im heutigen Brasilien als Kultfigur gilt, eine Ikone der feministischen Literaturwissenschaft war und 1977 mit nur 56 Jahren an einer Krebserkrankung starb, hat zeitlebens ebenso viel dafür getan, gegen die großen und kleinen Mythen, die ihr angedichtet wurden, anzureden, wie sie diese selbst auch immer wieder, mehr oder minder bewusst, befeuert hat.

Gegen Vergleiche ihrer Bücher mit denen von Kafka, Joyce oder Virginia Woolf hat sie sich stets gewehrt. Und tatsächlich stammt wohl das Joyce-Zitat, das ihrem ersten Roman vorangestellt ist und aus dem sich sein Titel ableitet, von Lispectors engem Freund, dem Schriftsteller Lúcio Cardoso, weil sie selbst mit Joyce nicht vertraut gewesen war. Andererseits finden sich immer wieder Äußerungen Lispectors, die zwar nicht auf literarische Verwandtschaft abzielten, sehr wohl aber mit der eigenen - vermeintlichen - Unergründlichkeit und der ihrer Bücher spielten.

Der Schöffling Verlag hat den Brasilien-Schwerpunkt der diesjährigen Buchmessen als Anlass für eine Neuedition von Lispectors Romanen genommen. Mit "Nahe dem wilden Herzen" und "Der Lüster" sind nun zunächst die ersten beiden in neuen beziehungsweise überarbeiteten Übersetzungen erschienen. Dazu gibt es die umfangreiche und über weite Strecken phantastische, weil zugleich materialgesättigte, abwägende und gut dosiert emphatische Biographie Benjamin Mosers. Die Lektüre der drei Bücher lässt das Bild einer Schriftstellerin entstehen, in deren Schreiben sich immerfort eines offenbart: das unüberwindbare Trauma des zwanzigsten Jahrhunderts.

Moser führt die biographischen Spuren mit dem Werk auf unaufdringliche Weise parallel. "Woran hatte sie gedacht? Ah, der Tod würde sie mit ihrer Kindheit verbinden. Der Tod würde sie mit ihrer Kindheit verbinden." So durchfährt es Joana, die Protagonistin von Lispectors erstmals 1943 erschieneN Debütroman "Nahe dem wilden Herzen". Und tatsächlich ist der Tod das lebensbeherrschende Thema dieser Autorin. Clarice - wie sie von ihren Anhängern bald nur noch genannt wurde - hieß ursprünglich Chaja Pinchassowna und wurde 1920 in Tschetschelnik, einem kleinen Ort im ukrainischen Polodien, geboren, mitten hinein in die furchtbarsten Greuel des Bürgerkriegs, kurz bevor es den Eltern gelang, mit den Töchtern nach Brasilien zu emigrieren. Über ihre Herkunft hat Lispector sich selten geäußert, umso mehr hat sich das schreckliche Schicksal ihrer Mutter Mania direkt und indirekt in ihren Texten und öffentlichen Äußerungen niedergeschlagen: Sie war eine der zahllosen Frauen, die von russischen Soldaten vergewaltigt wurden, und trug nicht nur die psychischen Leiden davon, sondern litt in der Folge auch an einer schweren Syphilis-Erkrankung, die so weit auf das Nervensystem übergriff, dass sie am Ende ihres Lebens fast vollständig gelähmt war. Die Mutter starb wenige Monate vor Clarice Lispectors zehntem Geburtstag.

"Ich wurde für meine Geburt so schön vorbereitet", notiert Lispector 1944, halb selbst dem Volksglauben erliegend, halb sich einen fatalen Fluch auflegend: "Meine Mutter war damals schon krank, und einem recht verbreiteten Aberglauben folgend, dachte man, ein Kind zu bekommen, könne eine Frau von einer Krankheit heilen . . . Nur habe ich meine Mutter nicht geheilt. Und ich spüre bis heute, wie diese Schuld auf mir lastet."

Der Wunsch, Erlöserin zu sein, und sein permanentes Scheitern ist eines der traurigen Motive, die sich durch die Romane ziehen. Noch in ihrem späten, erst Mitte der siebziger Jahre entstandenen "Ein Hauch von Leben" klingt durch die Stimme eines fiktionalen Autors, der sich die Figur Ângela erschaffen hat, nur allzu deutlich diejenige von Lispector selbst hindurch: "Ich suche jemanden, den ich retten kann. Die einzige Person, die mir das ermöglicht, ist Ângela. Und indem ich ihr Leben rette, rette ich auch meines."

Im Schreiben wird das vollzogen, was im Leben nicht hatte gelingen wollen. Liest man Lispectors Debüt in diesem Wissen, dann hat es den Anschein, als hätten sich das Unglück der Mutter und zugleich die zur Tatenlosigkeit verdammte Tochter als eine lähmende, qualvolle Atmosphäre über den Roman gelegt, in dessen Mittelpunkt das Mädchen Joana steht. Komponiert ist er als Wechsel von Szenen aus Joanas Kindheit, Jugend und denen ihrer scheiternden Ehe.

Zu Anfang trifft man auf ein Mädchen, das nach dem Tod seiner Mutter allein mit dem Vater aufwächst, oft stundenlang stumm und in Langeweile gehüllt am Fenster sitzt und die Hühner im Hof beobachtet. "Und immer weiter tropfte die Zeit und tropfte." Dann stirbt auch der Vater, und Joana wird zu einer Tante gegeben, die sich zunehmend befremdet zeigt vom Wesen des Mädchens. Das Leiden an der Einsamkeit und an dem Verlust der Eltern hat sich in ihr zu einem Konglomerat aus Stolz, Amoralität und Verschlossenheit gewandelt, an dem später auch ihre Ehe mit Otávio zerbrechen wird.

"Otávio erhaschte ihren Gesichtsausdruck und erschrak. Eine träumerische Grausamkeit ... Er sah sie forschend an, ohne sie enträtseln zu können, begriff nur, dass er von diesem angedeuteten Lächeln ausgeschlossen war." Mehr als Vergleiche mit anderen Literaten und mehr als die Ergründungsversuche von zeitgenössischen Rezensenten trifft diese Beschreibung aus dem Roman wohl nicht nur das Wesen von Joana, sondern auch den bisweilen abenteuerlich zwischen Somnambulismus, Expressivität und abrupter Schärfe schwankenden Ton von Lispectors Büchern.

Als "Nahe dem wilden Herzen" erschien, sollte die knapp dreiundzwanzigjährige Autorin bald darauf das eingehen, woran die Protagonistin ihres ersten Romans beständig zweifelt: eine Ehe. Lispector heiratete einen Diplomaten und verbrachte die folgenden Jahre an wechselnden Orten fern von Brasilien. Glaubt man den Kommentaren von Zeitgenossen, dann wusste die junge Frau sich gekonnt und weltgewandt auf diplomatischem Parkett zu bewegen - ein bemerkenswerter Aufstieg für ein Kind, dessen Vater sich nach der Emigration als Gelegenheitsarbeiter durchschlagen musste, aber alles dafür gab, seinen drei Töchtern an Bildung und Studien zu ermöglichen, was ihm verwehrt geblieben war.

Dass Clarice Lispector dauerhaft erst 1959 als Mutter zweier Söhne und von ihrem Mann getrennt, nach Brasilien zurückkehrte, hat sicher seinen Teil dazu beigetragen, dass die Aufmerksamkeit, die ihr Debüt erfahren hatte, sich mit den folgenden Büchern nicht wiederholte. Es lag aber auch an den Büchern selbst. "Der Lüster" etwa, Lispectors 1946 erschienener zweiter Roman, greift zwar einige Motive des Vorgängers wieder auf - allen voran das Hinterfragen traditioneller Beziehungsmuster und damit vorgezeichneter weiblicher Biographien. Insgesamt aber ist die Geschichte um Virgínia, die zunächst in eine unheilvolle, als Kinderspiel getarnte Abhängigkeit von ihrem Bruder Daniel gerät und schließlich vom elterlichen Hof in die Großstadt aufbricht, wo sie - wie schon Joana - keinen Ausweg aus ihrer teils selbstgewählten, teils auferlegten Einsamkeit findet, weitaus traumgleicher und in all ihrer emotionalen Exaltiertheit und Aggressivität nebulöser, so dass sie sich einem breiten Lesepublikum kaum erschließen mochte. Was sich allerdings wiederum unmittelbar und sehr schmerzhaft einstellt bei der Lektüre, ist das Bild einer jungen Frau, die den konventionellen Wahrnehmungs- und Gefühlswelten der Umwelt fremd und befremdet gegenübersteht.

Nachhaltiger Erfolg als Romanautorin will sich aber auch in den Jahren nach Lispectors Rückkehr kaum einstellen. Zudem scheinen jahrelange Schlafbeschwerden, die sie mit Tabletten bekämpfte, ihr mehr und mehr zuzusetzen. Immer wieder berichten Freunde und Bekannte von nächtlichen Anrufen einer aufgelösten, verzweifelten Frau.

Das doppelt Tragische am Leben dieser eigenwilligen Schriftstellerin, deren Werk so eng verflochten ist mit ihrer Biographie, kann man bei Benjamin Moser aufs eindrücklichste nachlesen: Auch ihren ältesten Sohn Pedro, der an Schizophrenie erkrankte, hat Lispector nicht retten können. Ihr Wunsch nach Erlösung sollte nicht erfüllt werden. Postum immerhin erfolgte die Anerkennung als Schriftstellerin.

WIEBKE POROMBKA

Clarice Lispector: "Nahe dem wilden Herzen". Roman.

Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Ray-Güde Mertin, überarbeitet von Corinna Santa Cruz. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013. 272 S., geb., 19,95 [Euro].

Clarice Lispector: "Der Lüster". Roman.

Aus dem brasilianischen Portugiesisch und mit einem Nachwort von Luis Ruby. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013. 368 S., geb., 22,95 [Euro].

Benjamin Moser: "Clarice Lispector". Eine Biographie.

Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013. 564 S., geb., 36,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013

Die Rosendiebin
Die brasilianische Autorin Clarice Lispector genießt in ihrer Heimat kultische Verehrung. Zwei Romane
und eine gründliche Biografie laden dazu ein, die wohl größte Schriftstellerin der portugiesischen Sprache zu entdecken
VON BURKHARD MÜLLER
Wie ist es möglich, dass bis jetzt kaum jemand hierzulande diese Schriftstellerin kannte? In ihrem Heimatland Brasilien genießt sie fast religiöse Verehrung; einem Journalisten, der unverhofft die Chance erhielt, kurz vor ihrem Tod ein Fernsehinterview mit ihr zu führen, zitterten die Knie, und er erklärte hinterher, es sei ihm gewesen, als wäre Kafka oder Shakespeare in sein Studio spaziert. Einigkeit besteht darin, dass sie die größte portugiesisch-sprachige Autorin aller Zeiten sei.
  Auch wem der Name Clarice Lispector noch nichts sagt, den schlägt ihr Bild in seinen Bann. Zu wenig hieße es, wollte man es schön nennen. Mit den schräg geschnittenen Augen, die den Betrachter intensiv an- und durch ihn hindurchschauen, und dem geschwungenen, hochrot geschminkten, ernsten Mund scheint es ein großes Geheimnis zu bergen. Wie eine Schauspielerin des Film noir wirkt sie, nicht als schriebe sie Bücher. Man mag es ja sonst für unangebracht halten, bei einer Autorin mit dem Äußeren anzufangen. Aber wer diese Frau sieht, will wissen, was sie zu sagen hat. Dazu bekommt nun auch die deutsche Leserschaft eine Chance.
  Zwei Romane Lispectors legt der Schöffling-Verlag neu auf, dazu eine umfangreiche Biografie. Außergewöhnlich war ihre Lebensgeschichte. Sie selbst hat darüber so wenig Auskunft wie möglich erteilt, und es ist der hingebungsvollen Arbeit ihres Biografen Benjamin Moser zu verdanken, dass sich hier endlich ein zusammenhängendes Bild ergibt. Sie kam 1920 in einem kleinen Ort der Westukraine zur Welt, zu einem Zeitpunkt, als dort Bürgerkrieg herrschte, Plünderungen, Hungersnot, Kannibalismus, Massaker. Mehr als alle anderen traf es die Juden, zu denen Clarices Familie gehörte, und wer konnte, floh. Die Familie Lispector hatte insofern Glück, als ihr die Flucht ins nordöstliche Brasilien gelang. Dort wuchs Clarice auf. Aber ihre Mutter war in der alten Heimat Opfer einer Vergewaltigung geworden und siechte nun an der Syphilis dahin, mit der sie dabei infiziert worden war.
  Dies ist das zentrale, das traumatische Erlebnis in Clarices Kindheit: die gelähmte, verzweifelte Mutter, die aus ihrem Stuhl nicht aufstehen kann, und sie, die Tochter, vermag absolut nichts für sie tun. Als Clarice neun Jahre alt ist, stirbt die Mutter. Noch viele Jahre später und in ganz anderen Kontexten, etwa wenn sie über die neue Hauptstadt Brasilia berichten soll (ein Ort, wie sie sagt, an dem die Seele keinen Schatten wirft), bricht es aus ihr heraus: Ein Kind braucht doch eine Mutter! Der Vater plagte sich als Hausierer ab, um seine drei Töchter großzuziehen, und kam nie auf einen grünen Zweig; auch er starb früh.
  Doch den Töchtern gelang der soziale Aufstieg. Clarice wurde an der juristischen Hochschule in Rio de Janeiro aufgenommen und begann gleichzeitig, journalistisch und belletristisch zu schreiben. Ihr erstes Buch, „Nahe dem wilden Herzen“ erschien, als sie gerade 23 war, und machte sie mit einem Schlag berühmt. Niemand wusste, wer hinter diesem Namen steckte. Und die Autorin selbst war nicht mehr zu greifen, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits einen brasilianischen Diplomaten geheiratet hatte und in den eleganten Zirkeln von Neapel, Washington, London, Paris und Bern die privilegierte, aber öde Rolle der Dame von Welt spielte.
  Später kehrte sie heim, ließ sich scheiden und verdiente ihren Lebensunterhalt als Kolumnistin, wobei sie sich nicht zu schade war, ihrem vorwiegend weiblichen Publikum kosmetische Ratschläge zu geben. Währenddessen wuchs ihr Ruhm, und obwohl sie sich eigentlich nicht für Politik interessierte, wurde sie zu einer der wichtigsten Symbolfiguren im Widerstand gegen die Militärdiktatur, die von 1964 an das Land regierte.
  Dass sie so populär war, erstaunt, wenn man Lispectors keineswegs leichtgewichtigen Bücher liest. Es fehlt ihnen, was lateinamerikanischer Literatur sonst so große Beliebtheit verschafft: kein Karneval, keine Slums, keine tropische Farbenpracht. Man fände allein aufgrund der Lektüre nur schwer heraus, ob der Schauplatz ein warmes oder kaltes Land ist. Wenn ihr deutscher Verlag sie als „die Stimme Brasiliens“ preist, so führt das insofern in die Irre, als Clarice Lispector durchaus nur Stimme ihrer selbst ist. „Nahe dem wilden Herzen“ erzählt die Geschichte von Joana und fängt an mit dem kleinen Mädchen, das sich langweilt. „,Papa, ich habe mir ein Gedicht ausgedacht.‘ ,Wie heißt es?‘ ,Ich und die Sonne‘. Nach einer kurzen Pause begann sie: ,Die Hühner im Hof haben schon zwei Regenwürmer gegessen, aber ich hab es nicht gesehen.‘ ,Und? Was haben du und die Sonne mit dem Gedicht zu tun?‘ Sie sah ihn eine Sekunde lang an. Er hatte es nicht verstanden.“
  Auch der Leser findet sich nicht selten in dieser Lage: dass ihm etwas mitgeteilt wird, von dem die Verfasserin voraussetzt, es sei ganz offensichtlich, und er es dennoch nicht versteht. Joana, älter geworden, heiratet, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, und zwar den Juristen Otávio, der sich auf Gewohnheitsrecht spezialisiert, während sie ihrerseits über den Pantheismus Spinozas nachsinnt. Beide leiden darunter, dass er sie auf seine ruhige Art mehr liebt als sie ihn. Er nähert sich neuerdings seiner verflossenen Verlobten an, sie wird von ihm schwanger, auch Joana erhört einen rätselhaften Verehrer, die Ehe scheitert – aber um all das geht es nicht wirklich.
  Es geschieht ziemlich wenig in diesem Buch; seinen Hauptgegenstand bildet das seelische Erleben der Protagonistin. Man hält die Art, wie sie davon spricht, erst für sehr traurig, ehe einem aufgeht, dass alles Wesentliche daran sich der festlegenden Darstellung entzieht, dass dessen Grundfigur ein langes Dahinströmen in der Zeit ist, von dem die Sprache gewissermaßen nur die Ufer berührt. Es hört sich, Seite um Seite, so an: „Es war immer vergebens, glücklich oder unglücklich gewesen zu sein. Und sogar geliebt zu haben. Kein Glück oder Unglück war so stark gewesen, dass es die Elemente ihrer Materie verwandelt und ihr einen einzigen Weg gezeigt hätte, wie es der wahre Weg sein musste. Ich beginne mich immer von neuem, öffne Lebenskreise und schließe sie, lege sie beiseite, wenn sie welk sind und angefüllt mit Vergangenheit. Warum sind sie so unabhängig voneinander, warum verschmelzen sie nicht zu einem Block und dienen mir als Fundament? Tatsächlich waren sie zu vollständig. Augenblicke, die so intensiv, so rot, so gedrängt in sich selbst waren, dass sie keiner Vergangenheit oder Zukunft bedurften, um zu existieren. Sie brachten ein Wissen mit, das nicht als Erfahrung nutzte – ein unmittelbares Wissen, mehr ein Gefühl als eine Beobachtung.“
  Leben, wie Lispector es versteht, ist gerade das, was sich als Weg nicht zurichten lässt. Was sie fasziniert, ist das Dasein der Tiere. Sie bedauert es, nicht als Pferd geboren zu sein. Auf die Frage, welche ihrer Geschichten ihr die liebste sei, nennt sie jene, in der ein Huhn geschlachtet werden soll, panisch ins Haus flieht, dort zur allgemeinen Überraschung ein Ei legt und daraufhin begnadigt wird – für jetzt. Mehr hat es mit dem Leben nicht auf sich und braucht es auch nicht. Lispectors Heldinnen, auch in ihrem zweiten Roman „Der Lüster“, befremden ihre Umgebung durch die totale Weigerung, das Leben als moralisches Faktum anzusehen. Joana wird beim Diebstahl eines Buchs ertappt und provoziert einen Wutausbruch der Tante, bei der sie aufwächst, als sie behauptet, sie dürfe das.
  Auch das Kind Clarice hat, wie ihr Biograf Moser herausfand, gestohlen: Als etwa Achtjährige drang sie jeden Tag in einen fremden Garten ein und entwendete eine Rose. Schamlose Diebinnnen sind sie, Joana und Clarice; freilich Diebinnen von Rosen und Büchern. Auch die Zeitschrift Schreibheft hat sich in ihrer jüngsten Ausgabe Clarice Lispector zugewandt, und zwar ihren Kolumnen. Diese bezaubern durch Leichtigkeit und Vielfalt. Da erinnert die Autorin sich, wie selig sie war, wenn sie noch vor Tagesanbruch mit ihrem Vater im Meer baden durfte. Oder sie setzt sich für ihre Leserinnen mit dem ewigen Thema der Männer auseinander. „Sind Männer die Quelle unserer Inspiration? Ja. Sind Männer unsere Herausforderung? Ja. Sind Männer unsere Feinde? Ja.“
  Zärtlichkeit und Grausamkeit können sich bei dieser Autorin innig vermischen, nicht nur, wenn sie die tödliche Speise für die Kakerlaken in ihrer Wohnung mischt, aus gleichen Teilen Zucker und Gips. „Dutzende von Statuen liegen starr verstreut. Die Kakerlaken, die von innen nach außen hart geworden sind. Einige davon auf dem Rücken. Andere inmitten einer Regung, die sich nie wird vollziehen können. Im Maul von einigen ein Rest von weißem Puder. Ich bin die erste Zeugin des Morgenrots in Pompeji. Ich weiß um diese letzte Nacht, ich weiß um die Orgie im Dunkeln.“
  Clarice Lispector ist nicht alt geworden. Sie erkrankte, ihre letzten Lebensjahre wurden ihr zur Last. Ihr schizophrener älterer Sohn bereitete ihr große Sorgen. Immer mehr zog sie sich zurück. Bei einem Zimmerbrand, ausgelöst von einer Zigarette im Bett, zog sie sich schlimme Brandwunden zu und fühlte sich fortan entstellt und gedemütigt. Am 9. Dezember 1977, einen Tag vor ihrem 57. Geburtstag, ist sie gestorben. Der Verlag Schöffling hat angekündigt, weitere Werke von ihr zu veröffentlichen. Man kann es nur wünschen.
Clarice Lispector: Nahe dem wilden Herzen. Roman. Aus dem Portugiesischen von Ray-Güde Mertin und Corinna Santa Cruz. 272 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Clarice Lispector: Der Lüster. Aus dem Portugiesischen und mit einem Nachwort von Luis Ruby. 368 Seiten, 22,95 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Benjamin Moser: Clarice Lispector. Eine Biographie. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. 584 Seiten, 36,95 Euro. Alle drei Bücher bei Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013.
Schreibheft. Zeitschrift für Literatur, Nummer 81. 13 Euro.
Ihr erstes Buch machte sie
auf einen Schlag berühmt, da
war sie gerade mal 23
Zärtliche Grausamkeit
ist die Mischung, mit der sie
Leser in die Falle lockt
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