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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Anspruch und Wirklichkeit: Die Wahrnehmung des Islams in Deutschland seit 1970
Dieses Buch tritt mit einem hohen Anspruch auf. Es will in einer Analyse des bundesrepublikanischen Diskurses über Islam und Muslime zeigen, wie sich der Tenor dieses Diskurses von etwa 1970 bis 2000 veränderte. In diesem Zusammenhang spricht der Titel des Buchs von "Umdeutungen des Islams".
Dies ist zweifellos ein wichtiges Thema. "Islamophobie" ist eines der populärsten politischen Reizwörter der jüngsten Zeit; der Verdacht, das "Feindbild Islam" habe nach dem Ende des Kalten Kriegs den Antikommunismus abgelöst, wurde und wird oft geäußert. Da durfte man nach der Ankündigung dieses Buchs gespannt sein.
Nun ist es nicht leicht, ein klares Bild davon zu gewinnen, was eine ganze Bevölkerung oder auch nur große Teile von ihr über einen solchen Komplex denken. Wie erfasst man die hier relevanten Inhalte? Welche Quellen zapft man an? Alexander Konrad nennt vier Gruppen von Zeugen für seine Untersuchung. Politiker und Verwaltungsbeamte, die mit dem Thema vor allem aus außenpolitischem Interesse befasst waren, bemühten sich danach schon früh um ein vertieftes Verständnis von Islam und Muslimen. Aus gegebenen Anlässen schlug sich verstärktes Interesse am Thema in den Medien nieder; zwei Journalisten, die sich als Sachverständige etablieren konnten, nimmt Konrad in den kritischen Blick. Ernsthafte wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Islam und der Region sieht er erst im Lauf des Untersuchungszeitraums entstehen. Und schließlich lässt er auch Akteure der Zivilgesellschaft zu Wort kommen: die Grünen und ihre Vorläufer, Frauenzeitschriften und alternative Journalistinnen und Journalisten.
Dies ist das Bild, das sich aus der Untersuchung ergibt: In den 1970er-Jahren gab es weder ein ausgeprägtes Interesse an dem Komplex noch verbreitetes Wissen darüber. Wo sich die Thematisierung nahöstlicher Probleme nicht vermeiden ließ, wie etwa in der Zeit der Ölkrise von 1973, geschah sie nicht vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des Islams, sondern als Aufnahme eines regionalen Problems. Der große Umbruch in der Wahrnehmung des Islams ergab sich im Verlauf und Ergebnis der islamischen Revolution in Iran 1978/79. Die Wahrnehmung wurde intensiver, und sie wurde tendenziell negativ, nachdem die Menschenrechtsverletzungen des neuen Regimes bekannt worden waren. Der Islam wurde nun auch in seiner politischen Dimension wahrgenommen. Dabei ergab sich eine deutliche Divergenz: Während Außenpolitiker nüchterne Bestandsaufnahmen vornahmen, reagierte ein großer Teil der Presse alarmistisch und zeichnete ein monolithisch-negatives Bild des Islams. Besonders taten sich dabei Peter Scholl-Latour und Gerhard Konzelmann hervor, die Konrad denn auch ausführlich charakterisiert und kritisiert. Er erwähnt aber auch abweichende Stimmen, die solcher Stimmungsmache Paroli boten, wie er auch hervorhebt, dass das linksalternative Milieu in seinem Urteil über den Islam schwankte, auch hier mit Blick auf den Verlauf der iranischen Ereignisse: Hoffnung auf positive Möglichkeiten der Revolution und große Enttäuschung über ihr Ergebnis und die Verbrechen des aus ihr hervorgegangenen Regimes.
Auch die sowjetische Besetzung Afghanistans und der Widerstand der Mudschahedin gegen sie spielte für die Wahrnehmung des Themas "Islam" eine Rolle. In der Logik des Kalten Kriegs wurden die Mudschahedin von vielen positiv gesehen. Im weiteren Verlauf allerdings, mit der Entspannung der Gorbatschow-Zeit, dem sowjetischen Rückzug und den terroristischen Aktivitäten der Mudschahedin kehrte sich deren Bild tendenziell ins Negative um. Auch andere problematische Aktivitäten von Muslimen, in Deutschland und anderswo, trugen zu einem tendenziell negativen Bild bei.
In den 1990er-Jahren setzte sich ein schon vorher erkennbarer Trend fort: intensivierte Wahrnehmung des Islams, und zwar im Wesentlichen als negatives Phänomen. Die Tendenz zur Wahrnehmung des Islams als monolithisches, problematisches Phänomen hatte sich weitgehend durchgesetzt. Dabei machte man auch kaum mehr einen Unterschied zwischen "Innen", also den Muslimen in Deutschland, und "Außen", dem Islam als international wahrnehmbares Phänomen.
Es gab aber in den 1990er-Jahren, auch das hebt Konrad hervor, auch gegenläufige Tendenzen. Die "Monolithisierung" provozierte Widerspruch, am deutlichsten wohl in der scharfen Kritik von Teilen der Islamwissenschaft am Diskurs der "Islamerzähler" Scholl-Latour und Konzelmann. Eine differenzierende Wahrnehmung des Islams verschaffte sich ein gewisses Gehör, wenn auch die pauschal negative Wahrnehmung nach wie vor ungleich weiter verbreitet war.
Das hier gezeichnete Bild ist im Großen und Ganzen stimmig. Es gibt die verbreitete negative Wahrnehmung des Islams; es ist richtig, dass sie im Untersuchungszeitraum gravierender wurde. Es stimmt insofern auch, dass sie schon vor dem 11. September 2001 existierte, der in dieser Hinsicht also nicht die Zeitenwende war, als die er oft angesehen wird.
Dennoch lässt dieses Bild die Leser des Buchs etwas ratlos zurück. Es bleibt etwas vage, allgemein und unverbindlich, bleibt zu sehr im Einerseits/Andererseits stecken: pauschal-monolithisches Islambild hie, dessen Kritik und die Bemühung um Differenzierung da. Man kann es sich im Grunde aussuchen, Festlegungen erfolgen nicht. Bei dem hohen Anspruch des Buchs ist das etwas unbefriedigend.
Es hätte sicherlich zur Schärfe des Bildes beigetragen, wenn das Buch sich auf die Diskussion des Islams selbst eingelassen hätte. Das hat es aber nicht getan: "Das Thema dieser Arbeit (ist) nicht der Islam selbst, sondern dessen Wahrnehmung" (S. 22). Der Islam, verstanden als Gesamtheit der Überzeugungen und Verhaltensweisen von Muslimen, war immer eine sehr vielgestaltige Angelegenheit; er ist dies heute mehr als je. Seine Anhänger können ihn politisch verstehen, sie können das auch bleiben lassen. Er räumt Alternativen und Wahlmöglichkeiten ein, und die Muslime machen davon Gebrauch - immer in der Überzeugung, als Gläubige zu handeln. Das ist die Grundlage für reale Diversität im Islam, und deren richtige Erfassung ist Voraussetzung für eine sachgerechte Auseinandersetzung mit solchen Auffassungen, die diese Religion ausschließlich als monolithisch und problematisch zeichnen. Indem Konrad diese Dimension der Frage aus seiner Untersuchung ausspart, nimmt er seinem Ergebnis mögliche zusätzliche Konturen, und als Folge davon bleibt sie zu sehr im Vagen stecken. ALEXANDER FLORES
Alexander Konrad: Umdeutungen des Islams. Bundesdeutsche Wahrnehmungen von Muslim*innen 1970 - 2000.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2022.
495 S., 42,- Euro.
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