Bernd Seidensticker ist im In- und Ausland als herausragender Forscher auf dem Gebiet des antiken Dramas bekannt. Insofern ist eine Sammlung seiner kleineren Arbeiten zu diesem Thema, die teilweise an entlegenen Orten publiziert worden sind, ein großes Desiderat. Die Arbeiten demonstrieren die große Spannweite von Seidenstickers Interessen: neben Studien zu Echtheitsfragen des über- lieferten Textes stehen Arbeiten zu zentralen Fragen der Interpretation, wie z. B. zur Rolle des Charakters oder dem Problem der tragischen Peripetie. Neben der griechischen Tragödie kommen auch das Satyrspiel, eines der wichtigen Arbeitsfelder des Autors, und das lateinische Drama in den Blick. Die Sammlung richtet sich in erster Linie an Klassische Philologen, aber auch Literaturwissenschaftler anderer Fächer, und Theater- wissenschaftler werden die Sammlung mit großem Gewinn benutzen.
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Bernd Seidenstickers Aufsätze zur Deutung der antiken Dramen
„Die Tragödie ist Nachahmung nicht von Menschen, sondern von Handlungen und vom Leben”, sagt Aristoteles im sechsten Kapitel der „Poetik”. Der Gräzist Bernd Seidensticker, der unlängst an der Freien Universität Berlin seine Abschiedsvorlesung gehalten hat, hat in vielen interpretatorischen Arbeiten die Handlungen und das Leben in den antiken Dramen beleuchtet - ohne dabei die Menschen zu vergessen, also die Charaktere in den Theaterstücken und die historische Lebenswelt, der sie entspringen. So erfährt man etwa in einem Aufsatz, dass „die Zerstörung des tragischen Helden in der Tragödie des Euripides” zu verstehen ist „als Folge und Spiegel der unter dem vereinten Druck von radikaler Aufklärung, fortschreitender Demokratisierung und jahrzehntelangem Krieg zusammenbrechenden Ordnungs- und Wertungssysteme”.
Der Band, in dem dieser und weitere Beiträge Seidenstickers zum antiken Drama zusammengestellt sind, heißt „Über das Vergnügen an tragischen Gegenständen”. Im gleichnamigen Aufsatz (der Titel spielt an auf Schillers Arbeit „Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen” von 1792) unternimmt Seidensticker eine interessante Durchsicht der Antworten, die im Altertum und in der Neuzeit auf die Frage: „Warum zieht uns fremdes Leid magisch an?” gegeben wurden.
Für die Spannungen zwischen dem Schönen und dem Schrecklichen sowie auch zwischen dem Erhabenen und Lächerlichen ist der Autor ohnehin besonders sensibilisiert, wie seine Beschäftigung mit dem Komischen in der Tragödie und mit den derben Rausschmeißern bei den athenischen Tragödienwettbewerben, den Satyrspielen, belegt. Ob Seidensticker über die Selbstmorde bei Sophokles, über „Peripetie und tragische Dialektik. Aristoteles, Szondi und die griechische Tragödie” oder über textkritische Einzelfragen schreibt, stets ist das Ergebnis eine Philologie mit literarischer und geistesgeschichtlicher Einfühlungskraft.
jsl
BERND SEIDENSTICKER: Über das Vergnügen an tragischen Gegenständen. Studien zum antiken Drama. Hrsg. von Jens Holzhausen. K. G. Saur, München und Leipzig 2005. 454 Seiten, 96 Euro.
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