Hölderlin war einer der wichtigsten Wegbereiter des deutschen Idealismus. Seine poetischen Arbeiten und theoretischen Überlegungen weisen jedoch auch schon über die Grenzen des idealistischen Systemgedankens hinaus. Die frühen Schriften wie seine Aufsätze, die Texte zur Theorie der Tragödie und die Pindar-Fragmente stellen den Versuch dar, sich mit den Mitteln der begrifflichen Reflexion des Anspruchs der poetischen Sprache zu versichern. Die Wiedergabe der Texte erfolgt, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, auf der Grundlage der Frankfurter Ausgabe.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020NEUE TASCHENBÜCHER
Milde Rache – Hölderlins Betrachtungen
zu Sprache und Identität
Als Dichter steht er wie kein anderer für das verkannte Genie, als Theoretiker wird er gar nicht erst wahrgenommen. Dabei hätte Friedrich Hölderlin nicht nur in der Auseinandersetzung mit Kant und Fichte allerhand beizutragen, was seine Rolle als Wegbereiter des Deutschen Idealismus durchaus plausibel erscheinen lässt. Dazu kommt der Dialog mit der Antike, Platon insbesondere, aber auch eines umfassenderen ästhetischen Diskurses. Seine Reflexion der Antikenverehrung klingt hochmodern: „Wir träumen von Originalität und Selbständigkeit, wir glauben lauter Neues zu sagen, und alles diß ist doch Reaction, eine milde Rache gegen die Knechtschaft, womit wir uns verhalten haben gegen das Altertum; es scheint wirklich fast keine andere Wahl offen zu seyn, erdrükt zu werden von Angenommenen, und Positivem, oder, mit gewaltsamer Anmaßung, sich gegen alles erlernte, gegebene positive, als lebendige Kraft entgegenzusetzen.“
Hölderlin will Neues, will selber schaffen statt Vorgegebenes zu adaptieren: „Und was allgemeiner Grund vom Untergang aller Völker war, nemlich, daß ihre Originalität, ihre eigene lebendige Natur erlag unter den positiven Formen und unter dem Luxus, den ihre Väter hervorgebracht hatten.“ Doch Hölderlin denkt weiter, sich selber kritisch referierend, argumentiert auch für die klassische Bildung: „Es ist nemlich ein Unterschied ob jener Bildungstrieb blind wirkt, oder mit Bewußtseyn, ob er weiß woraus er hervorgieng und wohin er strebt.“ Aber, das zeigen die theoretischen Schriften, ein konkretes Ziel ist gar nicht so wichtig, vielmehr ein Bewusstsein des „Unerschöpften und Unerschöpflichen“. Spricht da religiöse Mystik?
Dichten und Reflektieren sind bei Hölderlin eins. Oft scheint es, als zwinge er sich zu einer Art moralisch gebotenem Optimismus, „daß in eben dem Momente und Grade, worinn sich das Bestehende auflöst, auch das Neueintretende, Jugendliche, Mögliche sich fühlt.“ Im Gedicht klingt das dramatischer: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ HELMUT MAURÓ
Friedrich Hölderlin: Theoretische
Schriften. Hrsg. von Johann Kreuzer.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2020.
135 Seiten, 22,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Milde Rache – Hölderlins Betrachtungen
zu Sprache und Identität
Als Dichter steht er wie kein anderer für das verkannte Genie, als Theoretiker wird er gar nicht erst wahrgenommen. Dabei hätte Friedrich Hölderlin nicht nur in der Auseinandersetzung mit Kant und Fichte allerhand beizutragen, was seine Rolle als Wegbereiter des Deutschen Idealismus durchaus plausibel erscheinen lässt. Dazu kommt der Dialog mit der Antike, Platon insbesondere, aber auch eines umfassenderen ästhetischen Diskurses. Seine Reflexion der Antikenverehrung klingt hochmodern: „Wir träumen von Originalität und Selbständigkeit, wir glauben lauter Neues zu sagen, und alles diß ist doch Reaction, eine milde Rache gegen die Knechtschaft, womit wir uns verhalten haben gegen das Altertum; es scheint wirklich fast keine andere Wahl offen zu seyn, erdrükt zu werden von Angenommenen, und Positivem, oder, mit gewaltsamer Anmaßung, sich gegen alles erlernte, gegebene positive, als lebendige Kraft entgegenzusetzen.“
Hölderlin will Neues, will selber schaffen statt Vorgegebenes zu adaptieren: „Und was allgemeiner Grund vom Untergang aller Völker war, nemlich, daß ihre Originalität, ihre eigene lebendige Natur erlag unter den positiven Formen und unter dem Luxus, den ihre Väter hervorgebracht hatten.“ Doch Hölderlin denkt weiter, sich selber kritisch referierend, argumentiert auch für die klassische Bildung: „Es ist nemlich ein Unterschied ob jener Bildungstrieb blind wirkt, oder mit Bewußtseyn, ob er weiß woraus er hervorgieng und wohin er strebt.“ Aber, das zeigen die theoretischen Schriften, ein konkretes Ziel ist gar nicht so wichtig, vielmehr ein Bewusstsein des „Unerschöpften und Unerschöpflichen“. Spricht da religiöse Mystik?
Dichten und Reflektieren sind bei Hölderlin eins. Oft scheint es, als zwinge er sich zu einer Art moralisch gebotenem Optimismus, „daß in eben dem Momente und Grade, worinn sich das Bestehende auflöst, auch das Neueintretende, Jugendliche, Mögliche sich fühlt.“ Im Gedicht klingt das dramatischer: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ HELMUT MAURÓ
Friedrich Hölderlin: Theoretische
Schriften. Hrsg. von Johann Kreuzer.
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"Hölderlin war wohl der dichterischste Dichter deutscher Sprache, aber war gewiss der Philosoph, der Hegel den entscheidenden Anstoß gab, selbst einer zu werden." Jürgen Kaube, FAZ