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Der Lichtschreiber
Sonnenfluten, Schattenspiel: Der Erzählband „Sommerfreuden”
Der Astronom John Herschel prägte im frühen 19. Jahrhundert den Begriff „Fotografie”. Wörtlich heißt das „Lichtschreiben”, und nichts charakterisiert Herman Bangs Kunst mehr. Wie wirkungsvoll und elegant setzt der dänische Schriftsteller, der vor 150 Jahren, am 20. April 1857 geboren wurde, in seinen Erzählungen das Licht! Ein schmeichelndes, fast zärtliches zuweilen, das hässliche Lebensspuren im Gesicht einer Figur glättet, kraftvolle Sonnenfluten dann auch, vielfach reflektiert von den Wellen. Oft wirft er ein mit einer Art Blitzlicht-Effekt erbarmungsloses Schlaglicht auf Menschen. Und schon folgt der nächste Lichtwechsel: In dunklen Ladengängen leuchtet noch an grellen Sommertagen die Petroleumlampe, deren Schein Sensen und Hacken wie Marterinstrumente erscheinen lässt.
Selbst die Abwesenheit von Licht inszeniert Bang, wenn er etwa den Blick auf eine traurige Ansammlung von Kerzen lenkt, die – statt im Kronleuchter zu glänzen – nur noch beleidigend peinlich herumliegen, als Zeichen einer demütigend abgelehnten Einladung. Das Licht ersetzt bei Bang auch noch die Uhren: „Die Schatten der Häuser zeichneten sich in gewohnter Schärfe ab; sie kamen und wurden länger und verschwanden, immer in der gleichen Weise. Es war, als benötige man in diesem Ort überhaupt keine Uhr, so pünktlich bewegten sich die Schatten.”
Doch steckt viel mehr in Bang, wie gerade die Titelerzählung der Sammlung „Sommerfreuden” beweist. Ein Hotelierspaar am Rande des Ruins wartet hier auf Gäste. Die Betten, die Handtüchter, die Zimmer selbst sind heruntergekommen, der Zusammenbruch steht unmittelbar bevor. Nicht nur die Hotelpächter, den ganzen Ort hat die Lähmung hoffnungslosen Wartens ergriffen. Als Skizze faszinierte schon das allein, doch plötzlich lässt der Autor die Erzählung explodieren. Es treffen gleich zwei Dutzend Gäste ein, auf die niemand vorbereitet ist. Eine Hetzjagd beginnt, ebenso verzweifelt wie das Warten zuvor, denn an allem fehlt es: an Dienstboten, Speisen, Geschirr. Immer noch schlimmer wird das Tohuwabohu, bis die hungrigen Gäste wild trampeln und an die Teller schlagen. Bang gönnt dem Leser dazwischen kurze Ruhepausen des Tändelns, um anschließend noch wirkungsvoller die Nerven zu peitschen. Das ersehnte Glück, viele Gäste zu haben, beschert den Hoteliers eine Kette von Katastrophen und bricht ihnen am Ende das Genick.
Drehbuchautoren, Kameraleute, Regisseure könnten von Herman Bang viel lernen. Das gilt für alle drei Erzählungen des von Aldo Keel wiederum wunderbar übersetzten und kommentierten Bandes, wobei die „Die Raben”, eine böse Satire über Erbengier, und „Fräulein Caja”, ein Tag im Leben einer unglückliche Pensionswirtin, fein gesponnene Kammerspiele sind, weniger dramatisch als „Sommerfreuden”. Die Fülle an Figuren und Geschichten, die Bang in diesen drei Texten aufbietet, würde anderen Autoren für ein Lebenswerk genügen. Er dagegen stellt in ein paar Sätzen ganze Schicksale vor den Leser hin und eilt weiter.
Oberflächlich könnte das wirken, wenn man oberflächlich liest. Auch das bereitet übrigens Vergnügen. Größer wird es, beachtet man all die kleinen Signale, die auf große Geheimnisse, begrabene Hoffnungen, soziale Umbrüche deuten. Das Dänemark des ausgehenden 19. Jahrhunderts setzte seine Bewohner ja einem erschreckenden Wandel aus. Die Industrialisierung und Verstädterung lösten die Stabilität der zuvor landwirtschaftlich orientierten Nation auf. Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ergriff viele Menschen. Bang zeigt, wie in dieser Situation die alten Regeln oft nur noch äußerlich befolgt werden, wie Zynismus sich breit macht und welche Opfer diese Entwicklung kostet, vor allem unter Frauen. Am erstaunlichsten ist vielleicht, dass selbst seine literarischen Karikaturen berühren. Etwas Besonderes steckt auch in ihnen, etwas, das Herman Bang mit seiner Kompositionskunst und variationsreichen Sprachmusik zum Leuchten bringt.ROLF-BERNHARD ESSIG
HERMAN BANG: Sommerfreuden. Erzählungen. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2007. 348 Seiten, 19,90 Euro.
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