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Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth fordert in ihrer Streitschrift die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Mann und Frau – und noch viel mehr
Der Klimawandel, die Corona-Krise, der Krieg, der von Europas Außengrenzen in das Bewusstsein aller drängt, Flucht und Vertreibung: Das Bild, das die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) schon gleich zu Beginn ihres Buchs „Parität jetzt!“ zeichnet, ist das einer Menschheit inmitten einer Welt multipler Krisen. Und sie macht deutlich: Wir brauchen Veränderung, wir müssen handeln. Dabei gibt sie sich, anders als der Titel vermuten ließe, keineswegs damit zufrieden, den Blick nur auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu legen – die Forderung dessen scheint vielmehr Mittel zum Zweck zu sein, eine Möglichkeit, um das düstere Bild der Gegenwart, wie sie sich darstellt, wieder in helleres Licht zu rücken. „Das Vertrauen in die Zukunft ist keine Selbstverständlichkeit mehr“, schreibt sie. „Die menschliche Allmacht zeigt Risse.“ Also brauche es nun radikale Veränderungen – weniger als das reiche nicht mehr aus. Es brauche ein neues Denken, ein neues Handeln.
Parität jetzt! So drängend wie der Titel bleibt jede Seite dieser kompakten Streitschrift, die auf 128 Seiten einen Rundumschlag aufs Papier bringt. Sie ist eine Bestandsaufnahme der heutigen Situation, ein Rückblick auf die vergangenen 150 Jahre und ein auf Zukunft ausgerichtetes Plädoyer zum Handeln, zum Kämpfen für und Manifestieren von Veränderung, indem alte Strukturen, Rollenbilder und Klischees aufgebrochen werden. Dabei eint Parität für die jüngst 85 Jahre alt gewordene Politikerin „Gleichheit und Partnerschaft, meint wechselseitige Anerkennung und Wertschätzung im Anderssein. Wir sind verschieden und wir sind gleichberechtigt, beides passt und gehört zusammen.“
Für Süssmuth, von 1986 an die erste Frauenministerin auf Bundesebene, ist gelebte Gleichberechtigung ein politisches Lebensthema. Und auch im hohen Alter bleibt sie noch immer eine Kämpferin, die ihre Zeilen mit einem offenen, unideologischen Blick verfasst – klug, weitsichtig, modern. Ihr Plädoyer ist eines, das deutlich macht, dass Fortschritt keine Frage des Alters ist, sondern eine des Geistes. Und sie möchte noch einmal mitmachen, möglichst viele erreichen und gewinnen: „Jetzt sind wir dran, eine Welt, die immer noch von alten Machtstrukturen beherrscht wird – von Gewalt, Krieg und Zerstörung, Folter und Mord, Flucht und Vertreibung –, umzukrempeln und gleichzeitig eine Neuausrichtung zu schaffen“, schreibt sie. „Die Zeit dafür ist scheinbar ungeeignet, doch wann wäre sie angesichts der Herausforderungen je verpflichtender gewesen als jetzt?“
Also schreibt sie. Für Alt und Jung, Mann und Frau, Menschen in allen Lebenslagen. Und von jedem Einzelnen fordert sie ein Bekenntnis zur Sache, zur Gleichberechtigung aller und nimmt dabei stets die ganze Gesellschaft in den Blick, nicht einmal nur ein Land, nicht nur Deutschland, sondern gleich die ganze Welt. Alles ist miteinander verwoben, das macht sie deutlich. Alles gehört dazu. Sie spricht von der einen Welt, von allen Frauen weltweit. Gleichheit wird zum universalen Menschenrecht, zur Verpflichtung und Voraussetzung für Demokratie.
Der Drang, die Welt zu verbessern, gehe von Männern und Frauen gleichermaßen aus, doch es müsse auffallen, dass die weibliche Stimme lauter werde, ihr Weckruf sei international unüberhörbar. Das sei die Stunde der Frauen. Ohnmächtig und ohne Ideen seien sie nie gewesen, allerdings ausgegrenzt und von Ideologien umstellt. Die Corona-Krise nimmt Süssmuth zum Anlass zu warnen, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was erreicht wurde, denn: „Wir sind nicht im Aufstieg zu einer paritätischeren Welt, sondern, mehr denn je, im Abstieg begriffen, weg von ihr.“ Schließlich seien in der Pandemie alte Machtverhältnisse durchgebrochen, ob in männlicher Gewalt gegen Frauen und Kinder oder bei Paaren, die gleichberechtigt leben wollen und doch wieder auf überkommene Versorgungsmuster zurückgreifen.
Angesichts dieser Entwicklungen und der längst nicht angemessenen Repräsentanz von Frauen hat Süssmuth keine Geduld mehr. Die Zeit des Wartens auf mehr Frauen, auf mehr sichtbare Veränderung in der Gestaltung von Politik müsse vorbei sein, fordert sie. „Das können wir nicht mehr verantworten.“
Dabei klingt die Verantwortung, ja sogar die Verpflichtung, die die langjährige Politikerin empfindet, immer wieder an. Angesichts der Katastrophen und Herausforderungen verspüre sie eine Ohnmacht. Aber der Gedanke und die Entscheidung, nicht aufzugeben, nicht länger zu warten, sei stärker.
Und so mahnt sie, rüttelt auf und wach, wischt den Staub von den Diskussionen um Quoten und Gleichstellung und will Veränderung, bis Gleichberechtigung nichts weiter ist als gelebte Realität. „Wir müssen weitermachen“, sagt sie, „weil die instabile, vor neuen Kriegsgefahren bedrückende Lage, der überlastete Planet, die verunsicherte und auch von äußerst schwierigen Lebenslagen überforderte Menschheit Hilfe und Ermutigung brauchen.“ Also fordert sie Parität, und sie fordert sie jetzt – immer wieder, in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen.
SARA MARIA BEHBEHANI
Rita Süssmuth:
Parität jetzt!
Wider die Ungleichheit von Frauen und Männern
Eine Streitschrift. J.H.W. Dietz-Verlag, Bonn 2022.
128 Seiten, 16,80 Euro.
E-Book: 14,99 Euro.
(im Handel von Dienstag, 8. März, an)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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