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die in
den Schatten
will
Der Marxist und
Feuilletonist
Dietmar Dath hat ein
Buch über die
Popsängerin Miley
Cyrus geschrieben.
Die Geschichte begann in Frankfurt am Main, an einem Juniabend. Der Ex-Spex-Chefredakteur und FAZ-Feuilletonist Dietmar Dath stand im Publikum eines Miley-Cyrus-Konzerts, eher versehentlich. Eigentlich war er wegen des Voracts gekommen und wollte sich „der Fairness halber“ den Hauptact, diese Miley Cyrus, nur kurz anhören. Keine zwölf Minuten später hatte die damals 21-jährige Popsängerin „dem Heini“ all seine Vorurteile „aus dem dummen Kopf“ geblasen. Dath ist begeistert, er wird bekennender „Cyruloge“, und hier könnte diese Geschichte spannend, rührend, aufschlussreich werden, wäre sie nicht schon wieder zu Ende. Denn „MC“, wie Dath sie in dem Buch abkürzt, kann dem Feuilletonisten Dath zwar seine Vorurteile, nicht aber die Lust, es sich im mäandernden Intellektualisieren bequem zu machen, aus dem Kopf treiben.
Dietmar Dath hat im Reclam-Verlag bereits 100 Seiten über Hegel und Karl Marx veröffentlicht, natürlich stechen die 100 Seiten über Popsternchen Miley Cyrus Hoffnung erweckend aus dieser Reihe heraus. Denn das Genre der Popbetrachtung, der Zeichendeutung ist auch eine Zeitendeutung, die bereichernd, welterschließend wirken kann. Wie das etwa Diedrich Diederichsen in seinem Buch „Über Pop-Musik“ geglückt ist, in dem er unter anderem die komplizierte Beziehung zwischen Fan und Pop fein und liebevoll auseinanderzwirbelte. Fantastische Idee also, sich mal Miley Cyrus vorzunehmen, die sich seit Mitte der Nullerjahre mit Skandalen, Abrissbirnen und Schaumstofffingern als Pop-Phänomen beständig unsere Aufmerksamkeit sichert und damit sehr viel Fläche zum Nachdenken bietet. Allerdings spannt Dietmar Dath die Gedankenbögen auf diesen wenigen Seiten weit, sehr weit, assoziiert vom amerikanischen Bürgerkrieg über Glen Campbell, reiht Namen an Namen, Beyoncé, Johnny Cash, Lorde, zitiert ein bisschen Karl Kraus. Er erschließt sich die Herkunft von Miley Cyrus, das heißt Tennessee und Nashville über Countryhistorie und nennt ihre Patentante Dolly Parton mindestens zwei Mal zu oft eine „gute Fee“. Dabei schleudert es ihn weit weg von der Frau, über die er eigentlich schreiben will.
Am stärksten sind die Passagen im Buch, in denen Dietmar Dath tatsächlich etwas an Miley Cyrus selbst beobachtet. Etwa ihre Stimme, die „verblüffend dunkel“ ist, eine Stimme, so zitiert er einen Freund, „die in den Schatten will“. Oder die Art, wie Miley Cyrus spricht, wie sie beim Reden die Worte knetet. Oder indem er ihre musikalische Vielseitigkeit analysiert, eine Szene erzählt, in der Miley Cyrus mit dem Fernsehmoderator Jimmy Fallon in einem U-Bahn-Durchgang in New York ohne Verstärkung Dolly Partons stimmliche Großherausforderung „Jolene“ singt. Denn genau das ist es, was interessiert: Wie gelangt man zur Begeisterung? Und nicht: Wie gelangt man zur Theorie?
Dath erkennt die Zeichen in Miley Cyrus’ Leben: Zum Beispiel die Sache mit der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, wenn sie als Teenie mit der Fernsehfigur „Hannah Montana“ berühmt wird, die ein Doppelleben als Popstar mit einem berühmten Musikervater führt und gleichzeitig normaler Teenager sein will. Miley Cyrus wird selbst zu diesem Star, bei dem sich Privatleben und öffentliches Leben kaum mehr trennen lassen. Um sich später von jenem süßen, braven Teenie-Image zu lösen, muss Miley Cyrus Hannah Montana laut Selbstaussage ermorden, die Tatwaffe ist Sex.
Bei den MTV Music Awards räkelt sie sich in fleischfarbener Unterwäsche und fummelt mit einem Schaumstofffingerhandschuh an sich herum.
Was Dath leider weniger zu interessieren scheint, sind die Geschichten in Miley Cyrus’ Biografie, die doch in ihr Werk einwirken: Die turbulente Ehe der Eltern wird in einem Halbsatz abgewickelt, die eigene frühe Ehe und der Beziehungsbruch mit Schauspieler Liam Hemsworth, überhaupt der ganze Wahnsinn, in den Miley Cyrus reingeboren wurde, ist kaum der Rede wert. Große Erkenntnisse münden in umständlichen Sätzen wie: „Was sie am besten kann, auf der Bühne, im Studio, im Fernsehen oder im Kino, ist die Herstellung von Situationen, in denen die Angst davor, man könne sich blamieren, die Luft anhalten muss.“ Oder: „MC sendet Sachen, die noch nicht fertig sind.“
Am Ende hat man all die Stationen, Auftritte, Alben des Popstars zusammen mit Marx, Kunsttheorie, Kapitalismus gestreift. Interessant, ja. Nur der Mensch Miley Cyrus bleibt bei alldem seltsam blass.
MARLENE KNOBLOCH
Dietmar Dath:
Miley Cyrus.
Reclam, Ditzingen 2024. 100 Seiten, 12 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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