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© BÜCHERmagazin, Melanie Schippling
Die deutsch-kroatische Autorin Marica Bodrožić hat ein streitbares Manifest für eine Sprache des Friedens geschrieben
Ist die Gesellschaft verunsichert und die Zukunft ungewiss, flieht die Sprache in politische Parolen und gute Absichten. Da wird dann plötzlich wieder „Wir sind das Volk“ gerufen und im Fernsehen über Flüchtlinge zum Anfassen berichtet. In einer solchen Umgebung fällt es auf, wenn eine Autorin für eine neues Sprechen plädiert, für eine Sprache der Friedfertigkeit. Marica Bodrožićs Reisebericht „Mein weißer Frieden“ kann man so verstehen.
Bekannt geworden ist Bodrožić seit ihrem Erstling „Tito ist tot“ (2002) mit Romanen, Gedichten und Essays, die sich immer wieder mit ihrer Kindheit in Kroatien und dem Landwechsel nach Deutschland, mit Mehrsprachigkeit und Lebensläufen, in die sich der Krieg eingeschrieben hat, auseinandersetzen. Gerade wurde sie für ihr Werk mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet. „Jene, die wir kannten und geliebt hatten, zogen sich neue Gesichter an, mit richtigen Reißverschlüssen in den Augen“, schreibt sie in ihrem Essayband „Sterne erben, Sterne färben“ über den Bruch, den die Kriege der Neunzigerjahre für ihr Leben bedeuteten, auch wenn sie schon seit 1983 mit ihren Eltern in Hessen lebte.
In ihrem neuen Buch wollte sie, so sagt Bodrožić im Gespräch, von ihrem autobiografischen Ich aus sprechen. Mehrere Jahre hat sie daran gearbeitet und ist im ehemaligen Jugoslawien herumgereist, um Gespräche zu führen, die Nachkriegslandschaft zu beschreiben und ihre Landsleute zu verstehen. Von dieser Reise erzählt „Mein weißer Frieden“. Wer jetzt erwartet, dass dieses Buch sich in die Traditionen deutschsprachiger Kriegs- und Nachkriegsliteratur einreiht, die sich am „Hinsehen“ und „Aussprechen“, an der schonungslosen Zeugenschaft und ihren Aporien abarbeiten, wird entsetzt sein. Auf eine „radikal innere Reise“ habe sie die Arbeit an ihrem Buch geführt, erklärt Bodrožić. Sie habe die Dinge dieses Mal bis zu dem Punkt durchdringen wollen, an dem man auf den „unbeschrifteten“, den nackten Menschen treffe.
In „Mein weißer Frieden“ ist viel von Schönheit die Rede, von Poesie und Liebe, von den Bäumen und dem Meer, von Ehrfurcht und der Gnade, wenn einem „das Lebendigwerden des Wortes ‚beschützen‘ zuteil“ wird. Dabei an Peter Handke zu denken, liegt auf der Hand, und es drängt sich die Frage auf, weshalb diese Gegend einige Autoren zu solch einem hohen Ton herausfordert. Bodrožić schreibt im ständigen inneren Dialog mit Philosophen, Denkern und Intellektuellen eine Sprache des Herzens, die mit dem Blick in den Sternenhimmel und der Erinnerung an den Vater einsetzt, während der Begegnungen mit ehemaligen Soldaten und ganz gegenwärtigen Nationalisten aufrechtgehalten wird und in der Hymne auf die Frauen von Sarajevo, denen das Buch gewidmet ist, ihre Entsprechung im Handeln findet.
Marica Bodrožić denkt und schreibt sich auf ihre Weise in verbotene Zonen und an die Grenzen ihrer Ängste. Ihr Buch richtet sich programmatisch gegen eine Leidens-Ideologie, deren Symbol Jesus am Kreuz ist. Bodrožić glaubt nicht, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sein muss. Mehr über den Frieden als über den Krieg habe sie nachdenken wollen, sagt sie und schreibt: „alles Lebendige ist miteinander verbunden“. Ihre Sprache zeigt eher die Distanz zum Kriegsgeschehen als eine Annäherung.
So blauäugig und esoterisch das klingen mag, Bodrožić ist nicht blind. Sie kritisiert den deutschen Bundespräsidenten, der 2012 behauptet hat, Europa blicke auf sechzig Jahre Friedenszeit zurück. Sie stößt auf mörderische Parolen wie „Der Sommer ist da, uns dürstet nach Braten, das wird eine schöne Leckerei, wir grillen uns Kroaten“ und berichtet von der kaum latenten Gewaltbereitschaft eines Stalinisten. Vielleicht provoziert es dieses Klima, dass Bodrožić ihre Weltsicht so militant vertritt. Brisant ist das auch, weil hier eine Emigrantin zurückkehrt und über diejenigen urteilt, die den Krieg erlebt haben: „Nur jene, die das zerbrechende, in Krieg und Leid gestürzte Land verließen, konnten sich aus dem unnachgiebig erpresserischen Würgegriff einer kollektiv-empörten Gemeinschaft lösen und sich neu in einer anderen Umgebung und Sprache denken.“ Sind solche unheimlichen Sätze Reaktionen auf den Widerstand, den Bodrožić auf ihren Reisen erfahren hat? Und spiegeln sich darin europäische Konflikte im Prinzip als Streitigkeiten, die typischerweise zwischen Emigranten und inneren Emigranten stattfinden?
Eigentlich entwirft „Mein weißer Frieden“ die Idee einer harmonischen Menschheit, in der jeder sich auf sein „Selbst“ besinnt. Weil Bodrožić aber von der erhöhten Warte moralischer (Selbst-)Gerechtigkeit aus über andere, ja, richtet, schreibt sie ihrem „Buch des Friedens“ eine Brutalität ein, die sich auch in solchen Formulierungen zeigt: „Wie kann man einen Menschen erschießen, wenn der Wind in den Palmen singt?“ Hieße der Umkehrschluss, außerhalb des Idylls wären Erschießungen annehmbar?
Man könnte es sich leicht machen und der Autorin vorwerfen, sie falle hinter die Aufklärung zurück. Die Frage aber, von der ihr Buch ausgeht, ist relevant: Reproduziert unser in Posen erstarrtes, vermeintlich aufklärerisches und aufklärendes Sprechen schon längst die Gewalt, die es abwehren will?
INSA WILKE
Marica Bodrožić: Mein weißer Frieden. Luchterhand Literaturverlag, München 2014. 336 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Schreibt sich in verbotene Zonen: Marica Bodrožić.
Foto: Luchterhand Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Ist eine Friedensreise auch friedenspreiswürdig? Marica Bodrozic schreibt distanzlos über den Bosnien-Krieg
Könnten Palmen einen Krieg verhindern, so müsste man sich um die südliche Hälfte der Welt keine Sorgen machen. Sie werden es wohl nie können. Aber wenn die Schriftstellerin Marica Bodrozic in der Landschaft ihrer Geburt unter einer Palme steht, kann sie es nicht glauben: "Wie kann man Menschen erschießen, während der Wind in den Palmen singt?", fragt sie sich auf der Reise entlang der Spuren der Jugoslawien-Kriege, mit Schwerpunkt auf Kroatien. Dreimal klingt diese Fassungslosigkeit an. Die Palme, das ist der Fetisch von Bodrozics Naturmystizismus. Für die Palme, diese elegante Krone der Natur, gilt, genauso wie für den Menschen, die Unschuldsvermutung - von seiner "ursprünglichen Reinheit" ist sogar die Rede. Darauf muss sich einschwingen, wer 330 Seiten Kriegs-, Gesellschafts- und Reisereflexionen durchstehen will.
Sie beginnen mit einem jener Erinnerungsbilder, für deren Aura aus Verklärung und Verletzlichkeit die Autorin geliebt wird. Nachdem der Vater dem Kind nächtelang die Sterne erklärt und als lebende Wesen nahegebracht hat, drückt er ihm, in unerklärter Widersprüchlichkeit, am Heiligabend eine Pistole in die Hand: "Es half kein Weigern und kein Weinen. Schieß den Sternen in den Bauch, sagte er und hielt meinen Körper fest, der Schuss fiel, ich zitterte am ganzen Leib. Habe ich die Sterne erschossen, fragte ich ihn, erhielt aber keine Antwort." Man kann diese unvermittelt gewaltsame Szene als prophetisches Bild lesen: als Vorbereitung auf eine Zeit, in der nicht die Beziehungen zählen, die Menschen zu dem sie umgebenden Kosmos aufgebaut haben, sondern die Befehle zu dessen Zerstörung.
So kam es. Tito starb, der jugoslawische Kosmos, dessen Gesetze für das Kind ehern schienen, zerfiel, es folgte - mehr zeitlich als kausal - mit den Jugoslawien-Kriegen der tragische Abschluss des "Jahrhunderts der Wölfe". Marica Bodrozics autobiographisch gefärbte Bücher widmen und widersetzen sich seit ihrem Debüt "Tito ist tot" dieser speziellen Art des Kindheitsverlusts. Die Autorin kam als zehnjähriges Mädchen, das zuvor in Dalmatien beim Großvater aufgewachsen war, 1983 zu den Eltern nach Deutschland. Die vormals äußere Welt fand, so lässt es sich lesen, in der inneren Welt der Vorstellung ein Exil. Dieses imaginierte Land, gleichsam eine Annäherung an einen als ursprüngliches Sehen erlebten Zustand der Kindheit, prägt sich oft als poetologischer Ausgangspunkt von Bodrozics schriftstellerischem Denken ein.
Auch in "Mein weißer Friede" gibt es wieder schöne Zeugnisse eines so gestimmten Schauens. Nicht selten ist es ein Staunen, die "über das Wissen der Haut vollzogene Erkenntnis im Alter von fünf Jahren, dass nicht meine blaue Strickjacke kleiner, sondern ich selbst größer wurde". Eine buchstäbliche Sternstunde dieses am Kindheitsblick geschulten Differenzwahrnehmens ist der Essay "Sterne erben, Sterne färben" (2007) über das Aneignen der deutschen Sprache.
"Mein weißer Friede" ist dagegen ein Unterfangen, das die kindliche Vollkommenheitssehnsucht der Autorin mehr und anders als die bisherigen Werke auf die Probe stellt. Das im Titel zugleich erklärte und verklärte Ziel lautet Aufarbeitung. Das "Erbe des Krieges", seine "dunklen Gaben, die wie eine lauernde Krankheit in den Gesichtern, Geschichten, Körpern, Sätzen und der Vorstellungskraft der Menschen weiterleben", müssen verwandelt werden in den "weißen Frieden" eines Gesprächs "mit dem inneren Selbst", den es "ohne Bewusstsein nicht geben kann". Das geschieht in 24 Episoden mit Eindrücken von Reisen nach Split, Sarajewo, Mostar, zu den dalmatischen Kindheitsorten, in die Krajina, auf die kroatischen Inseln oder ins amerikanische Dayton.
Die Hauptschwierigkeit dieser Bewusstseinsreisen liegt darin, dass ihr Inhalt, anders als die äußeren Entfernungen, nahezu unendlich ist. Welche Fragen des zwanzigsten Jahrhunderts müssen wiederholt werden, welche neu gestellt? Mit welchen Denkern lässt sich das Umschlagen von Zivilisation in Barbarei begreifen, und wie lässt sich eine entsprechende Realität literarisch rekonstruieren? Und weiter die spezifischeren Fragen: nach der Selbstfindung posttotalitärer Staaten in einem nationalstaatlich geprägten Europa etwa oder der empfindlichen Nähe von Nationalismus und Faschismus.
Dafür befragt Marica Bodrozic etwa zwei Dutzend Denker und Autoren. Die Selbstverantwortung einer Sophie Scholl wird ebenso angeführt wie Hannah Arendts Einschätzung von der "Oberflächlichkeit des Bösen" oder etwa Dzevad Karahasans Vergleich zwischen industrieller Serienproduktion und vereinheitlichendem Nationalismus. Der Versuch, ein zivilisatorisches Rezept gegen den Krieg zu finden, muss sich jedoch als unhaltbar romantisch herausstellen. Gerade die Jugoslawien-Kriege im Post-Holocaust-Europa haben gezeigt, dass Frieden heute weniger eine zivilisatorische Errungenschaft als in erster Linie eine politische ist. Das gilt seit Anbruch der digitalen Zeitrechnung umso mehr. Politische Analysen aber liefert Marica Bodrozic genauso wenig, wie sie sich zu einer literarischen Transzendenz freischreiben kann.
Es ist nicht leicht, ihr auf die Reise zu folgen. Widerstände bauen zudem die häufigen Generalisierungen bis hin zu Spekulationen auf. Die Natur scheint gut, die Menschenmasse schlecht, ein Mann gerät allein ob seines Stotterns in den Verdacht, eine Kriegsschuld auf sich geladen zu haben. Solche Undifferenziertheiten des Denkens ecken zuweilen auch sprachbildlich an. Über den kroatischen Kriegszeitpräsidenten Tudjman heißt es einmal, er sei, "aus der Distanz betrachtet, ein lispelnder Mensch" gewesen. Das klingt, als würde die Autorin die Weltgeschichte durchs Opernglas verfolgen.
Sie stößt jedoch nicht nur beim Versuch eines einordnenden Begreifens an Grenzen. Auch die biographisch-dokumentarische Annäherung an ihr Sujet verhindert den Zugang teilweise mehr, als dass sie ihn fördert. Nicht nur die zeitliche Nähe zum Geschehen, sondern auch die Nähe zum Gegenüber sind für eine sachliche Auseinandersetzung eher von Nachteil. Viel transportieren die Gespräche bei Feigen und türkischem Kaffee jedenfalls nicht. "Jeder trägt seinen Teil der Erinnerung, so gut er kann", wird einmal in Mathias Enards Kriegsepos "Zone" behauptet. Davon lässt sich die Friedensreisende Bodrozic zu schnell und zu widerstandslos überzeugen. Ihr bleibt am Ende nur die Predigt.
ASTRID KAMINSKI
Marica Bodrozic: "Mein weißer Frieden".
Luchterhand Verlag, München 2014. 336 S., geb., 19,99 [Euro].
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