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Christian Gerhaher gehört zu den größten Liedsängern der Gegenwart. In seinem wunderbar klugen Buch erzählt er von besonderen Momenten seines Lebens als Sänger und denkt über große Werke der Liedgeschichte nach, die ihn in besonderer Weise faszinieren, von Ludwig van Beethoven über Franz Schubert, Robert Schumann und Gustav Mahler bis in die Gegenwart. Dabei können ihn auch unerwartete Erlebnisse zu weitreichenden Einsichten führen. Ein Erlebnis mit einem Flugzeug etwa erschließt ihm ein Grundmotiv der gesamten Liedtradition – das Motiv der Liebesbotschaft. Aus seinem intensiven Umgang mit den…mehr

Produktbeschreibung
Christian Gerhaher gehört zu den größten Liedsängern der Gegenwart. In seinem wunderbar klugen Buch erzählt er von besonderen Momenten seines Lebens als Sänger und denkt über große Werke der Liedgeschichte nach, die ihn in besonderer Weise faszinieren, von Ludwig van Beethoven über Franz Schubert, Robert Schumann und Gustav Mahler bis in die Gegenwart. Dabei können ihn auch unerwartete Erlebnisse zu weitreichenden Einsichten führen. Ein Erlebnis mit einem Flugzeug etwa erschließt ihm ein Grundmotiv der gesamten Liedtradition – das Motiv der Liebesbotschaft. Aus seinem intensiven Umgang mit den Werken heraus erklärt Christian Gerhaher uns Besonderheiten der großen Liedkomponisten, deutet berühmte Liederzyklen und bringt uns weniger berühmte Werke nahe, die ihn immer wieder erstaunen und berühren. Sein sensibler Blick gilt ebenso der Musik wie den vertonten Gedichten und der spannungsreichen Einheit, die beide im Lied bilden. Er spricht über Ansprüche, die bestimmte Lieder an den Sänger stellen, über Gelingen und Misslingen, über die technische Seite des Singens und das spezielle Verhältnis zwischen Sänger und Publikum. Sein Buch öffnet uns die Ohren und beschert uns herrliche Entdeckungen in der reichen Welt des Liedes.
Autorenporträt
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Judith von Sternburg empfiehlt das Buch des Baritons Christian Gerhaher. Dass Gerhaher nicht nur singen, sondern sich auch kenntnisreich und selbstironisch über die Kluft zwischen Anspruch und Realität in seinem Beruf, über Champagner-Arien, Schubert, Schumann, Rihm und Holliger, Werktreue und das Kunstlied an sich auslassen kann, findet Sternburg bemerkenswert. Einblicke in die "Handwerksstube eines Sängers", die der Rezensentin hochinteressant erscheinen, genau, belesen, witzig und mitunter gar anekdotisch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2022

Planen muss der Sänger, nicht sich einfühlen
Ins Abstrakte drängt die Kunst: Christian Gerhaher über Lieder von Schubert bis Rihm und ihren Vortrag

Nicht nur Christian Gerhahers Gesang ist geballte Intelligenz. Der Bariton, studierter Philosoph und Mediziner, hat vor Jahren schon einen Vortrag über "Die schöne Müllerin" und "Die Winterreise" von Franz Schubert gehalten, der vor Brillanz funkelte. Da erlebte man einen Interpreten, der es sich nicht gemütlich machte im Abnicken von Bewunderung für große Werke und sich nicht erbötig zeigte bei der Befriedigung von Bedürfnissen der Tränenbader.

Für Gerhaher ist "Die schöne Müllerin" der wirklich tragische Zyklus, der tödlich endet, weil der Müllerbursche gar nicht lebenstauglich sei: Er könne nicht handeln, ohne immerfort durch das Nachdenken über Gründe und Wirkungen seines Handelns verunsichert zu sein. Der Wanderer in der "Winterreise" hingegen sei - zumindest in den Texten von Wilhelm Müller - viel wehrhafter, oft sarkastisch. Den Zyklus als "Reise zum Tod" zu deuten, sei "ein Lieblingsthema von Feuilletonisten" geworden, behauptete Gerhaher vor neun Jahren. Diese "larmoyante Interpretationsweise" hielt er schon damals für "revisionsbedürftig". Für ihn ist der Wanderer kein Aussteiger, sondern ein Ausgestoßener, der aufbegehrt. Der Tod sei kein Ziel, sondern zeitweilige Versuchung, schlimmstenfalls Pose, Koketterie oder eiskalte Erpressung von Aufmerksamkeit.

Ein guter Teil dieser Überlegungen floss nun ein in Gerhahers "Lyrisches Tagebuch. Lieder von Franz Schubert bis Wolfgang Rihm", wobei man das Tagebuch im Titel nicht ernst nehmen darf. Die Verbindung künstlerischer Überlegungen zum Liedrepertoire mit dem Leben des Sängers, so reizvoll die Idee an sich ist, findet nur gelegentlich statt. Oft wird sie erst gar nicht gesucht. Über das außermusikalische Leben von Christian Gerhaher verrät das Buch wenig. Seine Herkunft aus dem ländlich geprägten Niederbayern wird kurz gestreift; das durch den Titel geweckte voyeuristische Bedürfnis nach Einblick ins Privatleben dürfte mit dem Geständnis einer Faszination für den Film "Avatar" und seinem Heißhunger auf Gummibärchen mehr enttäuscht als gestillt werden. Stattdessen geht es um die sängerische Auseinandersetzung mit Kunst, die nach Gerhahers Überzeugung ins Abstrakte dränge, weil sie nur dank der Entfernung vom Biographisch-Konkreten jene Allgemeingültigkeit erlange, die jeden Menschen anzusprechen vermag.

Analytisch nähert sich Gerhaher den Werken - im Wesentlichen den Liedern Franz Schuberts, Robert Schumanns, Gustav Mahlers, Heinz Holligers und Wolfgang Rihms - ebenso wie deren Darbietung. Bei jedem Liederabend, so Gerhaher, sei "eine persönlich anmutende Ansprache jedes Hörers" Teil der "Abmachung". Das Authentische und Intime ist eine kommunikative Konvention und damit letztlich Illusion: "Sogar wenn ein Zuhörer meint, der Darsteller habe die vorgetragenen Lieder 'gelebt', ist doch völlig klar, dass auch dies nur Teil der Darstellung ist. Je konkreter allerdings diese Darstellung wird, je naturalistischer das imaginierende Ansinnen des Liedsängers ist, desto mehr entfernt sich die Aufführungshaltung von der eher dem Abstrakten sich verschreibenden lyrischen Konzeption des Liedes hin zum konkreteren Spiel des Musikdramas. Die inhaltliche Neigung zum Abstrakten, die ich allgemein für das Lied einfordern würde, hat jedoch nichts damit zu tun, dass für dessen Darstellung die Illusion der Individualität im Medium des Sängers erforderlich ist." Diese Dialektik zwischen einer notwendigen individuellen Beteiligung und einer ebenso notwendigen Abstraktion von ihr ist von geradezu Proustscher Finesse.

Die Identifikation des Sängers mit seiner jeweiligen Rolle sei generell zu vermeiden: "Sein eigenes Leben und Empfinden in die Gestaltung einer Rolle oder eines Liedes einfließen zu lassen hat nämlich keine zwingende, eher nur eine kontingente Auswirkung auf die Tongebung. Diese Tongebung sollte in meinen Augen eher das Ergebnis einer planenden Disposition sein, welche eine klanglich zu bewerkstelligende Distanzierung des formenden Gedankens benötigt: Eine eindringliche Helligkeit oder eine gedämpfte Dunkelheit der Stimme zum Beispiel sind dann beide nicht unmittelbarer Ausdruck der Emotionslage des Darstellers, sondern geplantes Medium des Verständnisses, welches der Darsteller vom aufzuführenden Werk und dessen emotionalem Gehalt entwickelt hat."

Gerhaher bringt instruktive Beispiele dieser Arbeit am Text, bei der die Stimmtechnik zum kalkuliert eingesetzten Mittel für emotionale Wirkung oder gedankliche Verdeutlichung wird: etwa den Einsatz des Portamentos, also des Verschleifens von Tönen, in der ersten Strophe des "Lindenbaums" aus der "Winterreise" zur Kennzeichnung dieser Strophe als Idyll, das in den Folgeversen zerschlagen werde.

Manchmal legt Gerhaher am lyrischen Ich der Texte unsympathische Züge frei: Liebesnarzissmus, der vor dem mühsamen Alltag ausweichen will. "Die Sehnsucht wäre vorbei, wenn das Paar zusammenleben dürfte, ja müsste, wenn an die Stelle des mehr mit sich selbst beschäftigten Verliebtseins nun endlich Liebe in Gegenseitigkeit treten müsste." Oft, so beobachtet Gerhaher scharfsinnig, schafft sogar die Musik selbst erst die Bedürftigkeit für jenen Trost, den sie uns dann spendet, was - wenn man es weiterdächte - etwas über die "freie Kunst" als Marktagentin im Kapitalismus der Gefühle verriete.

Angesichts von Mahlers "Kindertotenliedern" freilich steht auch Gerhaher vor unlösbaren Widersprüchen. Friedrich Rückerts Gedichte über den Tod seiner Kinder seien zwar "höchst kunstvoll, aber kein Kunstwerk", weil sie ästhetisieren, was sich zu ästhetisieren verbiete. Dass Mahler sie vertonte, obwohl er "bei diesem Thema nichts zu bewältigen" hatte (Mahlers Tochter starb erst deutlich nach der Komposition), erklärt Gerhaher durch den Drang nach "Einfühlung". Wer die Zeugnisse über Mahler als Mensch und die Egozentrik seiner persönlichen Äußerungen kennt, könnte auch - Gerhaher tut das freilich nicht - den Verdacht äußern, dass Mahler sich zum Trittbrettfahrer der privaten Katastrophe eines anderen macht und damit eine Art Mitleidspiraterie betreibt. Das würde sich mit Gerhahers Überlegungen zur Posenhaftigkeit von Müllers Texten in der "Winterreise" berühren.

Die analytische Arbeit in diesem Buch ist sehr textzentriert. Genuin musikalische Fragen der Satztechnik oder der Harmonik, auch der asynchronen Phrasenverläufe etwa in Schumanns großartigem "Einsiedler" nach Eichendorff, werden gar nicht gestellt. Auch Fälle, in denen musikalische Sinneinheiten erst durch das Ineinandergreifen von Stimme und Klavier entstehen, werden kaum untersucht. Das Klavier bezeichnet Gerhaher gar als neutral und objektiv im Ton, worüber sein ständiger Begleiter Gerold Huber sich im Stillen wohl seinen Teil dazu denkt.

Doch Beobachtungen wie die zur Klang gewordenen Körperlichkeit des Denkens in den Liedern Rihms oder zum Unterschied zwischen Schubert, der eine - ironiefreie - Psychologie des lyrischen Ich betreibe, und Schumann, der seine eigene Kunst metaphysisch als Deutung von Welt-Sinn zu rechtfertigen suche, nimmt man bei der Lektüre als große Bereicherung mit. JAN BRACHMANN

Christian Gerhaher:

"Lyrisches Tagebuch". Lieder von Franz Schubert bis Wolfgang Rihm.

C. H. Beck Verlag, München 2022. 334 S., geb., 25,- Euro.

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Judith von Sternburg empfiehlt das Buch des Baritons Christian Gerhaher. Dass Gerhaher nicht nur singen, sondern sich auch kenntnisreich und selbstironisch über die Kluft zwischen Anspruch und Realität in seinem Beruf, über Champagner-Arien, Schubert, Schumann, Rihm und Holliger, Werktreue und das Kunstlied an sich auslassen kann, findet Sternburg bemerkenswert. Einblicke in die "Handwerksstube eines Sängers", die der Rezensentin hochinteressant erscheinen, genau, belesen, witzig und mitunter gar anekdotisch.

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