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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie man das Theater lieben kann und trotzdem nicht verrückt dabei wird:
„Kinder der Stadt“, das Romandebüt der Dramatikerin Olga Bach.
Da stehen sie nun, Irina und Orhan, ziemlich zerstritten mit ihrer Freundin Maria, und schauen dumm aus der Wäsche. Das gut finanzierte Kunstprojekt, das die drei zusammen machen sollten, ist gescheitert. Denn Maria hat keine Lust, die „Quoten-Ossi“ zu geben, wie man es dafür von ihr erwartet. Zu klischeehaft.
Das Berliner „Museum für Identität und Wiedervereinigung“ wollte mit dem Projekt eine „erinnerungspolitische Lücke“ schließen: Eine Westdeutsche, eine Ostdeutsche und ein Sohn türkischer Migranten aus Kreuzberg, alle um die Wende herum geboren, sollten erzählen, was es heute bedeutet, „Identität, kollektiv und individuell, vereinigt, aber doch differenziert in einer Stadt wie Berlin zu verorten“. Es ist November 2019 und noch ahnt niemand, dass im Frühjahr 2020 die Pandemie kommt. Das Projekt scheitert.
So schließt die Dramatikerin Olga Bach mit ihren Mitteln die „erinnerungspolitische Lücke“. Sie nimmt durch die Perspektive ihrer Protagonistin Irina den himmelschreiend konstruierten Auftrag des Museums ernst und erzählt in ihrem Romandebüt „Kinder der Stadt“ selbst von jenen um die Wende herum Geborenen, von Maria, dem Regisseur Orhan und der Dramatikerin Irina.
Olga Bach, 1990 in Berlin geboren, ist eine der spannendsten Dramatikerinnen im deutschen Theater. Zusammen mit dem Regisseur Ersan Mondtag hat sie seit dem Stück „Die Vernichtung“ 2016 einige verstörend bis grenzgeniale Theaterprojekte realisiert. Sie, so wirkt es immer, der analytische Kopf, er, der Impulsgetriebene. Derzeit arbeitet Bach aber als Rechtsreferendarin, Jura hat sie auch noch studiert.
In „Kinder der Stadt“ greift sie mehrere Geschichten auf verschiedenen Erzählebenen auf. Die Gegenwart um den Start des Kunstprojekts ist aus der Ich-Perspektive von Irina erzählt, ein parallel laufender Strang ist in der dritten Person geschrieben und führt durch die Teenagerzeit der Freunde. Es geht um Beziehungen zwischen Kindern und ihren Eltern, um den Theaterbetrieb, um das Ende der Beziehung von Irina und ihrem Freund, um die Pandemie. Und dann sind da noch die eingeschobenen Szenen jenes Stücks, das Irina für das Museumsprojekt schreiben will.
Das ist viel Stoff. Olga Bachs Ideenreichtum wirkt in ihrem Roman, wie in ihren Dramen, enorm. Was die Lektüre aufregend, aber auch anstrengend macht. Die Szenen-, Zeit- und Genrewechsel ähneln einer Ideensammlung für ein, nun ja, Kunstprojekt. Und das ist dann die alles zusammenhaltende Klammer: Indem sie als Romanautorin selbst zur Kuratorin ihres Kunstprojekts wird, behält Olga Bach die Deutungshoheit über ihre Generation und deren Geschichte, statt sie einer, wenn auch fiktiven, Stiftung zu überlassen.
Wobei naheliegend ist, dass die Autorin Realität und Fiktion bewusst vermischt. Bach und Mondtag hatten selbst einst ein Projekt mit der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ geplant und sich mit dieser überworfen. Die Dramatikerin Irina, die auch Jura studiert, kann als Alter Ego von Bach gelesen werden, Orhan erinnert an Ersan Mondtag. Der Roman vollendet, was die Kunstprojekte nicht vermochten. Olga Bach darf mit genau den Klischees spielen, die ihre Figuren so fürchten. Und manche Dinge sind eben so wie ihr Klischee. Maria jedenfalls, die Ostdeutsche in dem Trio, tritt der Linken bei, Irinas Großeltern sind einst aus der DDR geflüchtet, leben nun in Dahlem und fahren Mercedes. Orhans Eltern sind Gastarbeiter aus der Türkei, die bei jeder Premiere ihres Sohnes dabei sind, ohne richtig zu verstehen, was er da macht. Überhaupt wirken die Eltern in diesem Roman verlorener als ihre Kinder, die Vertreter einer selbstbewussten Generation sind, die weiß, was sie will.
Das Theater bleibt das alle verbindende Element. Der Ort, an dem die drei sich als Jugendliche kennenlernen und Halt finden. Der Jugendclub als Ersatzfamilie. So liebevoll Olga Bach die übertrieben ernsten Proben der Teenager schildert, so durchtrieben von ironischem Humor ist ihr Blick in die Theaterblase, wo jetzt genau jene um die Wende geborenen Künstlerinnen und Künstler am Ruder sind.
Theaterleute stehen spät auf, trinken Kaffee ohne Ende, schleppen „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell mit sich herum. Menschen, die um sich selbst kreisen und oft gar nicht mitzubekommen scheinen, was in der Welt passiert. Orhan ist ein exzentrischer Regisseur, nicht ganz ernst zu nehmen in seinen Allüren, der wiederum Leute nicht ernst nimmt, die sich nicht für Theater interessieren.
Auch Irinas Freund Gabriel, ein sympathischer Arzt, hat im ersten Teil des Buches bis auf ein paar kümmerliche Auftritte in Form von SMS keinerlei Platz in ihrem Leben. Es ist nur konsequent, dass sie ihn später gegen einen Künstler austauscht. „Du hast mir von Anfang an das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören“, sagt Gabriel. „Wenn du mit deinen ganzen Kunstleuten zusammen warst, dann wurde ich für dich unsichtbar.“
Das lässt sich als Kritik an der Branche und ihrer Generation verstehen. Dass es am Ende immer das Leben ist, aus dem sich das Theater speist und nicht umgekehrt, das müssen die Figuren erst noch lernen.
CHRISTIANE LUTZ
Theaterleute
stehen spät auf,
trinken Kaffee
ohne Ende,
schleppen „Die
Wohlgesinnten“
von Jonathan
Littell mit
sich herum
Olga Bach, geboren 1990, wurde vor allem durch ihre Theaterstücke
bekannt.
Foto: Bahar Kaygusuz
Olga Bach:
Kinder der Stadt.
Roman.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2023.
346 Seiten, 22 Euro.
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