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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Nur nah sein“
Die Arbeitstagebücher
Ingmar Bergmans
Eigentlich ist alles ganz einfach, mit den zwei Frauen, deren Identitäten sich verwirren: „Die eine biegt, die andre bricht, und mehr war da nicht ...“ Die Grenze zwischen höchster Abstraktion und Kalauer ist hauchdünn, und die großen Meister haben keine Scheu, sie zu überschreiten. Auf die „Die eine biegt“-Formel bringt Ingmar Bergman in den Arbeitsnotizen seinen Film „Persona“, jenes hochkomplexe kinematografische Rätselspiel, vor dem Kritiker und Zuschauer in bemühter Exegese oder Andacht verharren.
Sätze wie diese durchschneiden immer wieder das dichte Gewebe der Visionen und Szenen, die Bergman in seinen Arbeitstagebüchern notiert, zwischen 1955 und 2001, fast täglich, auf den immer gleichen Blöcken, mit Kugelschreiber oder Füller, am liebsten mit Bleistift, in nahezu unleserlicher Schrift. Ich schreibe Filme, hat er in einem frühen Text von 1948 erklärt, so hat Renate Bleibtreu die nun übersetzte Auswahl genannt – und meint aber gleich, am besten sollte es heißen: Ich schreibe Film. Man erlebt in den Notizen, wie das Schreiben und das Filmen zusammenhängt, wie Worte Bilder generieren. Wie man schreibend filmen kann.
1962 beginnt Bergman etwa eine fantastische Story zu entwickeln – sie hat den Titel „Die Menschenfresser“, dann „Die Dämonen“ –, von einer jungen Frau, die allein in einer Hütte lebt und eines Nachts einen Fremden aufnimmt, der verletzt ist – er wird von Dämonen gejagt. Daran ist er selber schuld, denn er will die Spukgeschichten von E.T.A. Hoffmann illustrieren. Was Bergman notiert, ist Rohmaterial, brutal und splatterig, der Film, der dann 1968 daraus wird, ist dagegen sehr viel zurückhaltender, er heißt nun „Die Stunde des Wolfes“. Das Projekt wurde abgebrochen – eine verschleppte Lungenentzündung, Krankenhausaufenthalt, er begegnete an einem Frühlingstag Liv Ullmann in Begleitung von Bibi Andersson und schob den Film „Persona“ mit den beiden ein.
Die Filme, die aus den Notizen entstanden, sind keine Endprodukte, und man kann auch die sehen, die nie gedreht wurden. „Liebe ohne Liebhaber“ zum Beispiel, den er in München machen wollte. „Oberfläche und Abgrund. Abgrund und Oberfläche. Der Mord an Staatsanwalt B. Staatsbegräbnis. Peter und Katarina. Ihr Bruder Anton ist Anarchist und bereitet den Mord an Franz Josef Strauß vor. Die Fassade und die Furcht. Aufgestaute Wut. Feiern. Essen. Trinken. Die Katholiken, das ist wichtig! Der progressive Bischof, der zu Petra geht. Und dann die Frau, die große Mutter, die nichts vergessen und nichts gelernt hat. Unter dem neuen München liegen die Toten der Bombenangriffe ...“
Die Bilder und Visionen dieser Tagebücher sind Rohmaterial, die einer eigenen Logik folgen, so wie Freud es beschrieb mit der Entstehung der Träume, in seiner „Traumdeutung“ (auch eine Art Arbeitstagebuch). Manchmal schaltet sich in den Fluss des Imaginierens auch das Über-Ich ein, kokett und kalauernd: „Nur nah sein, Bergman. Nicht erfinden. Nur nah sein, damit du dir nicht fremd vorkommen und dich genieren musst.“
FRITZ GÖTTLER
Anton ist Anarchist
und bereitet den Mord
an Franz Josef Strauß vor
Ingmar Bergman: Ich schreibe Filme. Arbeitstagebücher 1955-2001. In einer Auswahl übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Renate Bleibtreu. Berenberg Verlag, Berlin 2021. 448 Seiten, 28 Euro.
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