Studienarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2,0, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Persona des Nicolo in Heinrich von Kleists "Findling". Das Ziel ist es, die aktuelle Debatte um Kleists Werk auf die These eines verstörten Nicolo zu lenken, der im Angesicht seiner dargestellten Erlebnisse interpretiert und verstanden werden soll. Bei seiner Erörterung greift der Autor hierbei auf die meistrezipierten Interpretationsvorlagen Oesterles und Schröders zurück, die, bezeichnend für den Diskurs, jeweils die typische Hypothese einer einerseits 'Gut gegen Böse'-Realität sowie andererseits einer familienproblematischen Interpretation vertreten. Ausgehend von den zwei bedeutsamsten Darstellungen zu Kleists "Findling" wird der Autor abschließend die vorangegangenen Interpretationen kritisch hinterfragen und anschließend seine eigene Hypothese vorstellen und die Ergebnisse dem Lesenden in einem klar-strukturiertem Fazit präsentieren. Scheinbar unumstößlich hat sich in der Forschung um Kleists Findling die Interpretation einer Gegenüberstellung zwischen Gut (Antonio Piachi mit seiner Frau Elvire) und Böse (Nicolo) manifestiert, die nur in seltenen Fällen bei der Deutung des (Gesamt-)Werkes missachtet wird. Der Versuch von Jürgen Schröder, die Erzählung als eine Familientragödie zu deuten, verhallt in den weitläufigen Literaturdiskussionen um den "Findling". Die vermeintlich einfache und klare Konzeption einer 'Gut gegen Böse'-Darstellung überragt monumental das Plädoyer für die literarische Figur des Nicolo, die in kürzester Zeit Eltern, Wohnort, einen Freund und beinahe das eigene Leben verloren hat. Die Suche nach einem mutmaßlichen Bösen, das nach dem glänzenden Schema eines heldenhaften Protagonisten und dem diabolischen Antagonisten zweifelsfrei gedeutet werden muss, lässt daher die Interpretation einer irritierten und sich-unvollständig-fühlenden Persona per se nicht zu. Ganz im Stil antiker bis moderner Heldensagen, die das allgemeine Weltmodell schwarz-weiß beziehungsweise 'Gut gegen Böse' den Lesenden verkaufen möchten, will sich scheinbar auch der aktuelle Kleistdiskurs gegenwärtig diesem Schema anschließen.