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Cormac McCarthys Filmskript
„Der Anwalt“ als Buch
Ist Cormac McCarthy, der große Apokalyptiker der amerikanischen Literatur, mit seinen achtzig Jahren nun vollends durchgedreht? „Der Anwalt“, sein Drehbuch zum Film von Ridley Scott, liest sich wie der Beweis, dass die Hölle zwischen zwei Pappdeckel passt. Es geht zunächst los mit einer Bettszene, wobei die nicht-jugendfreien Passagen des dirty talk im Film ebenso der Schere zum Opfer fielen wie die Goethe- und Schillerzitate – Schwerverbrecher sind bei diesem Autor stets Philosophen. Laura, die Freundin des titelgebenden Counselor, ist nur die kleinere Dosis an unverschnittenem Sex, Malkina heißt die wahre Bitch im Buch. Wenn sie nicht gerade im Seitspagat an der Windschutzscheibe eines Ferraris masturbiert, schaut sie am liebsten ihren beiden Geparden dabei zu, wie sie in der Wüste Jagd machen auf alles, was sich bewegt. Am Ende wird sie es sein, die sich als das gefährlichste Raubtier erweist. Sie legt nicht nur ihren Lover, einen mexikanischen Drogenbaron, aufs Kreuz, sondern auch dessen Anwalt, der mitverdienen wollte am Kokainhandel. Und bald belehrt wird, dass die Welt, in der man Fehler ungeschehen machen will, „nicht die Welt ist, in der sie begangen wurden“. Das Leben, erfährt er in Mexiko, werde ihn nicht „zurücknehmen“.
Denn Gefangene werden keine gemacht im Drogenkrieg an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Die Staatsgewalt ist längst machtlos, weshalb es keine einzige Polizeisirene im Buch gibt. In „Kein Land für alte Männer“ (dt. 2008), lässt der Sheriff am Ende den Auftragskiller Chigurh sogar laufen, weil er einsieht, dass der Endkampf zwischen Gut und Böse zu dessen Gunsten entschieden ist. Chigurh arbeitet mit einem Bolzenschussgerät, in „Der Anwalt“ gibt es eine noch infernalischere Waffe, eine High-Tech-Garotte namens Bolito, die eine elektrisch angetriebene Stahlschlinge einholt und die Opfer selbsttätig enthauptet. Auch wenn ein Geldkurier auf seiner Yamaha von einem über die Straße gespannten Drahtseil geköpft wird, nimmt sich der Autor viel Zeit, das Handwerk des Tötens zu beschreiben. Wie ein Gitarrist, der sein Instrument stimmt, prüft der Killer die Seilspannung mit dem Daumen. „In diesem Geschäft braucht man Sinn für Humor“, heißt es einmal.
In McCarthys neuem Werk gibt es keine schützenden Institutionen, die dem Einzelnen die moralische Entscheidung abnehmen – darauf spitzt er sein manichäisches Weltbild zu. Am Anfang sagt der Diamantenhändler, bei dem der Anwalt einen Stein kauft, man könne diesen nur anhand seiner Makel beschreiben, da der vollkommene Diamant einzig aus Licht bestünde. Am Ende sagt Malkina über die Geparden, der Jäger besitze die „Reinheit des Herzens“, denn er sei identisch mit dem, was er tut. „Und was er tut, ist töten.“ Bei Cormac McCarthy ist Malkina nicht mehr weit von diesem Ideal entfernt. „Der Anwalt“ erzählt kalt und genau wie ein geschliffener Diamant davon, wie der Selektionsdruckan einer Wohlstandsgrenze die perfekte Bestie züchtet.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Cormac McCarthy: Der Anwalt. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 176 Seiten, 12,99 Euro. E-Book 10,99 Euro.
Ridley Scotts gleichnamiger
Film läuft jetzt in den Kinos
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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