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Café Marx: So nannten Freunde wie Feinde das Institut für Sozialforschung flapsig. Und tatsächlich liegen die Anfänge der Kritischen Theorie und der Frankfurter Schule in einer Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Philipp Lenhard erzählt auf einer breiten Quellengrundlage die Geschichte der Personen, Netzwerke, Ideen und Orte, die das Institut geprägt haben und ihrerseits von ihm geformt wurden. So wird anschaulich greifbar, warum die Frankfurter Schule wie keine zweite die großen intellektuellen Debatten des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. Von Anfang an war das 1924 eröffnete Institut für…mehr

Produktbeschreibung
Café Marx: So nannten Freunde wie Feinde das Institut für Sozialforschung flapsig. Und tatsächlich liegen die Anfänge der Kritischen Theorie und der Frankfurter Schule in einer Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Philipp Lenhard erzählt auf einer breiten Quellengrundlage die Geschichte der Personen, Netzwerke, Ideen und Orte, die das Institut geprägt haben und ihrerseits von ihm geformt wurden. So wird anschaulich greifbar, warum die Frankfurter Schule wie keine zweite die großen intellektuellen Debatten des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. Von Anfang an war das 1924 eröffnete Institut für Sozialforschung etwas Besonderes. Seine Wurzeln liegen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und auf den Barrikaden der Revolution. Der kommunistische Unternehmersohn Felix Weil ermöglichte die Gründung einer neuartigen Forschungsinstitution, die Arbeiter und Studenten, Politiker und Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle anzog. Besonders war auch, dass das Institut nach 1933 trotz Schließung, Verfolgung und Exil seine Arbeit fortsetzen konnte. In Kalifornien entstanden Schlüsselwerke wie die «Dialektik der Aufklärung». Philipp Lenhard geht der Entstehung der Kritischen Theorie in der amerikanischen Emigration nach und beleuchtet ihre Entwicklung zur Frankfurter Schule in der frühen Bundesrepublik. Das Buch schildert konzis, anschaulich und voller überraschender Erkenntnisse, in welchem historischen Kontext Horkheimer, Adorno, Marcuse, Benjamin und viele andere zu Schlüsseldenkern des 20. Jahrhunderts wurden.
Autorenporträt
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Kritische Bande

Denken in Räumen: Philipp Lenhards Geschichte des frühen Instituts für Sozialforschung.

Von Moritz Rudolph

Die Geschichte der Frankfurter Schule wird in der Regel als Horkheimer + Adorno + X erzählt. Andere Figuren treten lediglich als Anhang des großen Duos auf, das in den Trente Glorieuses zwischen dem Erscheinen der "Dialektik der Aufklärung" 1944 und Horkheimers Tod 1973 die Kritische Theorie entwickelt hat. Lange Zeit war der Blick vor allem auf den Übergang zu nachfolgenden Generationen gerichtet, der wahlweise als Erfüllungs- (Endlich Politik, Empirie und Klarheit!) oder Verfallsgeschichte erscheint (Ist das noch Kritische Theorie?!). Seit einigen Jahren wächst jedoch das Interesse an der Vor- und Frühgeschichte sowie an vermeintlichen Randfiguren. Zu ihnen zählt Friedrich Pollock, der seit Philipp Lenhards Biographie (F.A.Z. vom 15.11. 2019) nicht mehr bloß als Horkheimers Freund, sondern als "graue Eminenz der Frankfurter Schule" bekannt ist.

Nun hat Lenhard sein Projekt der Aufwertung der Peripherie ausgeweitet und eine Geschichte der Frankfurter Schule als Institutsgeschichte geschrieben. Sie handelt nicht allein vom Gang der Ideen oder vom Zusammenfinden und Zerfall einer Gruppe, sondern von Orten und Konstellationen, Gebäuden und Treffpunkten, "physischen und symbolischen Räumen", in denen das Denken stattfand. Dies hat zunächst einmal den Effekt der Entadornosierung sowie der Reduktion des Horkheimer-Anteils. Das Zentralgestirn verschwindet beinahe hinter den Gründern Felix Weil und Carl Grünberg sowie im Gewimmel der Nebenfiguren, zu denen auch viele Frauen wie Hilda Weiss, Käthe Leichter oder Margot von Mendelssohn gehören, über die bislang nur wenig bekannt war.

So entsteht eine Geschichte der Frankfurter Schule, die nicht allein von den Lehrern handelt, sondern auch von den Schülern, Stiftern und Gebäudemanagern, den Stipendiatinnen und lose Assoziierten. Die passiven Objekte werden in den Stand von Subjekten erhoben und entkommen Horkheimers Allmacht. Und wenn der Neubau, in dem das Institut von 1924 an residierte, als "sachlich" und "sakral" zugleich beschrieben wird, "zweckmäßig" und "geheimnisvoll", dann erscheint Adornos Philosophie beinahe als Effekt dieses Raumes.

Überdies ist es nicht die einzige und nicht einmal die erste Philosophie, die hier entwickelt wurde. Lenhards Betonung der Frühgeschichte - drei Viertel des Buches spielen vor 1949 - hat zur Folge, dass die gemeinhin erste in Wahrheit die zweite Generation der Frankfurter Schule ist und bereits einen Schwenk von den Ursprüngen vollzogen hat. Carl Grünberg, erster Direktor des Instituts, betrieb sozialwissenschaftliche Forschung auf stabiler Quellen- und Datengrundlage und zeichnete sich durch eine Sammelleidenschaft aus, die jenes Zwiegespräch mit den Klassikern unterbrach, das Adorno so gern führte.

So gesehen ist Habermas' Überführung von Philosophie in Forschung keine Abkehr, sondern eine Rückkehr zum Ursprungskurs der Frankfurter Schule und Langzeitdirektor Ludwig von Friedeburg, der es für manche mit der Empirie übertrieb, ein konsequenter Grünbergianer, ein treuer Frankfurter Schüler. Dass anschließend wieder essayistischer geschrieben wurde (man denke nur an Christoph Menke oder an Martin Seel, der die Frankfurter Schule als "Stilgemeinschaft" bezeichnet hat), erscheint dann als Wiederholung der Adornoschen Anomalie. Man könnte daher auch einmal darüber nachdenken, eine Geschichte der Frankfurter Schule in Wellen zu schreiben. Philosophie wird dabei mal als Literatur, mal als Forschung betrieben, meistens kommt dabei aber ein bisschen von beidem ins Spiel.

In gewisser Weise ist Lenhards Verfahren, Adorno aus dem Zentrum zu rücken, jedoch auch sehr adornitisch. Es wendet die Mittel der Kritischen Theorie auf diese selbst an: Wie Adorno pflegt Lenhard in "Konstellationen" zu denken. Personen, Ideen und Sachen kreisen "wie Sterne" um ein geheimnisvolles Zentrum, eben das Institut. Doch sie tun das nicht immer aus freien Stücken. Es ist allerhand Zwang im Spiel. Lenhards Analyse der "Netzwerke" erinnert an Horkheimers und Pollocks "Racket"-Theorie und zeigt die Frankfurter Schule als verschworenen Haufen, der nach innen streng hierarchisch und patriarchal organisiert war, im Grunde einen Treueschwur verlangte und dafür eine Beteiligung an der akademischen Beute in Aussicht stellte.

Horkheimer schien zu wissen, wovon er sprach, als er die Gesellschaft der Banden kritisierte. Und schließlich scheint Lenhards Raumanalyse geophilosophischen Spuren zu folgen, die Adorno und Horkheimer legten, als sie den Geist als Ergebnis von Ort und Landschaft behandelten. Hier könnte man sogar noch weiter gehen und Lenhards Instituts- um eine Stadtgeschichte ergänzen, die dem Charakter der Umgebung nachspürt. Die Erwähnung Frankfurts als "weltoffenste Stadt" des Landes, die sich für die Gründung eines sozialwissenschaftlich-marxistischen Instituts besonders eignete, geht schon in diese Richtung. Aber was hat sie so weltoffen gemacht? Vielleicht das Finanzkapital? Und was bedeutet Weltoffenheit überhaupt? Etwa Liberalismus, Innovationslust, Kosmopolitismus und Modernität? Und ist es Zufall, dass die Berliner Institutsmitglieder Herbert Marcuse und Walter Benjamin besonders revolutionär gestimmt waren, während Horkheimer bürgerlicher dachte, später sogar konservativ? Es könnte etwas mit seinem "Suebo-Marxismus" zu tun haben, den Adorno an ihm feststellte.

Das verschiebt den Blick natürlich ein wenig. Die großen Ideen verschwinden in der Tiefe des Raumes. Manche Philosophen werden sich darüber ärgern, sie sehen ihre Kernkompetenz entwertet. Aber das sollten sie nicht. Sie müssen ihre Lesekräfte nur umlenken, auf Räume, Spuren, Stimmungen, das Publikum: als Geosophen und Atmosphärenforscher, die in der Um- die Innenwelt, im Nebensächlichen das Eigentliche, in der Anekdote die Evidenz finden, in den Randfiguren ihr Kerngeschäft erspähen, letztlich also vom Kleinen her denken und damit zu wahren Adorniten werden.

Philipp Lenhard: "Café Marx". Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule.

C. H. Beck Verlag, München 2024. 624 S., Abb., geb., 34,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Viel lernt Rezensent Marc Ortmann aus Philipp Lenhards Buch über das Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS). Das liegt für ihn vor allem daran, dass sich der Autor eben nicht auf eine Rekapitulation bekannter Namen und Schlagworte beschränkt, sondern ein vielschichtiges Bild des Instituts zeichnet. Unter anderem widmet sich Lenhard auch den Gebäuden des Instituts selbst, sowie den Beziehungsdynamiken und Freundschaften, die in der Geschichte des IfS enorm wichtig waren. Unter anderem wird die Rolle des Institutsmitgründers Felix Weil beleuchtet, zeichnet Ortmann nach, auch die zumeist nur untergeordnete Rolle, die Frauen im IfS einnehmen konnten, wird thematisiert. Weiterhin kommen die zentralen Forschungsprobleme des Instituts in den Blick, erfahren wir, wenn Lenhard nachzeichnet, wie zunächst die ausbleibende Revolution im marxistischen Sinne, später die Barbarei im Zuge des Nationalsozialismus und nach dem Krieg die Verteidigung des Einzelnen gegen die verwaltete Welt die Aktivitäten des IfS prägten. Ein reichhaltiges Buch, lobt Ortmann, der die Lektüre sowohl Einsteigern ins Thema als auch Kennern empfehlen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Philipp Lenhard hat in einer fulminanten 'raum- und netzwerkgeschichtlichen Erzählung' die Genese des Instituts der Kritischen Theorie vorgelegt. Sehr klug und gut lesbar obendrein!"
taz, Tania Martini

"Eine Geschichte der Frankfurter Schule, die nicht allein von den Lehrern handelt, sondern auch von den Schülern, Stiftern und Gebäudemanagern, den Stipendiatinnen und lose Assoziierten."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Moritz Rudolph

"Brillant geschrieben und wohldurchdacht aufbereitet ... liest sich so flüssig und spannend wie ein raffinierter Roman."
journal21.ch, Urs Meier