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Ernst Forsthoff schreibt sich mit Carl Schmitt
Im Sommer 1953 kündigt sich eine Wachablösung des deutschen Geistes an. Karl Korn, einer der Herausgeber der FAZ, hebt einen scharfen politischen Verriss des 24-jährigen Bonner Studenten Jürgen Habermas ins Blatt: „Mit Heidegger gegen Heidegger denken”. Auch wer nicht mit Heidegger dachte, aber wie dieser 1933 auf die nationalsozialistische Karte gesetzt hatte, sah sich in der Schusslinie. In Plettenberg empört sich Carl Schmitt über Habermas. Flugs schmiedet er in einem Brief an seinen Schüler Ernst Forsthoff eine geschichtspolitische Waffe gegen den aufmuckenden Studenten. „Rothacker, der Lehrer des Heldenjünglings Habermas, gehört doch wahrhaftig in erster Linie zu den Jasagern von 1933.”
Die beiden Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) und Ernst Forsthoff (1902-1974) waren selbst 1933 an der geistigen Mobilmachung der Nation nicht unbeteiligt. Carl Schmitt hatte sich den neuen Machthabern angedient und die Legitimität der „legalen” nationalsozialistischen Machtergreifung verteidigt („Der Führer schützt das Recht”). Und auch sein Schüler, der junge ehrgeizige Ernst Forsthoff war 1933 mit einem Buch dem „totalen Staat” beigesprungen. Zwanzig Jahre später, nach dem verlorenen Krieg und dem Untergang des Reiches, hatte sich das Vorzeichen ihrer politischen Haltung gedreht. Aus den beiden Jasagern von 1933 waren die Neinsager der Bundesrepublik geworden.
Ihr lang angekündigter Briefwechsel gewährt nun Einblick in die konservative Schattenwelt der Bundesrepublik. Diese politisch hochmunitionierte Korrespondenz rückt eine polemische Schlachtordnung neu ins Licht, die in diesem Frühjahr der erinnerungsselig aufgekochten Studentenrevolte in den Hintergrund gedrängt wurde: der Republik erwuchsen seit den sechziger Jahren nicht nur Feinde von links. Auch die konservative Rechte verweigerte dem „Waschlappenstaat” ihre grundsätzliche Anerkennung. Bei der Lektüre des Grundgesetzes befiel Schmitt die „Heiterkeit eines allwissenden Greises.” Für Forsthoff war es eine „Tatsache”, wie er im Januar 1966 an Schmitt schrieb, „daß wir seit zwanzig Jahren keinen Staat mehr haben, sondern demokratischen Nebel, hinter dem sich ein Rangierbahnhof der Interessen notdürftig verbirgt.” Die Geburt der Republik aus dem Geist des rheinischen Korporativismus – was gemeinhin von liberalen Hütern als Erfolgsformel beschrieben wird –, ist in diesen Kassibern am Rande des Verfassungsbogens nicht mehr als Geschiebe.
Anders als der geheimnisumwitterte Carl Schmitt, der seit den späten achtziger Jahren von einem Heer von Exegeten umlagert ist, das ihm bis in die privaten Tagebuchwinkel und letzten Hinterstübchen seiner geistespolitischen Spekulationen treu gefolgt ist, ist sein Schüler Forsthoff eine noch kaum beleuchtete Figur. Nach 1945 war er unbelastet genug, um dem „Staat der Industriegesellschaft” seine Begriffe aufzuprägen. In den fünfziger und sechziger Jahren war der Heidelberger Ordinarius einer der einflussreichsten Staatsrechtslehrer des Landes. Mit seinem Lehrer hat Forsthoff dabei nie gebrochen. Immer wieder kommt er in pathetischen Sätzen, die so gar nicht zu dem formal-strengen Juristen zu passen scheinen, auf sein Erweckungserlebnis zu sprechen. Im Bonner Sommersemester 1923 saß der junge Student zum ersten Mal zu Schmitts „Füßen”; von hierher datierte er später sein „inneres Verhältnis zur Rechtswissenschaft”. Aber bei aller persönlichen Loyalität, bei der gemeinsamen Trauer über den Tod des alten Leviathans in der Bundesrepublik unterscheidet sich Forsthoffs juristisch nüchternes Denken doch sehr von den weltanschaulich überspannten geistigen Kapriolen seines Lehrers.
In Variation eines berühmten Aufsatztitels von Forsthoff („Die Umbildung des Verfassungsgesetzes”) kann man von der „Umbildung” seines politischen Denkens nach 1945 sprechen. Zwar war für ihn die Nachkriegsgesellschaft nicht mehr auf den politisch existentiellen Begriff der Verfassung zu bringen, aber sie war immerhin noch zu „verwalten”. Unermüdlich sitzt er nach dem Krieg an der Überarbeitung seiner „Verwaltungslehre”. Zum 60. Geburtstag widmete ihm Carl Schmitt 1962 seine „Theorie des Partisanen”. Mit klammheimlicher Freude glaubt Schmitt in jenen Jahren wahrzunehmen, wie das Politische über die Partisanen und Stadtindianer neu in die Industriegesellschaft einsickerte. Forsthoff fühlte sich von der Danksagung beehrt, blieb in der Sache aber reserviert und kühl. „Ich neige deshalb zu der Annahme, dass der Partisan in hochindustrialisierten Wohlstandsgesellschaften eine Randerscheinung bleiben wird.”
Anstatt über den Partisanen nachzugrübeln, sucht Forsthoff lieber Zugang zu den Bonner Machthabern. Mit ihm bricht die bundesrepublikanische Zeit in Carl Schmitts assoziationsreiches gelehrtes Spiel ein. Eben ist Schmitt noch auf der Suche nach dem Antichristen oder der konkreten historischen Figur hinter Hamlet, da springt Forsthoff schon zu den ihn wirklich „erregenden” Problemen. „Die mit dem Investitionshilfe-Gesetz aufgeworfenen Rechtsfragen interessieren mich sehr.” Als viel gefragter Gutachter ist er in die Bonner Republik fest eingebunden. Forsthoff fährt zur Anhörung über das „Städtebauförderungsgesetz” nach Bonn und versucht die „Umsatzsteuerfrage” und das „zweite Vermögensbildungsgesetz” vor dem „Sozialbazillus” zu retten. So theoretisch scharf er die Verdrängung des Rechtsstaats durch den Sozialstaat von rechts kommentiert, so sehr ist er doch praktisch Teil jenes rheinischen Korporativismus. Es waren in der Bundesrepublik nicht nur die Feinde von links, die ihr Dagegensein als Dabeisein kultivierten.
Verfassung wird Verwaltung
In der frühen Bundesrepublik hatte Forsthoff das politische Denken von Verfassung auf Verwaltung umgepolt. Aber als sich 1960 überraschend die Gelegenheit auftut, selbst Präsident des Verfassungsgerichts Zyperns zu werden, greift er sofort zu. Das ist nicht ohne Ironie. Ausgerechnet Forsthoff, der oberste Kritiker des Jurisdiktionsstaates der Karlsruher Republik, steht nun auf der Mittelmeerinsel an der Spitze eines Gerichtshofes. Als neutrale überparteiliche Instanz thront er über den verfeindeten Volksstämmen der Türken und Griechen. In den Briefen, die er aus der Hauptstadt Nikosia in den sechziger Jahren an seinen Lehrer nach Plettenberg schreibt, liegt ein Hauch von Weimarer Bürgerkriegsatmosphäre. „Die Insel liegt im Brennpunkt der Weltpolitik. Der Start des selbständigen Staates birgt viel Zündstoff.”
In der formierten Gesellschaft der frühen Bundesrepublik hatte Forsthoff alle politischen Leidenschaften technokratisch abgekühlt. „Verwaltung setzt das Fehlen von Engagement voraus.” Aber das alte politische Ausnahmevokabular von „Krise” und „Terror” schlummerte auch in der Heimat im Untergrund und wartete nur darauf, entsichert zu werden. Als 1968 kaum noch Zuhörer in seine Vorlesung über die „Allgemeine Staatslehre” strömen, wertet Forsthoff das als bedrohliches Krisenzeichen. Und natürlich ist es „Terror”, als die Verleihung der Wiener Ehrenpromotion an Protesten scheitert. In der Studentenrevolte schlägt für Forsthoff wieder die Stunde Weimars. „Die Parallelen zum Jahr 1932 sind in der Tat frappant”, notiert er im Dezember 1971. Die ungeheuren „pöbelhaften” Zeiten, in denen die „Fruchtabtreiber” vom AStA kostenlos „Anti-Baby-Pillen” verteilen, provozieren das konservative „Engagement” des Verwaltungsdenkers.
Dieser gewaltige Briefwechsel, der mit ersten förmlichen Briefen des „Referendars” an den „hochverehrten Herrn Professor” 1926 einsetzt, aber erst nach dem Krieg richtig Fahrt aufnimmt, lässt die Topographie konservativen Denkens nach 1945 neu entstehen. Während der Stern der neuen Intellektuellen in der „Bonn-hörigen” FAZ aufgeht, die Metropolen Frankfurt am Main oder West-Berlin zu linken Theoriehochburgen mutieren, schlägt sich das konservative Denken in die Wälder. In seinem Ferienseminar in Ebrach im Steigerwald bringt Forsthoff seit den späten Fünfziger Jahren Carl Schmitt, Arnold Gehlen oder Werner Conze mit den klugen Köpfen aus dem akademischen Nachwuchs, Reinhart Koselleck oder Hermann Lübbe, zusammen. Ob aber nun Ebrach oder Zypern, Plettenberg oder Heidelberg und Bochum – wo immer sich an den Universitäten lange Jahre durch geschickte Berufungspolitik kleine schmittianische Zellen gebildet hatten, es waren letzte Inseln im massendemokratischen Nachkriegsstrom, auf die sich das konservative Denken nach 1945 zurückzog.
Ernst Forsthoff und Carl Schmitt schreiben sich aus den Schmollwinkeln der Republik. Das provinziell Geduckte, die Larmoyanz – all die Affekte einer vom liberalen Nachkriegsgeist besiegten Generation finden sich hier. Aber genau in diesem vom Ressentiment der Niederlage geschärften Blick auf die Bundesrepublik liegt der unbedingte Reiz dieses Briefwechsels. Am Vorabend des sechzigjährigen Geburtstages der Republik kommen hier noch einmal ihre schärfsten Kritiker zu Wort. Diese Korrespondenz ist der große konservative Gegenkommentar zur saturierten Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. STEPHAN SCHLAK
ERNST FORSTHOFF, CARL SCHMITT: Briefwechsel (1926-1974). Hrsg. von Dorothee Mußgnug, Reinhard Mußgnug und Angela Reinthal in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler und Jürgen Tröger. Akademie Verlag, Berlin 2007. 592 Seiten, 49,80 Euro.
Wider die „pöbelhaften” Zeiten: Die Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985, Bild links) und Ernst Forsthoff (1902-1974) Fotos: Bernhard Megele (links), dpa
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