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Ein Mädchen steht im Hof einer Anstalt. Das Tor geht auf, das Mädchen huscht hinaus und beginnt seine Reise, durch Wälder, Felder, Dörfer und an der Autobahn entlang: «Die Sterne wandern, und ich wandre auch.» Isa heißt sie, und Isa wird den Menschen begegnen - freundlichen wie rätselhaften, schlechten wie traurigen. Einem Binnenschiffer, der vielleicht ein Bankräuber ist, einem merkwürdigen Schriftsteller, einem toten Förster, einem Fernfahrer auf Abwegen. Und auf einer Müllhalde trifft sie zwei Vierzehnjährige, einer davon, der schüchterne Blonde, gefällt ihr. An dem Roman üb...
Ein Mädchen steht im Hof einer Anstalt. Das Tor geht auf, das Mädchen huscht hinaus und beginnt seine Reise, durch Wälder, Felder, Dörfer und an der Autobahn entlang: «Die Sterne wandern, und ich wandre auch.» Isa heißt sie, und Isa wird den Menschen begegnen - freundlichen wie rätselhaften, schlechten wie traurigen. Einem Binnenschiffer, der vielleicht ein Bankräuber ist, einem merkwürdigen Schriftsteller, einem toten Förster, einem Fernfahrer auf Abwegen. Und auf einer Müllhalde trifft sie zwei Vierzehnjährige, einer davon, der schüchterne Blonde, gefällt ihr. An dem Roman über die verlorene, verrückte, hinreißende Isa hat Wolfgang Herrndorf bis zuletzt gearbeitet, er hat ihn selbst noch zur Veröffentlichung bestimmt. Eine romantische Wanderschaft durch Tage und Nächte; unvollendet und doch ein unvergessliches Leseerlebnis. «Ich halte das Tagebuch wie einen Kompass vor mich hin. Pappelsamen schneien um mich herum, und der süße Duft der Lichtnelken strömt durch die Nächte. Ich sehe einen Wald, aus dem vier hohe Masten aufragen über die Baumwipfel. Am Waldrand steht eine kleine Hütte, die Teil eines Wanderwegs ist, wie drei eingekastelte Zeichen verraten. Ein schwarzer Gedankenstrich, eine gelbe Schlange, ein rotes Dreieck. Mein Name.»
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Wolfgang Herrndorf, 1965 in Hamburg geboren und 2013 in Berlin gestorben, hat ursprünglich Malerei studiert. 2002 erschien sein Debütroman «In Plüschgewittern», 2007 der Erzählband «Diesseits des Van-Allen-Gürtels». Es folgten die Romane «Tschick» (2010), «Sand» (2011), ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, sowie posthum das Tagebuch «Arbeit und Struktur» (2013) und der unvollendete Roman «Bilder deiner großen Liebe» (2014). 2023 wurde die Biographie «Herrndorf» von Tobias Rüther veröffentlicht.

©Mathias Mainholz
Produktdetails
- Verlag: Rowohlt Verlag GmbH
- Seitenzahl: 144
- Erscheinungstermin: 26. September 2014
- Deutsch
- ISBN-13: 9783644118614
- Artikelnr.: 41470245
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rainer Moritz vergisst beim Lesen, dass Wolfgang Herrndorf diesen Roman nicht mehr abschließen konnte. In sich nämlich scheint ihm der Roman durchaus vollkommen. Die aus dem Nachlass herausgegebene, an Herrndorfs Roman "Tschick" anschließende Geschichte des Mädchens Isa auf der Suche nach der Liebe zur Welt, zum Leben, eröffnet ihm immer wieder Momente der Erleuchtung, quälend, anrührend. Großartig, meint Moritz, wie es dem Autor gelingt, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt dieser aus der Welt Gefallenen Figur zu versetzen, ganz ohne falschen Ton, staunt Moritz.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Huckleberry Psycho ist wieder da
Kaum sind Tschick, Maik und Isa zurück, müssen wir uns von ihnen verabschieden, diesmal für immer: "Bilder deiner großen Liebe", Wolfgang Herrndorfs letztes Buch
Man schlägt das Buch nach der letzten Seite zu und atmet erst mal tief durch. Und dann will man dringend irgendwas kaputtmachen. Eintreten. Zerreißen, beschimpfen, aus dem Fenster werfen. Stattdessen schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und kann es einfach nicht fassen.
Das war es also jetzt. Mehr wird nicht kommen. Davon muss man ausgehen. Dieses Fragment, "Bilder deiner großen Liebe", das sind die letzten Worte, die Wolfgang Herrndorf, einer der größten deutschsprachigen Schriftsteller der letzten
Kaum sind Tschick, Maik und Isa zurück, müssen wir uns von ihnen verabschieden, diesmal für immer: "Bilder deiner großen Liebe", Wolfgang Herrndorfs letztes Buch
Man schlägt das Buch nach der letzten Seite zu und atmet erst mal tief durch. Und dann will man dringend irgendwas kaputtmachen. Eintreten. Zerreißen, beschimpfen, aus dem Fenster werfen. Stattdessen schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und kann es einfach nicht fassen.
Das war es also jetzt. Mehr wird nicht kommen. Davon muss man ausgehen. Dieses Fragment, "Bilder deiner großen Liebe", das sind die letzten Worte, die Wolfgang Herrndorf, einer der größten deutschsprachigen Schriftsteller der letzten
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Jahrzehnte, noch zur Veröffentlichung freigegeben hat.
Wenige Worte sind es, kaum 140 Seiten Text, aber trotzdem führt aus ihm mindestens ein halbes Dutzend Straßen in weitere, neue Bücher hinein, von denen man nicht mal die Rücklichter sieht, von denen man nur träumen darf, weil Wolfgang Herrndorf sie nicht mehr schreiben wird. Seit mehr als einem Jahr steht ein Kreuz am Ufer des Berliner Hohenzollernkanals, dort, wo sich Wolfgang Herrndorf am 26. August 2013 erschossen hat, bevor der Tumor in seinem Kopf ihn töten konnte, was Herrndorf nicht zulassen wollte.
Auf den letzten Metern, die ihm blieben, hat er umso schneller geschrieben: Fast täglich in seinem Blog, aus dem postum das Buch "Arbeit und Struktur" wurde. Dann den preisgekrönten Roman "Sand" (2011). Und vor allem "Tschick", ein Jugendbuch für jedes Alter, das aus dem einigermaßen bekannten Berliner Schriftsteller und Maler im Herbst 2010 einen Star machte, ein Dreivierteljahr nach seiner Krebsdiagnose - und aus dem tatsächlich ein direkter Weg in dieses Fragment führt, das im Blog noch "Isa" hieß und das Herrndorfs Vertraute Kathrin Passig und sein Lektor Marcus Gärtner jetzt zu einem Buch geformt haben.
Denn Isa, die Erzählerin dieses Fragments, tauchte auch schon in "Tschick" auf, kometengleich, auf einer Müllkippe irgendwo im Osten Deutschlands, wo Maik und Tschick, die Helden der Geschichte, nach einem Schlauch suchen, um ihren geklauten Lada wieder betanken zu können. Isa hilft ihnen dabei, beziehungsweise zeigt ihnen, wie das überhaupt geht, denn so eine ist sie. Eine, die im Laufen Steine werfen kann, fünfzig Meter weit, wie an der Schnur gezogen. Dann begleitet Isa die Jungs ein Stück auf ihrem Trip, die beiden wollen im Lada ja in die Walachei, Isa will aber nach Berlin, also trennt sie sich bald wieder von Maik und Tschick. Die drei versprechen sich vorher aber noch ein Wiedersehen in fünfzig Jahren, 17. Juli, fünf Uhr nachmittags, 2060. Ein kurzer Auftritt ist das nur, er reicht aber, damit sich Maik in Isa verliebt und der Leser sich fragt, woher dieses Mädchen kommt und wohin es zieht.
Wolfgang Herrndorf hat sich das also auch gefragt. Und was er noch über Isa herausfinden konnte, steht nun in diesem unvollendeten Buch, mit dem er, man kann es im Blog nachlesen, gekämpft hat: Das Schreiben fiel ihm immer schwerer, bis es gar nicht mehr ging. Herrndorf musste, berichten Passig und Gärtner im Nachwort, mehr oder weniger dazu überredet werden, dass kein zweiter Autor Isas Geschichte zu Ende schreibt, wie er sich das erst gewünscht hatte, sondern die beiden Freunde den Text, so wie Herrndorf ihn hinterlassen würde, in eine Form brächten, die etwas ergibt.
Und diese Form ergibt: dreiunddreißig Kapitel, Szenen, Tagebucheinträge, manchmal sogar nur Stichworte, aus denen sich aber mehr erkennen lässt, und schließlich ein letzter Satz, der vielleicht gar keiner ist, der aber so perfekt, so cool und dramatisch ist, dass er einer sein könnte: "Ich halte die Waffe genau senkrecht hoch und sehe mit offenem Mund der Kugel hinterher, sehe sie steigen, sehe sie immer kleiner und kleiner und fast unsichtbar werden im tiefdunklen blauen Himmel, bevor sie sich aus dem Verschwundensein wieder materialisiert und zu fallen beginnt, millimetergenau zurück in den Lauf der Waffe."
Hier spricht Isa, ein junges Mädchen, vielleicht vierzehn, vielleicht psychotisch. Isa flieht aus einer Anstalt, per Anhalter in einem Laster, auf einem Binnenschiff, dann kurz mit Maik und Tschick im Lada, vor allem aber zu Fuß, barfuß sogar. Bewaffnet zieht sie durch ein Deutschland, das mal wie in echt, mal wie in der Kunst aussieht, wie im Märchen, im Film. Und dann reißt dieser Film ab. Eigentlich taucht Isa auch in ihrem eigenen Buch wieder wie ein Komet auf und zieht dann weiter, und wir wissen nicht, wohin, aber Herrndorf wird uns darauf keine Antwort mehr geben.
Und man sitzt also jetzt da mit dem angefangenen Roman und einem gebrochenen Herzen und will mit irgendwas auf irgendwas anderes werfen. Aber es nützt ja alles nichts, das Pathos nicht und nicht die Wut über diese Lächerlichkeit. Wie viele deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller (Herrndorf zählt ein paar auf in seinem Blog) schwärmen von den großen alten Meistern und schnörkeln ihnen weinerliche altmodische Imitate hinterher, als sei das ein Gift gegen die böse triviale Gegenwart, als sei die grammatisch korrekte Anwendung angestaubter Wörter schon so etwas wie Stil - und hier kommt Wolfgang Herrndorf, ein Spätromantiker im Internet, der moderne Malerei für Quatsch hält und Stendhal und Thomas Mann genau wie seinen Laptop liebt, und haut im Geiste seiner Helden aus vergangenen Jahrhunderten einen Satz nach dem anderen, ein Bild und ein Motiv nach dem anderen in einer Sprache von heute heraus, und dann muss der mit Ende vierzig sterben?
Es ist aber nicht nur die romantische Glasklarheit seines Stils ("Geht man durch die Tür, dann geht man in die Alltagswelt mit ihren Gewohnheiten und ihrem Schmutz. Steigt man aus dem Fenster, gelangt man in einen Raum wie in seinem eigenen Innern." Oder: "Der Oberkörper des Mannes ist schwarz von Blut. Es ist nicht sein eigenes. Im Reh ist ein Einschussloch, im Mann nicht."). Es sind vor allem die Schnitte, die Sprünge, dieses genaue Bewusstsein für Geschwindigkeit und Raffung. Da geht es zum Beispiel hin und her zwischen Isa und dem Binnenschiffer, der sie auf seinem Kahn mitnimmt, aber eigentlich der Polizei übergeben will, was Isa natürlich auf keinen Fall mitmachen wird, und eine Schleuse naht, und dann Absatz, und: "Als wir anlegen, wirft der Käpt'n mir ein Tau zu, das ich um einen Poller legen soll. Ich lege es um den Poller und laufe davon, in die warme Nacht hinein." Erst Beschleunigung auf tausend Worte und schneller, dann die eleganteste Vollbremsung auf einunddreißig, federnd weich, und dann weiter.
Wolfgang Herrndorf hat in seinem Blog davon geschwärmt, wie Thomas Mann im "Zauberberg" Clawdia Chauchat mit einem Halbsatz aus dem Roman wirft. Er kann das auch. "Show, don't tell", lehren die Schreibschulen, aber manchmal geht es beim Schreiben auch darum, weder zu zeigen noch zu erzählen - und der Leser versteht trotzdem, was sonst noch geschah, und wenn Sie jetzt mal die Sätze zählen, mit denen ich hier versuche, eine Technik zu erklären, für die man gar keine Sätze braucht, dann verstehen Sie das Genie Wolfgang Herrndorfs.
"Bilder deiner großen Liebe" ist ein unter Spannung stehendes, zerrissenes Buch. Das liegt einerseits an seiner Entstehungsgeschichte, andererseits ist es auch bewusst in den Passagen angelegt, die Herrndorf noch selbst fertigstellen konnte: Den manischen Schüben des Mädchens entspricht die abrupte Struktur des Buchs, die ansetzende, absetzende Erzählung, die hastige, hektische Bewegung von Text und Hauptfigur: Lastwagen, Schiff, Wald, Haus, Hotel, Wohnung, Feld, Auto, Wald, Weltraum. Isa ist unterwegs, deswegen hält sie auch die Begegnung mit Maik nicht lange auf. Sie könnte alles für ihn sein, er ist nur eine Episode für sie. "Fünf von sieben Frauen, in die ich in meinem Leben verliebt war, haben es nicht erfahren", heißt es in den Fragmenten von "Arbeit und Struktur", und man ahnt, das Herrndorf hier diese Lebenserfahrung in eine so gemeine wie schöne literarische Pointe verwandelt haben könnte.
Überhaupt ist das Buch voller Privatwitze. Herrndorf bringt ständig die Namen von Freunden unter, da gibt es Anspielungen auf Filme (wie Käutners "Unter den Brücken" oder "Sieben" von David Fincher) und kleine Rätsel für genaue Leser: In den Schweinetransporter, der Isa mitnimmt (und der von einem Schwein gefahren wird), waren die Jungs in "Tschick" mit ihrem Lada gekracht. In einem Dialog, den Isa zufällig abhört, im Dunklen an der Tankstelle, wo sie Maik und Tschick kennenlernen wird, reden zwei Schemen auf Englisch miteinander, ein Ortsname fällt, "Camden", und das kann kein Zufall sein: Denn Camden heißt das College, an dem Sean Bateman studiert und wo ihn sein Bruder besucht, Patrick, der "American Psycho". Und so wie Bret Easton Ellis seinen Psycho von einem frühen Roman ("The Rules of Attraction") in einen späteren wandern ließ, so tat das auch Mark Twain, den Herrndorf ebenso liebte, mit Huckleberry Finn.
In "Tschick" trägt Isa eine Kiste mit sich herum, und nicht nur die Jungs fragen sich die ganze Zeit, was in ihr steckt. Wolfgang Herrndorf hat da etwas geöffnet und bekommt es nicht mehr zu. Wie wunderbar muss es für einen Schriftsteller sein, das zu erkennen: eine Figur einfach wiederbeleben zu müssen, weil sie noch so viel vor sich haben könnte.
Aber man muss nichts von alledem checken, keine Anspielung, kein Zitat, um zu verstehen, worum es in "Bilder deiner großen Liebe" geht: um Zeitweh. Darum, sich nach einem Moment zurückzusehnen, so wie beim Heimweh nach einem Ort. "Mein Blick war von Anfang an auf die Vergangenheit gerichtet", schreibt Herrndorf in "Arbeit und Struktur", und das tut auch Isa, die sich als Teenager ihre Kindheit zurückwünscht. Zeitweh hat nämlich nichts mit dem Alter zu tun, darüber ist es erhaben, so mächtig ist dieses Gefühl. Und so widersprüchlich: Es macht genauso wehrlos (diese gottverdammte Unwiederbringlichkeit!), wie es tröstet. Und Literatur kann es imitieren.
"Einmal", erinnert sich Isa, "brachte mein Vater ein Zelt mit nach Hause. Es war nicht mein Geburtstag, es war auch nicht Weihnachten. Es war einfach so." Ob das Mädchen auf der Flucht seine Eltern sucht oder sie längst verloren hat, wird nicht recht klar. "Mein Vater hat seinen Arm um mich gelegt, und ich habe meinen Arm um seinen mächtigen Brustkorb gelegt, das war vor fünf oder sechs Jahren."
"Bilder deiner großen Liebe", Wolfgang Herrndorfs letzter Roman: Ein Stich, das ist der Abschied. Und dann Phantomschmerzen, die nicht weggehen, ausgelöst von Büchern, die es nie gab und nie geben wird und die trotzdem fehlen.
TOBIAS RÜTHER.
Wolfgang Herrndorf: "Bilder deiner großen Liebe". Ein unvollendeter Roman. Rowohlt Berlin, 144 Seiten, 16,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenige Worte sind es, kaum 140 Seiten Text, aber trotzdem führt aus ihm mindestens ein halbes Dutzend Straßen in weitere, neue Bücher hinein, von denen man nicht mal die Rücklichter sieht, von denen man nur träumen darf, weil Wolfgang Herrndorf sie nicht mehr schreiben wird. Seit mehr als einem Jahr steht ein Kreuz am Ufer des Berliner Hohenzollernkanals, dort, wo sich Wolfgang Herrndorf am 26. August 2013 erschossen hat, bevor der Tumor in seinem Kopf ihn töten konnte, was Herrndorf nicht zulassen wollte.
Auf den letzten Metern, die ihm blieben, hat er umso schneller geschrieben: Fast täglich in seinem Blog, aus dem postum das Buch "Arbeit und Struktur" wurde. Dann den preisgekrönten Roman "Sand" (2011). Und vor allem "Tschick", ein Jugendbuch für jedes Alter, das aus dem einigermaßen bekannten Berliner Schriftsteller und Maler im Herbst 2010 einen Star machte, ein Dreivierteljahr nach seiner Krebsdiagnose - und aus dem tatsächlich ein direkter Weg in dieses Fragment führt, das im Blog noch "Isa" hieß und das Herrndorfs Vertraute Kathrin Passig und sein Lektor Marcus Gärtner jetzt zu einem Buch geformt haben.
Denn Isa, die Erzählerin dieses Fragments, tauchte auch schon in "Tschick" auf, kometengleich, auf einer Müllkippe irgendwo im Osten Deutschlands, wo Maik und Tschick, die Helden der Geschichte, nach einem Schlauch suchen, um ihren geklauten Lada wieder betanken zu können. Isa hilft ihnen dabei, beziehungsweise zeigt ihnen, wie das überhaupt geht, denn so eine ist sie. Eine, die im Laufen Steine werfen kann, fünfzig Meter weit, wie an der Schnur gezogen. Dann begleitet Isa die Jungs ein Stück auf ihrem Trip, die beiden wollen im Lada ja in die Walachei, Isa will aber nach Berlin, also trennt sie sich bald wieder von Maik und Tschick. Die drei versprechen sich vorher aber noch ein Wiedersehen in fünfzig Jahren, 17. Juli, fünf Uhr nachmittags, 2060. Ein kurzer Auftritt ist das nur, er reicht aber, damit sich Maik in Isa verliebt und der Leser sich fragt, woher dieses Mädchen kommt und wohin es zieht.
Wolfgang Herrndorf hat sich das also auch gefragt. Und was er noch über Isa herausfinden konnte, steht nun in diesem unvollendeten Buch, mit dem er, man kann es im Blog nachlesen, gekämpft hat: Das Schreiben fiel ihm immer schwerer, bis es gar nicht mehr ging. Herrndorf musste, berichten Passig und Gärtner im Nachwort, mehr oder weniger dazu überredet werden, dass kein zweiter Autor Isas Geschichte zu Ende schreibt, wie er sich das erst gewünscht hatte, sondern die beiden Freunde den Text, so wie Herrndorf ihn hinterlassen würde, in eine Form brächten, die etwas ergibt.
Und diese Form ergibt: dreiunddreißig Kapitel, Szenen, Tagebucheinträge, manchmal sogar nur Stichworte, aus denen sich aber mehr erkennen lässt, und schließlich ein letzter Satz, der vielleicht gar keiner ist, der aber so perfekt, so cool und dramatisch ist, dass er einer sein könnte: "Ich halte die Waffe genau senkrecht hoch und sehe mit offenem Mund der Kugel hinterher, sehe sie steigen, sehe sie immer kleiner und kleiner und fast unsichtbar werden im tiefdunklen blauen Himmel, bevor sie sich aus dem Verschwundensein wieder materialisiert und zu fallen beginnt, millimetergenau zurück in den Lauf der Waffe."
Hier spricht Isa, ein junges Mädchen, vielleicht vierzehn, vielleicht psychotisch. Isa flieht aus einer Anstalt, per Anhalter in einem Laster, auf einem Binnenschiff, dann kurz mit Maik und Tschick im Lada, vor allem aber zu Fuß, barfuß sogar. Bewaffnet zieht sie durch ein Deutschland, das mal wie in echt, mal wie in der Kunst aussieht, wie im Märchen, im Film. Und dann reißt dieser Film ab. Eigentlich taucht Isa auch in ihrem eigenen Buch wieder wie ein Komet auf und zieht dann weiter, und wir wissen nicht, wohin, aber Herrndorf wird uns darauf keine Antwort mehr geben.
Und man sitzt also jetzt da mit dem angefangenen Roman und einem gebrochenen Herzen und will mit irgendwas auf irgendwas anderes werfen. Aber es nützt ja alles nichts, das Pathos nicht und nicht die Wut über diese Lächerlichkeit. Wie viele deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller (Herrndorf zählt ein paar auf in seinem Blog) schwärmen von den großen alten Meistern und schnörkeln ihnen weinerliche altmodische Imitate hinterher, als sei das ein Gift gegen die böse triviale Gegenwart, als sei die grammatisch korrekte Anwendung angestaubter Wörter schon so etwas wie Stil - und hier kommt Wolfgang Herrndorf, ein Spätromantiker im Internet, der moderne Malerei für Quatsch hält und Stendhal und Thomas Mann genau wie seinen Laptop liebt, und haut im Geiste seiner Helden aus vergangenen Jahrhunderten einen Satz nach dem anderen, ein Bild und ein Motiv nach dem anderen in einer Sprache von heute heraus, und dann muss der mit Ende vierzig sterben?
Es ist aber nicht nur die romantische Glasklarheit seines Stils ("Geht man durch die Tür, dann geht man in die Alltagswelt mit ihren Gewohnheiten und ihrem Schmutz. Steigt man aus dem Fenster, gelangt man in einen Raum wie in seinem eigenen Innern." Oder: "Der Oberkörper des Mannes ist schwarz von Blut. Es ist nicht sein eigenes. Im Reh ist ein Einschussloch, im Mann nicht."). Es sind vor allem die Schnitte, die Sprünge, dieses genaue Bewusstsein für Geschwindigkeit und Raffung. Da geht es zum Beispiel hin und her zwischen Isa und dem Binnenschiffer, der sie auf seinem Kahn mitnimmt, aber eigentlich der Polizei übergeben will, was Isa natürlich auf keinen Fall mitmachen wird, und eine Schleuse naht, und dann Absatz, und: "Als wir anlegen, wirft der Käpt'n mir ein Tau zu, das ich um einen Poller legen soll. Ich lege es um den Poller und laufe davon, in die warme Nacht hinein." Erst Beschleunigung auf tausend Worte und schneller, dann die eleganteste Vollbremsung auf einunddreißig, federnd weich, und dann weiter.
Wolfgang Herrndorf hat in seinem Blog davon geschwärmt, wie Thomas Mann im "Zauberberg" Clawdia Chauchat mit einem Halbsatz aus dem Roman wirft. Er kann das auch. "Show, don't tell", lehren die Schreibschulen, aber manchmal geht es beim Schreiben auch darum, weder zu zeigen noch zu erzählen - und der Leser versteht trotzdem, was sonst noch geschah, und wenn Sie jetzt mal die Sätze zählen, mit denen ich hier versuche, eine Technik zu erklären, für die man gar keine Sätze braucht, dann verstehen Sie das Genie Wolfgang Herrndorfs.
"Bilder deiner großen Liebe" ist ein unter Spannung stehendes, zerrissenes Buch. Das liegt einerseits an seiner Entstehungsgeschichte, andererseits ist es auch bewusst in den Passagen angelegt, die Herrndorf noch selbst fertigstellen konnte: Den manischen Schüben des Mädchens entspricht die abrupte Struktur des Buchs, die ansetzende, absetzende Erzählung, die hastige, hektische Bewegung von Text und Hauptfigur: Lastwagen, Schiff, Wald, Haus, Hotel, Wohnung, Feld, Auto, Wald, Weltraum. Isa ist unterwegs, deswegen hält sie auch die Begegnung mit Maik nicht lange auf. Sie könnte alles für ihn sein, er ist nur eine Episode für sie. "Fünf von sieben Frauen, in die ich in meinem Leben verliebt war, haben es nicht erfahren", heißt es in den Fragmenten von "Arbeit und Struktur", und man ahnt, das Herrndorf hier diese Lebenserfahrung in eine so gemeine wie schöne literarische Pointe verwandelt haben könnte.
Überhaupt ist das Buch voller Privatwitze. Herrndorf bringt ständig die Namen von Freunden unter, da gibt es Anspielungen auf Filme (wie Käutners "Unter den Brücken" oder "Sieben" von David Fincher) und kleine Rätsel für genaue Leser: In den Schweinetransporter, der Isa mitnimmt (und der von einem Schwein gefahren wird), waren die Jungs in "Tschick" mit ihrem Lada gekracht. In einem Dialog, den Isa zufällig abhört, im Dunklen an der Tankstelle, wo sie Maik und Tschick kennenlernen wird, reden zwei Schemen auf Englisch miteinander, ein Ortsname fällt, "Camden", und das kann kein Zufall sein: Denn Camden heißt das College, an dem Sean Bateman studiert und wo ihn sein Bruder besucht, Patrick, der "American Psycho". Und so wie Bret Easton Ellis seinen Psycho von einem frühen Roman ("The Rules of Attraction") in einen späteren wandern ließ, so tat das auch Mark Twain, den Herrndorf ebenso liebte, mit Huckleberry Finn.
In "Tschick" trägt Isa eine Kiste mit sich herum, und nicht nur die Jungs fragen sich die ganze Zeit, was in ihr steckt. Wolfgang Herrndorf hat da etwas geöffnet und bekommt es nicht mehr zu. Wie wunderbar muss es für einen Schriftsteller sein, das zu erkennen: eine Figur einfach wiederbeleben zu müssen, weil sie noch so viel vor sich haben könnte.
Aber man muss nichts von alledem checken, keine Anspielung, kein Zitat, um zu verstehen, worum es in "Bilder deiner großen Liebe" geht: um Zeitweh. Darum, sich nach einem Moment zurückzusehnen, so wie beim Heimweh nach einem Ort. "Mein Blick war von Anfang an auf die Vergangenheit gerichtet", schreibt Herrndorf in "Arbeit und Struktur", und das tut auch Isa, die sich als Teenager ihre Kindheit zurückwünscht. Zeitweh hat nämlich nichts mit dem Alter zu tun, darüber ist es erhaben, so mächtig ist dieses Gefühl. Und so widersprüchlich: Es macht genauso wehrlos (diese gottverdammte Unwiederbringlichkeit!), wie es tröstet. Und Literatur kann es imitieren.
"Einmal", erinnert sich Isa, "brachte mein Vater ein Zelt mit nach Hause. Es war nicht mein Geburtstag, es war auch nicht Weihnachten. Es war einfach so." Ob das Mädchen auf der Flucht seine Eltern sucht oder sie längst verloren hat, wird nicht recht klar. "Mein Vater hat seinen Arm um mich gelegt, und ich habe meinen Arm um seinen mächtigen Brustkorb gelegt, das war vor fünf oder sechs Jahren."
"Bilder deiner großen Liebe", Wolfgang Herrndorfs letzter Roman: Ein Stich, das ist der Abschied. Und dann Phantomschmerzen, die nicht weggehen, ausgelöst von Büchern, die es nie gab und nie geben wird und die trotzdem fehlen.
TOBIAS RÜTHER.
Wolfgang Herrndorf: "Bilder deiner großen Liebe". Ein unvollendeter Roman. Rowohlt Berlin, 144 Seiten, 16,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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«Bilder deiner großen Liebe» gehört schon jetzt in die Reihe jener Werke der Literatur, die den Begriff des Fragments umgewertet haben. Wie Franz Kafkas unvollendete Romane oder Georg Büchners «Woyzeck» haben sie aus dem, was vormals der Name eines Makels war, einer defizitären Form, ein eigenes literarisches Genre begründet. Süddeutsche Zeitung
Am Ende ist Kurt Scheel traurig, dass er Isa schon verlassen muss oder sie ihn, denn diese begabte, verrückte, empfindliche Figur hat er liebgewonnen auf ihrer Reise, diesem Roadmovie, Wolfgang Herrndorfs letztem Roman, aus dem Nachlass herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Marcus Gärtner und Kathrin Passig. Auch wenn er Isas Bericht nicht ganz trauen kann, darüber, wen sie so alles trifft und unter welchen Umständen, auch wenn es langweilig werden könnte, das alte Und-dann-und-dann-und-dann - Scheel hat Freude an dem Buch. Zu interessant die Heldin, zu gut Herrndorf als Autor, sein "federnder" Sound, seine "leisen" Pointen und überraschenden Wendungen. Und wie Herrndorf seine Geschichte konstruiert, versiert in der Art, nicht alles immer der Konstruktion unterzuordnen, hat Scheel auch gut gefallen.
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Broschiertes Buch
Die weibliche Tschick
Nach der Verfilmung von Tschick hörte ich von diesem unvollendeten Roman, da der Autor starb.
Dennoch ist bei guten Stellen der Klang von Tschick zu hören, die gewollte Gesetzlosigkeit, diesmal mit schnellen Füßen anstatt eines Autos. Wie bei Tschick …
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Die weibliche Tschick
Nach der Verfilmung von Tschick hörte ich von diesem unvollendeten Roman, da der Autor starb.
Dennoch ist bei guten Stellen der Klang von Tschick zu hören, die gewollte Gesetzlosigkeit, diesmal mit schnellen Füßen anstatt eines Autos. Wie bei Tschick kann man den Roman auch als Sammlung von Kurzgeschichten lesen. Und auch die Stelle, wo sie die beiden Jungs trifft, ist schon geschrieben.
Im Nachwort steht, dass der Autor mehrere Varianten hatte und sich noch nicht entschieden hatte. Dies mit Anmerkungen anzudeuten, wäre wohl eine Bereicherung gewesen. Die genannten lokalen Unstimmigkeiten sind mir beim Lesen nicht aufgefallen.
Ich kann die knappen 140 Seiten als kurzweilige Urlaubslektüre empfehlen. Echte Höhepunkte fehlen zwar, aber 4 Sterne ist in Ordnung.
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