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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Gespräche zwischen Alexander Kluge und Stefan Aust
Stefan Aust findet, es seien „durch Silicon Valley und die Algorithmen der digitalen Welt zusätzlich eine Herausforderung an unsere europäische Öffentlichkeit herangetreten“. Ja, sagt Alexander Kluge, es gehe nicht nur um die Reform des öffentlich-rechtlichen Systems, „sondern um die Gegenwehr aller Öffentlichkeiten der ALTEN WELT gegen den MEDIALEN PUTSCHISMUS aus Kalifornien und aus China. Es geht um einen GEGEN-ALGORITHMUS“. So klingt es, wenn zwei Medienveteranen über den Zustand der veröffentlichten Meinung der Gegenwart sprechen. Nachzulesen ist das in einem von Aust und Kluge gemeinsam herausgebrachten Band mit dem programmatischen Titel „Befreit die Tatsachen von der menschlichen Gleichgültigkeit“.
Dabei handelt es sich nicht um einen zusammenhängenden Text, der auf eine These oder Forderung der Autoren hinausliefe. Das Buch besteht vielmehr aus einer Collage mehr oder weniger zusammenhängender Gespräche, die im Laufe der Jahrzehnte geführt wurden, aus Erinnerungen, Erläuterungen, Beobachtungen, untermengt mit körnigen Fotos, TV-Standbildern, Tagesprotokollen und QR-Codes, die zu Filmsammlungen leiten. Darin geht es um deutsche und internationale Nachkriegsgeschichte, um die – einander ständig berührenden – Biografien Austs und Kluges, um Tages- und Jahrhundertpolitik. Den Einsturz des Kölner Stadtarchivs, die Gründung der Grünen, französische Streiks und Nürnberger Kellner. Und immer wieder geht es um Medien, um ihre Entwicklung, ihre Macht, ihre Unabhängigkeit.
Alexander Kluge und Stefan Aust kennen sich nun seit 1977, also beinahe ein halbes Jahrhundert. Kluge und sein Kollege Volker Schlöndorff drehten damals den Film „Deutschland im Herbst“, Aust arbeitete für das ARD-Magazin „Panorama“. Beide Kamerateams trafen einander in Stuttgart bei der Beerdigung „der Toten von Stammheim“, wie Kluge sich erinnert (also der RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe). Später arbeiteten Kluge und Aust dann bei den Filmen „Der Kandidat“ über Franz Josef Strauß und „Krieg und Frieden“ zusammen. Von den Achtzigern an gab es dann auch einen engen Austausch im Zusammenhang mit der unabhängigen TV-Plattform dctp, dem „Fernsehen ohne Intendanten“, dessen Gesellschafter Kluge ebenso ist wie der Verlag des Spiegels, dessen Chefredakteur Aust damals war. „Fensterprogramme“ wie „Spiegel-TV“ und Kluges eigene Formate „News & Stories“ und „10 vor 11“, oft sperrige, stets faszinierende Einschübe im Programm der Privatsender, entstanden aus einem gemeinsamen Geist unabhängiger Widerständigkeit und einem Anspruch auf Universalität. Aust hält Kluge ja auch, wie er in einem Geburtstagsartikel zum 90. Geburtstag seines Freundes schrieb, für „ein Universalgenie“.
Und so wäre auch dieses Buch kein Kluge-Projekt, gäbe es nicht Stellen wie die folgende: „Medien = Mittler. In den Wahlverwandtschaften gibt es einen Verteidiger der menschlichen Zuverlässigkeit, der ehelichen Treue mit Namen Mittler, leicht verscheuchbar, redselig. Heiratsvermittler, Wohnungsvermittler, Stellenvermittler, Dolmetscher – sie sind Medien. Medien sind Instrumente, über die sich mittelbare Erfahrung überträgt.“ Da präsentiert er sich in schönster Blüte, der bildungsbürgerliche, rhizomatisch-assoziative Kluge-Gestus, der – womöglich ungestellte – Fragen beantwortet und selbst neue aufwirft.
Doch vom Kern der Idee, dass den Medien noch immer eine in einer Haltung wurzelnde gesellschaftliche Vermittlerrolle zukommt – fern jener Gleichgültigkeit, die der Buchtitel so vehement ablehnt –, sprechen Aust und Kluge oft und konkret. Besonders die systemischen Beschränkungen des redaktionellen Systems bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die Ferne vom Geschehen, der zu häufige Rückgriff auf Agenturen, die mangelnde Zusammenarbeit mit freien Autoren: „Das öffentlich-rechtliche System bis hin zur machtvollen BBC ist das Verlässlichste, was wir an Tele-Öffentlichkeit haben“, sagt Aust im eingangs zitierten Dialog. „Es ist aber nur die Hälfte einer intakten und lebendigen Öffentlichkeit. Es ist eine ‚von oben gesteuerte Öffentlichkeit‘. Ihr muss unter dem gleichen Gesetz der Gemeinnützigkeit und der öffentlichen Verantwortung eine Struktur ‚von unten nach oben‘ entgegenwachsen.“
Die Selbstgewissheit der Autoren ist dabei keine Grenze gesetzt, sodass es nicht einmal überrascht, wenn Stefan Aust nebenbei einen Gottesbeweis einstreut: „Am Anfang des Johannesevangeliums steht der Satz: ‚Im Anfang war das Wort.‘ Aber im Original heißt das Wort Logos. Das Wort kannst du auch als Logik übersetzen. Wenn du den Satz sagst: ‚Im Anfang war die Logik, und die Logik war Gott, und Gott war die Logik‘, dann ist es logisch, dass es Gott gibt.“
Mit anderen Worten: Auch wenn man nicht immer zustimmen und auch wenn so manche Einlassung eine bis zwei Kapriolen zu viel schlägt: Es ist nie langweilig, diesen beiden alten Weggefährten gleichsam beim allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Reden zu folgen.
ALEXANDER MENDEN
Stefan Aust,
Alexander Kluge:
Befreit die Tatsachen
von der menschlichen Gleichgültigkeit –
Gespräche und Projekte. Piper Verlag,
München 2023.
336 Seiten, 24 Euro.
Alexander Kluge und Stefan Aust kennen sich seit fast 50 Jahren.
Foto: Imago
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Alexander Kluge und Stefan Aust werfen einen Blick zurück nach vorn auf ein doppeltes Arbeitsleben
Zum Gegenpol der Erfahrung aufzubrechen, das ist immer noch zehrend. Nur wenige erreichen diesen Pol, die Eiseskälte der unpersönlichen Öffentlichkeit. Noch wenigere kommen unversehrt zurück. Nicht zuletzt ist das eine Frage der Ausrüstung. Was solche Polarforscher absichert, das ist das reißfest verknüpfte mythologische Wissen der Menschheit (zumindest des Abendlands). Alexander Kluge ist einer dieser Abenteurer, auch und gerade mit über neunzig Jahren noch. Ein ganzes Denkerleben hat er zugebracht zwischen "Öffentlichkeit und Erfahrung"; so schon der Titel einer mit Oskar Negt verfassten Schrift aus dem Jahr 1972, die im vorliegenden Buch fälschlich auf 1974 datiert ist. Kluge, juristisch ausgebildet, stellt Fragen und greift Aussagen auf, die er höflich, aber unnachgiebig so lange umwendet, bis daraus eine Einsicht wird - und schließlich eine neue Frage.
Ein Beispiel dafür ist etwa die folgende, verdichtend umdichtende Rekapitulation von Richard Sennetts 1977 entwickelter These einer "Tyrannei der Intimität": "Die Tyrannei der Mittelwerte, der Sprachverbote und die Tyrannei der Tyrannen, einschließlich der Systeme des 'verwalteten Lebens', werden durch diesen populistischen Gegen-Tyrannen, der seine Freiheit an der zur Gesellschaft entgegengesetzten Seite sucht, den Tyrannen namens Misstrauen, an Macht übertrumpft." Aus Sennetts kulturkritischer Rückzugsthese - die besonders in Großstädten grassierende Manie des privaten Wohlbefindens führe zu Entpolitisierung und Vereinzelung - wird bei Kluge etwas Agonales. Wir bekommen sogar einen neuen "Gegen-Tyrannen" präsentiert, der alles einzuebnen droht, wobei Kluge natürlich weiß, dass Misstrauen neben Neugierde auch der Motor aller Erkenntnis ist. Entgrenzt aber - und diese Diagnose trifft auf die sozialmedienöffentliche Sphäre der Gegenwart haargenau zu - wird er zur universalen Negation. Ein Mindestmaß an Vertrauen in Ideen, Institutionen und "Tatsachen", heißt das, ist zivilisatorisch unverhandelbar: die Basis aller Öffentlichkeit. Solche Denkanstöße finden sich in Kluges Texten auf quasi jeder Seite, selbst in einem Buch, das sogar für seine Verhältnisse chaotisch wirkt und zudem einen zweiten Verfasser aufweist: Stefan Aust, heute Herausgeber der Zeitung "Die Welt" und Chefredakteur der Welt-N24-Gruppe. Aust, mit dem Kluge lange zusammengearbeitet hat, ist weit mehr Medienpraktiker und Journalist als der Denkfilmer Kluge, was die Gespräche der beiden, die sich als roter Faden durch diesen Band ziehen, sehr abwechslungsreich macht.
Zeitgleich mit dem Einbruch des diskursverflachenden Privatfernsehens in Deutschland gab es den fast schon heroischen Versuch, ein ganz anderes, freies, intellektuelles und debattenförderndes privates Fernsehprogramm auf die Beine zu stellen. Dieser mediale Aufbruch ist zentral mit den beiden Verfassern verbunden: Ab 1988 führte Aust den Sender "Spiegel TV", der eng mit Kluges ein Jahr zuvor gegründeter Entwicklungsgesellschaft für Fernsehprogramm, dctp, zusammenarbeitete. Vor allem auf diese Ära blicken die beiden hier zurück, wobei auch ältere Selbstverortungen integriert sind. Die "Überbietung der Sensationen" in "Zeiten der Echtzeitnachrichten" macht Kluge und Aust Sorgen, denn hier werde Aufmerksamkeit kanalisiert, das "Langzeitgedächtnis" und die Öffentlichkeit würden geschwächt. Auf "Sachlichkeit" ruht die Hoffnung, um der Abstumpfung durch Überemotionalisierung zu entrinnen. Das ist der Gegenpol, von dem eingangs die Rede war.
Für die detaillierten Informationen über die verschiedenen Stadien des Aust-Kluge-Fernsehimperiums mit all seinen Kooperationen und Neugründungen wie dem Sender XXP (2001 bis 2006; nach der Übernahme durch den Discovery Channel DMAX) dürften sich wohl vor allem Medienhistoriker interessieren. Auch für Anekdoten über die Teppichfarbe in den ersten Räumen von "Spiegel TV" dürfte das Interesse begrenzt sein. Gleich mehrfach stolz rekapituliert wird der größte Scoop dieses Senders: Als einzigem Fernsehteam gelang es am 9. November 1989 dem Team des damaligen "Spiegel TV"-Redakteurs Georg Mascolo, die Grenzöffnung in Ost-Berlin mit einer Kamera festzuhalten.
Aust, der generell nicht für seine Bescheidenheit berühmte RAF-Biograph, verbirgt nicht, immer wieder die Hand am Puls der Zeit gehabt zu haben: "Ich war nahe dran, als Rudi Dutschke niedergeschossen wurde"; "Ich habe . . . die Springer-Demonstrationen mit Ulrike Meinhof . . . mitgemacht." Und er steuert Informationen aus erster Hand zu nahezu jedem Thema bei, sei es aus Nantucket zu "Moby Dick", sei es aus Feuerland zur Öl-Debatte. So hält er Ölprodukte aufgrund ihrer Energiedichte für "schwer zu ersetzen". Kluge denkt derweil über die Arbeiter auf Ölplattformen nach: "Wo werden sie sexuell getröstet?" Im nächsten Schritt ist er, ganz Mythologe, bei der "Odyssee", die deshalb interessanter sei als die "Ilias", weil sie auch Liebesgeschichten beinhalte. Dieses einander befeuernde Aneinandervorbeireden ist überhaupt das Interessanteste an dem vorliegenden Band. Kluge stellt vor allem Fragen: "Wie hoch können Wellen werden?" "Was ist der Gebrauchswert der Bundesrepublik?" Aust gibt quasi aus dem Zeugenstand Antwort auf Antwort, oft spannend realpolitische, aber im Idealfall laufen sie auf neue Fragen des Gegenübers hinaus: "Worauf kann man stolz sein?"
In wildem Galopp geht es immer eng an den eigenen Biographien entlang um Fragen der Medien, der Gesellschaft, der Technik und der Politik. Das ist höchst anregend. Am Gegenpol der Gleichgültigkeit ist auch der Widerspruch gefragt: die deviante Position, nicht die einfach provokative. Aust, der überhaupt der Meinung ist, "dass dieses Land nicht mehr gut regiert und verwaltet wird" (beileibe keine Minderheitenmeinung), meint, den Klimawandel habe es "immer schon gegeben", der menschliche Einfluss werde überschätzt. Und Kluge wiederholt, was er schon mehrfach gesagt hat: Das "Empfinden" der russischen Seite, der man mit der NATO-Erweiterung auf den Leib gerückt sei, hätte in unserer politischen "Echtzeit der Gefühle" ebenfalls berücksichtigt werden müssen, auch wenn das keineswegs den Überfall auf die Ukraine rechtfertige. Beides muss nicht stimmen. Aber die Reibung, die das produziert, ist intendiert. Es ist eine Reibung, die zu Funken führt, zum Feuer des Diskurses. Der hoffnungsvollste Gedanke, den der Polarforscher Alexander Kluge uns dann noch mitgibt, ist aber wohl dieser: "Es ist klinisch nicht erwiesen, dass es Wunder gibt. Es ist aber auch klinisch nicht erwiesen, dass es keine gibt." OLIVER JUNGEN
Stefan Aust, Alexander Kluge: "Befreit die Tatsachen von der menschlichen Gleichgültigkeit." Gespräche und Projekte.
Piper Verlag, München 2023. 336 S., geb., 24,- Euro.
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