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Am 26. Mai 1952 beschloß der Ministerrat der DDR die 'Errichtung eines besonderen Regimes an der Demarkationslinie'. Die Grenze zu Westdeutschland sollte zu einer Sicherheiteszone und zu einer unüberwindbaren Barriere ausgebaut werden. Hierzu wurden binnen weniger Tagen alle Bewohner innerhalb eines neu geschaffenen fünf Kilometer tiefen Sperrgebietes überprüft. Die als politisch unzuverlässig Eingestuften wurden über Nacht in das Innere des Landes zwangsumgesiedelt. Den Autoren ist es gelungen, anhand umfangreicher Archivstudien und Zeitzeugenbefragungen das gesamte Ausmaß der Aktionen…mehr

Produktbeschreibung
Am 26. Mai 1952 beschloß der Ministerrat der DDR die 'Errichtung eines besonderen Regimes an der Demarkationslinie'. Die Grenze zu Westdeutschland sollte zu einer Sicherheiteszone und zu einer unüberwindbaren Barriere ausgebaut werden. Hierzu wurden binnen weniger Tagen alle Bewohner innerhalb eines neu geschaffenen fünf Kilometer tiefen Sperrgebietes überprüft. Die als politisch unzuverlässig Eingestuften wurden über Nacht in das Innere des Landes zwangsumgesiedelt. Den Autoren ist es gelungen, anhand umfangreicher Archivstudien und Zeitzeugenbefragungen das gesamte Ausmaß der Aktionen anschaulich zu rekonstruieren und durch zahlreiche Materialien zu dokumentieren. In einem aktualisierten Schlußkapitel wird auf die Entwicklung seit 1989 eingegangen und über die unterschiedlichen Formen der Rehabilitierung und Entschädigung für das begangene Unrecht informiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.1995

Codewort der Aktion: "Ungeziefer"
Zwangsaussiedlungen auf Geheiß der Sowjets und der SED

Inge Bennewitz, Rainer Potratz: Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze. Analysen und Dokumente. Forschungen zur DDR-Geschichte, herausgegeben von Armin Mitter und Stefan Wolle, Band 4. Ch. Links Verlag, Berlin 1994. 301 Seiten, 38,- Mark.

Für die veröffentlichte Meinung in der DDR waren die Zwangsaussiedlungen aus dem östlichen Zonengrenzraum so lange tabuisiert, wie die SED die Medien unter ihr Diktat zwingen konnte. Das Wissen um das Unrecht und das Leid, das bei den Grenzevakuierungen 1952 und 1961 rund elfeinhalbtausend Menschen widerfuhr, war daher nur in notgedrungen bruchstückhaften Weißbüchern aus Bonn nachzulesen.

Schon unter diesem Aspekt haben sich Inge Bennewitz und Rainer Potratz mit ihrer Publikation zu den Zwangsaussiedlungen verdient gemacht. Erstmals liegt eine Rekonstruktion der damaligen Aktionen vor. Die Autorin, Jahrgang 1941, wurde mit ihren Eltern selbst von der Aussiedlung aus Dömitz/Elbe betroffen. Der Autor, Jahrgang 1953, hat sich der Thematik als Sozialwissenschaftler und Historiker "West" zugewandt. "Das Zusammenbringen dieser unterschiedlichen Lebenserfahrungen kann produktiv sein", schreiben sie in der Einleitung, "weil frühere Erklärungsmuster noch vor der Erarbeitung des Manuskripts diskursiv zu verhandeln sind." Nicht alle Differenzen konnten ausgeräumt werden.

Die erste Zwangsaussiedlungsaktion, intern mit dem menschenverachtenden Codewort "Ungeziefer" bedacht, fiel auf den Stichtag 15. Juni 1952. Nach den Recherchen von Bennewitz/Potratz wurden 8369 Menschen aus über hundert Grenzdörfern erfaßt, die binnen Stunden Haus und Hof verlassen mußten und auf Lastkraftwagen mit Hausrat, Mobiliar und Vieh in "sicheres Hinterland" verbracht wurden.

Ausgangspunkt waren Sperrmaßnahmen an der Demarkationslinie, die durch zwei Verordnungen vom 26. Mai und vom 9. Juni 1952 verfügt wurden, "um ein weiteres Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Schädlingen in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern". Eine Begründung, die so verlogen war wie das Regime selbst.

Durch eine in der DDR damals geheimgehaltene Polizeiverordnung des Ministers für Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser, wurde im östlichen Zonenrandgebiet eine "besondere Ordnung" eingeführt: Ein gepflügter 10-Meter-Kontrollstreifen, ein 500-Meter-Schutzstreifen und eine 5-Kilometer-Sperrzone teilten fortan Felder und Wälder an der Demarkationslinie zwischen beiden Teilen Deutschlands. Die "Empfehlung" dazu kam von den Sowjets!

Die Zwangsaussiedlung von Bewohnern des Sperrgebietes an der Grenze wurde durch Geheimbefehl 38/52 des Chefs der Deutschen Volkspolizei, damals Karl Maron, ausgelöst. Davon betroffen waren "Kriminelle", "Prostituierte" und Personen, "die wegen ihrer Stellung in und zu der Gesellschaft eine Gefährdung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung darstellen". Bennewitz und Potratz schildern und dokumentieren, was damals geschah, anhand großenteils bislang unveröffentlichter Materialien aus den Archiven der Staatssicherheit und des Innenministeriums der gewesenen DDR sowie aus dem Zentralen Parteiarchiv. Zusätzlich haben sie Zeitzeugen befragt, so daß ein dichtes, eindringliches, detailliertes Bild entstand. Vorbereitung und Durchführung der Aktion "Ungeziefer" werden anschaulich.

Auch Verweigerung und widerständiges Verhalten werden nachgewiesen, erstaunlich eindeutig formulierte Proteste beider Kirchen, die Flucht Tausender Grenzbewohner nach Westen. Allein in den thüringischen Grenzkreisen Worbis, Eisenach, Salzungen und Sonneberg konnten sich 4435 zur Aussiedlung bestimmte Personen durch Flucht entziehen.

In einigen Dörfern kam es, als die Räumkommandos aufzogen, zu aktivem Widerstand. Wie die Verfasser recherchiert haben, wurden in Streufdorf (Kreis Hildburghausen) Barrikaden und Straßensperren errichtet und die Kirchenglocken geläutet, mit Äxten und Mistgabeln bewaffnete Grenzbewohner stoppten die abfahrbereiten Lastkraftwagen. Erst durch massive Polizeigewalt wurde der Widerstand nach Stunden gebrochen. Zwölf "Rädelsführer" wurden verhaftet und später zu Zuchthaus bis zu acht Jahren verurteilt. Ähnliches ereignete sich in Dorndorf (Kreis Bad Salzungen).

Auch die Aussiedlungsaktion zum Stichtag 3. Oktober 1961, Codewort "Festigung", wurde binnen weniger Stunden rücksichtslos durchgezogen. 3273 Menschen wurden aus ihren Grenzdörfern verschleppt - "politisch unzuverlässige Elemente". Während die Zwangsumsiedlungen neun Jahre zuvor durch ad hoc gebildete Strukturen bewältigt wurden, durch eine Zentrale Kommission, Unterkommissionen und Operative Kommissionen, hatten im Jahr des Berliner Mauerbaus die Bezirks- und Kreiseinsatzleitungen ihre "Bewährungsprobe" zu bestehen. Ihre Vorsitzenden waren jeweils die 1. Sekretäre der Bezirks- beziehungsweise Kreisleitungen der SED. Während 1952 die Sowjets noch mittaten im bösen Spiel, lag 1961 die Verantwortung allein bei der Staatspartei.

Der Wert des Buches liegt in seiner faktenbezogenen Analyse und sorgfältigen Dokumentation. Schwächen werden offenbar, auch terminologische Unsicherheiten, wo Bennewitz und Potratz sich im Kontext der Zwangsaussiedlungen in politischen Deutungen versuchen. Hier werden Fehlurteile formuliert, über die Deutschland-Politik Konrad Adenauers etwa oder über die "verpaßten Chancen" der Stalin-Note vom 10. März 1952, die zum Widerspruch reizen. Auch Zaissers Sturz durch Walter Ulbricht wird in einer Weise dargestellt, die historisch anfechtbar ist.

Zu bedauern ist auch, daß im Dokumenten-Anhang die seinerzeitigen Verordnungen über Maßnahmen an der Demarkationslinie und Zaissers Polizeiverordnung unberücksichtigt blieben. Der Verweis auf anderweitige Veröffentlichung tröstet über die Lücken nicht hinweg. Nicht einzusehen ist auch, daß sämtliche Zeitzeugen unter verändertem Namen zitiert und Dokumente so rigoros anonymisiert werden, daß der Datenschutz zur Manie gerät. Trotzdem ein für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte wichtiges Buch! Seine kritischen Ausführungen über die Schwierigkeiten bei der Regelung von Eigentums- und Entschädigungsfragen der damals Betroffenen geben politisch besonders zu denken. KARL WILHELM FRICKE

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"Die Autoren erhellen ein Gebiet, das auch in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung eher ausgeklammert war." (Mitteldeutsche Zeitung 16.12.94) "Anhand von in den Archiven minitiös nachvollzogenen Einzelschicksalen führen die Autoren die außerordentliche Willkür bei Auswahl und Vollzug der Aussiedlungen vor." (Thüringer Anzeiger 3.12.1994) "Mit Beklemmung entnimmt man Darstellungen und Dokumenten, wie rücksichtslos ein ins Extrtem gesteigertes Bedrohungs- und Sicherheitsdenken über die Bevölkerung hinwegging, wie wenig es sich gesetzlichen Normen verpflichtet fühlte und wie bar jeglichen Rechtsgefühls die für diese Aktionen Verantwortlichen"sozialistische Gesetzlichkeit"interpretierten.Jahrbuch für Regionalgeschichte/Landeskunde Der Wert des Buches liegt in seiner faktenbezogenen Analyse und sorgfältigen Dokumentation." (FAZ, 14.7.95) "Bis zum Ende der DDR waren die Zwangsaussiedlungen tabuisiert. Die Autoren haben anhand umfangreicher Archivstudien und Zeitzeugenbefragungen das gesamte Ausmaß und den Hintergrund der Aktionen rekonstruiert und durch zahlreiche Materialien anschaulich dokumentiert." (Neue Justiz, 2/1995)