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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2001

Chefdesigner der Poesie
Eugen Gomringers Schriften · Von Harald Hartung

Erfinder sind selten in der Literatur. Doch der inzwischen 75 Jahre alte Eugen Gomringer ist einer. Er hat die konkrete Poesie erfunden oder zumindest miterfunden. 1955, bei einem Treffen an der Ulmer Hochschule für Gestaltung, akzeptierte er den Vorschlag der brasilianischen Gruppe "noigandres", die parallelen Experimente als "konkrete Poesie" zu bezeichnen. Dazu paßt, daß Gomringer selbst in Cachuela Esperanza (Bolivien) geboren ist. Sein erstes konkretes Gedicht "avenidas" schrieb er 1951 auf spanisch, und seine erste eigene Publikation versprach, ganz internationalistisch, "konstellationen constellations constellaciones".

Was Gomringer erfand, ist keine geschlossene Form, wie etwa das Sonett, sondern das Rezept für fast unbegrenzte Design-Möglichkeiten. An die Stelle des Verses tritt - mit einem von Mallarmé entlehnten Begriff - die "Konstellation". Gemeint ist eine Gruppierung von Worten, deren Beziehung nicht durch die Syntax geregelt, sondern durch die bloße Anwesenheit und Beziehungsmöglichkeit der Wörter auf derselben Seite bestimmt wird.

Für dieses Design hat Gomringer Beispiele geschaffen, die unverwechselbar und somit klassisch geworden sind. Das berühmteste dürfte diese titellose Ein-Wort-Konstellation sein:

schweigen schweigen schweigen

schweigen schweigen schweigen

schweigen _________ schweigen

schweigen schweigen schweigen

schweigen schweigen schweigen

Das war verblüffend einfach, aber man konnte lange über die Paradoxien der graphischen Anordnung eines einzigen Wortes reden und streiten. Ein Kritiker warf Gomringer vor, der Text sei, bei allem Anschein äußerster Askese, überinstrumentiert. Er schlug vor, die beiden Außenzeilen einfach fortzulassen. Im übrigen werde Schweigen nicht nach Millimetern, sondern nach Sekunden gemessen.

Wie auch immer: Ein, zwei Jahrzehnte lang war die konkrete Poesie überaus erfolgreich. Große Verlage wie Luchterhand und Rowohlt nahmen sie ins Programm. Deutschlehrer entdeckten ihren elementaren Charakter als didaktischen Vorzug gegenüber der bürgerlichen Literatur. Linke glaubten, von der Revolution der Sprache führe der Weg zur Sprache der Revolution, und schrieben Agitprop-Gedichte im konkreten Stil. Vor allem aber entdeckte die Werbung die Suggestion der plakativ angeordneten Worte und Wort-Spiele, Sprache als Design.

Design ist für Gomringer alles andere als ein Schimpfwort. Er, der Erfinder der Sache und ihr poetischer Chefdesigner, hat die praktischen Möglichkeiten der konkreten Poesie nie geringgeschätzt. Er hat das Gedicht - wenn auch anders als Bertolt Brecht - als "Gebrauchsgegenstand" angesehen und Poesie als "Mittel der Umweltgestaltung" propagiert. Bereits im Jahre 1958 sah er die Dichtung als "kern der zukünftigen universalen weltsprache" und forderte eine universale Auffassung der Gesellschaft, "um wirtschaftliche produktivität und menschliche beziehungen in harmonische korrelation zu bringen" - Globalisierung durch Sprache.

Die scheinbar selbstreferentielle konkrete Poesie war also - fast von Anfang an - immer auch angewandte Kunst. Ihr Schöpfer verband ohne erkennbare Mühe zwei Seelen in seiner Brust. Neben dem weltbeglückenden Designer gibt es den mönchischen Gomringer mit einer Neigung zur Kontemplation. Am Himmel seiner Konstellationen erscheinen die Grundworte des menschlichen Lebens. Gegen Rilkes schönrednerisches "Stundenbuch" setzte er eine schmale Folge gleichen Titels, komponiert aus vierundzwanzig Worten, die der Zahl der Stunden entsprechen, und aus dem "mein" und "dein" jeder dialogischen Beziehung. Ordnung und Harmonie stiften die Verbindung zwischen Welt und Spiritualität.

Diesem Gedanken von Maß und Ordnung ist Eugen Gomringer, dem in der Jugend Mallarmé und Stefan George zum Vorbild wurden, über die Jahrzehnte gefolgt. So ist er bei Lebzeiten zum Klassiker der von ihm etablierten Richtung geworden. Sie überschritt ihren Höhepunkt nach 1968, und dem Systemdichter Gomringer folgten die anarchischen Jokulatoren - so der melancholisch-witzige Ernst Jandl als der Größte unter ihnen. Er dichtete: "i love concrete / i love pottery / but i'm not / a concrete pot." Wobei man die Bedeutung von "concrete" als Beton durchaus nicht ignorieren darf.

In den späteren Jahren hat Eugen Gomringer das Geschaffene und Erworbene gesammelt, darunter auch den Grundstock zum ersten deutschen Museum für konkrete Kunst in Ingolstadt. Seine eigenen poetischen und theoretischen Texte hat die Wiener "edition splitter" in den letzten Jahren in drei Bänden zusammengefaßt. Der erste bringt die Konstellationen 1951 bis 1995, der zweite die Aufsätze und Manifeste zur konkreten Poesie und der dritte eine Auswahl von Texten und Reden "über Künstler und Gestaltungsfragen" 1958 bis 2000.

Dieser jüngst erschienene Band "Zur Sache der Konkreten" meint mit seinem Titel die über hundert Maler und Bildhauer, die im engeren oder weiteren Sinne zur konkreten Kunst gehören. Das Buch ist aus zwei Gründen interessant. Zunächst macht es deutlich, wie stark Gomringers eigene Arbeit und Konzeption von der Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst bestimmt sind. Vor allem vom Begriff der konkreten Malerei, den im Jahre 1930 Theo van Doesburg in seinem Manifest "Base de la peinture concrète" propagierte und den Max Bill 1936 in seinem Text "konkrete gestaltung" erweiterte. In einem Text über Camille Graeser erinnert Gomringer an das Jahr 1944 als eine Art Schlüsseljahr, an die Ausstellungen "Konkrete Kunst" in der Kunsthalle Basel und an "abstrakt + konkret" in der "Galerie des eaux-vives" in Zürich.

Zum andern belegen die vielen alphabetisch geordneten Artikel und Katalogbeiträge zu Künstlern, von Karl-Heinz Adler bis H. H. Zimmermann, daß Gomringer seine Sache in der bildenden Kunst immer noch am ehesten bewahrt und gefördert sieht. Er kommt immer wieder auf die großen Namen zurück, auf Josef Albers, Hans Arp, Max Bill, Günter Uecker und Victor Vasarely. Aber er bespricht und fördert auch die kleineren Talente, die gegen den Mainstream an der Sache des Konkreten festhalten, und er, der Altmeister des Konkreten, wundert sich jugendlich über die Maler, die beweisen, "daß wirklich noch nicht alle Bilder gemalt sind".

Eugen Gomringer: "Zur Sache der Konkreten". Eine Auswahl von Texten und Reden über Künstler und Gestaltungsfragen 1958-2000. Edition Splitter, Wien 2000. 544 S., br., 80,- DM.

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