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Stockholm: Die Tage sind kurz, früh bricht die Dunkelheit des skandinavischen Winters über die Stadt herein. Die Frauen, deren Schicksal die renommierte Schwedische Schriftstellerin in ihrem neuen Roman zu einem Netz verwebt, stören sich an den dunklen Nächten nicht. Silvia sucht in Gewölben unter der Altstadt nach archäologischen Funden; Blenda restauriert ein kostbares Seidentuch; Sigge befaßt sich mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers Eyvind Johnson. Alle sind sie auf der Suche. Ihre Erfahrungen tauschen sie bei Oda aus, die mit sicherer Hand Menschen zueinander führt, Kunst und…mehr

Produktbeschreibung
Stockholm: Die Tage sind kurz, früh bricht die Dunkelheit des skandinavischen Winters über die Stadt herein. Die Frauen, deren Schicksal die renommierte Schwedische Schriftstellerin in ihrem neuen Roman zu einem Netz verwebt, stören sich an den dunklen Nächten nicht. Silvia sucht in Gewölben unter der Altstadt nach archäologischen Funden; Blenda restauriert ein kostbares Seidentuch; Sigge befaßt sich mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers Eyvind Johnson. Alle sind sie auf der Suche. Ihre Erfahrungen tauschen sie bei Oda aus, die mit sicherer Hand Menschen zueinander führt, Kunst und Wirklichkeit verknüpft. Sie führt weiter, was ihr verstorbener Mann, ein idealistischer Humanist, begründet hat: ein Gesprächskreis nach dem Vorbild eines Romans von Johnson. Wieder einmal stellt Kerstin Ekmann mit diesem Epos ihr feines Gespür für die Innen- und Außenwelt ihrer Figuren unter Beweis. Frauenschicksale aus Gegenwart und Vergangenheit verbinden sich zu einem Kaleidoskop des Lebens.
Autorenporträt
Kerstin Ekman, geboren 1933, gilt als die wichtigste skandinavische Gegenwartsautorin. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist preisgekrönt, wurde vielfach verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.1998

Finster ist das Lichterfest
Jedem eine Leiche in den Keller: Kerstin Ekmans Erweckungen

Meisterhaft: kein Wort taucht mit größerer Zuverlässigkeit auf als dieses, wenn von den Büchern der schwedischen Schriftstellerin Kerstin Ekman die Rede ist. Ihre raffiniert konstruierten Romane aus den Abgründen des Wohlfahrtsstaates führen in Skandinavien Bestsellerlisten an, in rund zwanzig Sprachen sind sie mittlerweile übersetzt, und fast alle großen Auszeichnungen, die in Skandinavien zu vergeben sind, hat die Verfasserin erhalten. Wer sich in die Lektüre von Ekmans Erzählungen begibt, stürzt sich in Lese-Ozeane von epischen Ausmaßen. Dafür wurde er bisher, wie zuletzt in den "Geschehnissen am Wasser", durch das Erlebnis eines Mahlstroms belohnt, in dessen Sog er langsam, aber unwiderstehlich geriet.

Drei Jahre nach diesem Riesenkrimi ist jetzt Kerstin Ekmans jüngster Roman auf deutsch erschienen, wieder ein Meisterstück an Konstruktion. Außerdem aber ist er, was sein Vorgänger nicht war, nämlich langweilig. Lange, sehr lange muß der Leser in diesem sechshundertseitigen Ozean geschwommen sein, ehe er wenigstens die Ahnung eines Strudels verspürt; über nicht wenigen werden aber schon vorher die Wogen zusammengeschlagen sein. Dabei ist die Geschichte so kunstreich arrangiert wie nur je. Eine Fülle von Erzählfäden wird ausgelegt und dann derart umständlich ineinandergeschlungen, daß der lange verwirrte Leser endlich um so erstaunter das Muster eines riesenhaften Lebensteppichs erkennen kann - eine beachtliche Leistung an erzählerischem Kalkül, aber doch mehr Kalkül als Erzählung.

Die Erzählfäden sind auch hier lauter Lebensfäden, gesponnen von den Parzen eines unvorhersehbaren Schicksals. Diesmal ereilt es die sieben Frauen, die sich in Oda Arpmanns Gesprächskreis treffen, um über Gott und die Welt zu reden. Dabei folgen sie großen Vorbildern: dem Herrenclub, in dem Odas verstorbener Ehemann Krylund und seine Freunde während des Zweiten Weltkriegs Debatten über Recht und Unrecht führten, und dem Kunstwerk, das ebendiesen Club in die Weltliteratur eingeführt haben soll: der Roman-Trilogie "Krilon" des Nobelpreisträgers Eyvind Johnson. Beim Spaziergang soll Krylund dem berühmten Dichter begegnet sein; der habe im zufälligen Gespräch das Thema seines Buches gefunden. Und wirklich erinnert Johnsons Abrechnung mit der schwedischen Neutralitätspolitik der vierziger Jahre an Grundwerte, wie Krylunds Kreis sie vorlebt; die Praxis solcher Aufklärer stellt der Dichter wie eine Allegorie der kommunikativen Vernunft den totalitären Bedrohungen von rechts und links entgegen.

So jedenfalls erzählt es Oda ein ums andere Mal. Nur hat sie dabei den Fehler begangen, Literatur und Leben zu verwechseln. Die gesamte Krylund-Johnson-Geschichte nämlich, und damit das ideologische Fundament der Frauengruppe, erweist sich ebenso als bloße Fiktion wie Johnsons Roman selbst, dem mit der desillusionierten Enthüllung der Beweis seiner realen Anwendbarkeit wegbricht. Das ist der Kern des Buches, seine trotz aller abstrusen Einkleidung gar nicht so überraschende Botschaft: Das Leben ist ohne Lebenslügen nicht auszuhalten. Und deren Aufdeckung zerstört das Leben.

Kajan Tidström etwa, eine der Frauen aus Odas Gesprächskreis, erzählt, von Skinheads provoziert, zum ersten Mal die wirkliche Geschichte ihres Lebens. Ihr wahrer Name lautet Katarzyna Grossman, und sie ist als polnische Jüdin von den Nazis ins KZ gesperrt worden. Die neue Identität ist in der Nachkriegszeit ihre Überlebens-Fiktion gewesen. Beim Erzählen dieser Wahrheit aber bricht sie unter der Wahrheit zusammen, wenig später begeht sie Selbstmord. Und die Skins haben der Geschichte bloß halb amüsiert, halb gleichgültig zugehört, das war alles.

Entsetzlich dünn ist hier die Membran, die Leben und Tod, graue Alltäglichkeit und grellstes Entsetzen, menschliches Leben und tierhaftes Vegetieren trennt. Aus banalen Anlässen zerreißt sie, und die Katastrophen brechen herein. Damit diese Behauptung zur Leseerfahrung werden kann, schlingert der Roman artistisch zwischen dokumentarischer Genauigkeit und Allegorie, Sozialrealismus und Phantastik, Menschenverstand und Irrsinn. So wird eine der Gestalten buchstäblich zum Affen, eine andere degeneriert zu einem werwolfsartigen Jammerwesen. Und am Lucia-Tag, als sich ganz Schweden wie jedes Jahr an Lichterglanz und Weihnachtsstimmung freut, verschwindet Rosemarie unter unheimlichen Umständen und läßt ihre Lebensfreundin und deren kleine Tochter allein zurück. Die damit einsetzende bizarre Kriminalgeschichte bildet einen, wenn auch dünnen, roten Faden im verwirrenden Geschehen. Denn während das Kind immer neuen Wunschphantasien über ihre künftige Wiederkehr nachhängt, ist Rosemarie schon längst von einer sektenhaften Jugendbande entführt und ermordet worden. Ausgerechnet am Lichterfest also ist die Finsternis hereingebrochen; und als sei diese Symbolik nicht schon drastisch genug, sehen wir endlich die Leiche im Keller ebenjenes Hauses, in dem einst Krylunds Gesprächskreis die Hoffnung auf Fortschritt und Menschenrecht festhielt, in der Tiefkühltruhe liegen.

Das makabre Bild ist das Emblem dieser Romanwelt. Jeder hat hier seine Leiche im Keller, kalt und starr und unvergänglich; aus lauter Kellern wird ein Labyrinth der Finsternis, und die verhängnisvollste Anmaßung ist der Versuch, es auszuleuchten. Denn als letzte Lüge erweist sich ebendieses Vertrauen in die heilende Kraft der Aufklärung. Der herrschaftsfreie Diskurs, Mittelpunkt für Odas Lebenspläne wie für Johnsons Roman - er funktioniert nur im ästhetischen Schein. In der Wirklichkeit mündet er, als Wille zur Wahrheit und Macht, immer von neuem in Wahn und Tod. Um etwa verbliebene Einwände endgültig zu zerstreuen, treten schließlich Nathan der Weise und Moses Mendelssohn persönlich als Botschafter des bösen Willens in Schweden auf und erklären, unter Tränen, das Scheitern des Projekts Aufklärung; am Ende sind alle am Ende.

Wie die immer neuen Illustrationen immer derselben Botschaft, so läuft auch das selbstreflexive Spiel des Buches mit Sinnbildern seiner eigenen Konstruktion auf die Dauer ins Leere. Die Lebens-Textur, die Verflechtung von Mythen, Fiktion und Metafiktion - in dem bilderreichen orientalischen Gewand, das zwei der Protagonistinnen restaurieren wollen, gewinnt sie ebenso handfest allegorische Anschaulichkeit wie im Firmennamen eines Medienunternehmens: "Globecom Universal Net" heißt es und liefert außer Stoff für allerlei medienkritische Gespräche auch das Etikett für ein Erzählnetz, das wir eigentlich auch ohnedies bemerkt hätten.

"Gör mig levande igen" heißt der Roman auf schwedisch: "Mach mich wieder lebendig". Genau das wünscht man diesem Buch. Es spielt virtuos mit Fiktionen, denen das Leben längst abhanden gekommen ist. Die Kunstmittel, deren Beherrschung diese Erzählerin berühmt gemacht hat, setzt sie hier in hemmungsloser Überdosierung ein; das Ergebnis ist ein Überdruß, der in umgekehrtem Verhältnis zu den dargestellten Schrecknissen steht. Gewiß, es gibt noch immer Passagen von beklemmender Dichte, die für einen Augenblick glaubhaft machen, was der Rest in breitgewalzten Allegorien beteuert. Das sind wenige Seiten. Das Ganze aber ist schwedischer Marmor - meisterhafte kalte Pracht. HEINRICH DETERING

Kerstin Ekman: "Zum Leben erweckt". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Hedwig M. Binder. Malik Verlag, München 1998. 616 S., geb., 46,- DM.

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