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»Ein echtes Juwel, meisterhaft und bewegend.«(franceinfo:culture)Von 1939 bis 1943 sammelten und versteckten Emanuel Ringelblum und seine Gefährten der Gruppe Oyneg Shabes unter unvorstellbaren Bedingungen Zehntausende von Zeugnissen über das Leben und Leiden im Warschauer Ghetto. In seinem neuen Buch erzählt Georges Didi-Huberman die Geschichte ihrer Aktionen und archivarischen Unternehmungen. Es ist eine Hommage an diese Menschen und ein bewegendes, unverzichtbares Buch der Erinnerung.»Zerstoben« wirft einen ersten Blick auf ein Korpus unveröffentlichter Bilder, die untrennbar mit einem…mehr

Produktbeschreibung
»Ein echtes Juwel, meisterhaft und bewegend.«(franceinfo:culture)Von 1939 bis 1943 sammelten und versteckten Emanuel Ringelblum und seine Gefährten der Gruppe Oyneg Shabes unter unvorstellbaren Bedingungen Zehntausende von Zeugnissen über das Leben und Leiden im Warschauer Ghetto. In seinem neuen Buch erzählt Georges Didi-Huberman die Geschichte ihrer Aktionen und archivarischen Unternehmungen. Es ist eine Hommage an diese Menschen und ein bewegendes, unverzichtbares Buch der Erinnerung.»Zerstoben« wirft einen ersten Blick auf ein Korpus unveröffentlichter Bilder, die untrennbar mit einem Archiv von etwa fünfunddreißigtausend Seiten Geschichten, Statistiken, Zeugenaussagen, Gedichten, Volksliedern, Hausaufgaben von Kindern in geheimen Schulen oder Briefen, die aus Viehwaggons auf dem Weg nach Treblinka geworfen wurden, verbunden sind. Ein Archiv der Katastrophe, aber auch des Überlebens und einer ganz besonderen Form der Hoffnung, in einer Umgebung, in der alle mit dem Rücken zurWand standen und nur wenige dem Tod entkamen. Verstreutes - wie alles andere in diesem Archiv. Aber jedes Bild sollte als Zeugnis des täglichen Lebens und Sterbens im Ghetto gesehen werden. Bilder, die bis jetzt noch nicht untersucht wurden. Sie werfen die Frage nach der Art des Wissens oder gar des Stils auf, der angesichts der Verstreutheit all dieser Dokumente von einer Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden kann, die für die untröstliche Brüchigkeit ihrer Bilder offen ist.
Autorenporträt
Georges Didi-Huberman, ist Philosoph und Kunsthistoriker an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris. Er agiert als Mittler zwischen den Disziplinen: Kunstgeschichte, Geschichte, Bild- wie Kulturwissenschaften. Bei KUP erschienen Borken, Sehen versuchen und Schlagwetter. 2020 erhielt der Autor den Aby Warburg-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2022

„Der Tod schwebt
uns vor Augen“
Georges Didi-Huberman über das
Archiv des Warschauer Ghettos
Er beugt sich über ein mit einer durchsichtigen Schutzhülle versehenes Foto, um einen Ausschnitt davon abzufotografieren. Eine Art „lichter Nebel, eine verschwommene Helligkeit“ entsteht durch die aus Vorsicht nicht entfernte Hülle auf seiner Ablichtung. Abgebildet ist ein kleiner Junge mit Ballonmütze, der mit einer Blechbüchse in der Hand und der Gestik eines Bettlers vor einer Ziegelmauer des Warschauer Ghettos steht und dem Fotografen scheinbar zulächelt. Die Sterbenden blickten sich damals gegenseitig an“, kommt es dem Archivbesucher beim Betrachten des Fotos in den Sinn, aber auch die Fragestellung „Ist sie (die Fotografie) nicht Berührung und Abstand zugleich?“.
Georges Didi-Huberman ist Philosoph und Kunsthistoriker und lehrt an der École de Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Im Herbst 2018 reist er nach Warschau zu einem dreitägigen, intensiven Besuch des dortigen Jüdischen Historischen Instituts, das das umfängliche Konvolut des Emanuel-Ringelblum-Archivs aufbewahrt. Auslöser waren der Hinweis eines Teilnehmers seiner Seminare, der ihn auf einen kleinen Bestand an Fotografien, die er zum Leitfaden seines Buches wählt, aufmerksam machte, sowie vorher entdeckte Dokumente über Familienangehörige, die im Ghetto lebten und in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden.
Dawid Graber, 19-jähriger Schüler, war Mitglied des unter dem Decknamen „Oyneg Shabes“ (jiddisch; hebräisch: Oneg Shabbat = die Freude des Sabbat) von Emanuel Ringelblum und Gefährten gegründeten Untergrundarchivs des Warschauer Ghettos. Am 3. August 1942 vergrub er zusammen mit seinem Lehrer Israel Lichtensztajn und einem Mitschüler den ersten Teil der Archivmaterialien in einem Keller des Ghettos. 35 369 Blatt wurden nach dem Krieg in ihren Verstecken wiedergefunden, dieser „Leidschatz“, verpackt in Blechkisten und zwei große Milchkannen. Manuskripte, gedruckte Texte, Statistiken, Essays, Gedichte, Zeichnungen, Zettel, auf dem Weg nach Treblinka eiligst aus den Viehwaggons geworfen, Postkarten, Bonbonpapier, Briefe. Alles wurde gesammelt. Manches unleserlich, kaum zu entziffern, bruchstückhaft. Seit 1999 ist dieses Archiv Bestandteil des Programms „Memory of the World“ der Unesco.
Am 14. November 1941 notiert Emanuel Ringelblum in seinem Tagebuch: „Nichts ist schrecklicher als der Anblick erfrierender kleiner Kinder, Kinder mit nackten Füßen, mit bloßen Knien, in zerlumpter Kleidung, die auf der Straße stehen und stumm weinen.“ Im Ghetto erhielten Kinder in geheimen Schulen Unterricht. Doch wie war es möglich, ihnen angesichts des jederzeit drohenden Todes etwas für eine Zukunft mitzugeben, die sie kaum erleben konnten, ihnen inmitten des täglichen Leids Freude an Büchern, Theaterstücken und Tänzen zu vermitteln? Was für ein Kampf gegen Verzweiflung, was für ein Klammern an letzte Hoffnung.
Aus Abschiedsbriefen, letzten Papieren: „Wir wissen, daß unsere Tage gezählt sind“, ein Blatt aus dem Zug mit Ziel Auschwitz geworfen: „Wir fahren wir wissen nicht wohin. Bleib wohlauf. Seid guter Hoffnung!“ Oder „Wären wir doch nie geboren“, „Der Tod schwebt uns vor Augen.“
Zerstreut, Abertausende zerstobene Papiere, Testamente, Abschiedsbriefe, Fotos, über das alles erzählt Georges Didi-Huberman auf eine Art und Weise, die die Begegnung mit den verfolgten, gequälten, von Hunger und Tod bedrohten Menschen des Ghettos zur tatsächlichen Berührung“ werden lässt. Es sind der Schmerz, das Weinen, die jüdische Klage (qinah), das Leid, Emotionen, auf die der Autor seinen Blick richtet. Das gelingt auf besonders eindrucksvolle Weise durch Verknüpfungen zum Denken von Aby Warburg, Walter Benjamin, Gershom Scholem und Martin Buber. So werden philosophische, kulturwissenschaftliche und theologische Akzente gesetzt, deren Anführung die Rezeption der Fotos, der Dokumente und des Tagebuchs von Emanuel Ringelblum in einen größeren und verständniserweiternden Zusammenhang bringen.
Didi-Huberman lässt keinen wirklichen Abstand zu, das ist die Kraft, die von seiner jetzt auf Deutsch vorliegenden „Berührung“ mit dem Ringelblum-Archiv ausgeht. Und mit der gegenwärtigen polnischen Regierung geht er wegen ihres Umgangs mit der Geschichte unmissverständlich ins Gericht. Am Ende seines schmalen, brillant geschriebenen Bandes schreibt er: „Doch was sollen wir heute tun mit diesen fast ausgebleichten Papierfetzen, diesen verstreuten Worten? Sie aufbewahren, nicht als unwandelbare Schätze, sondern als Samenkörner für die Gegenwart, für die Zukunft.“
JENS-JÜRGEN VENTZKI
Jens-Jürgen Ventzki („Seine Schatten, meine Bilder. Eine Spurensuche“) wurde 1944 als Sohn des NS-Oberbürgermeisters Werner Ventzki, dem die deutsche Verwaltung des Ghettos als städtische Behörde unterstand, in Litzmannstadt geboren.
Georges Didi-Huberman:
Zerstoben. Eine Reise in das Ringelblum-Archiv
des Warschauer Ghettos.
Aus dem Französischen von Horst Brühmann.
Konstanz University Press, Konstanz 2022.
144 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der französische Philosoph und Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman reiste 2018 zum Jüdischen Historischen Institut in Warschau, um das Emanuel-Ringelblum-Archiv zu besuchen, das Ringelwald und einige Gefährten heimlich im Warschauer Ghetto gegründet und 1942 vergraben hatten. Didi-Huberman geht es in seinem "brillanten" Buch vor allem um das Leid, das aus den Fotos, Briefen und Testamenten spricht, erklärt Rezensent Jens-Jürgen Ventzki, den die SZ als Sohn des Lodzer NS-Oberbürgermeisters vorstellt. Für Distanz lasse Didi-Huberman keinen Raum, obwohl er bei seinen Beschreibungen Aby Warburg, Walter Benjamin, Gershom Scholem und Martin Buber reflektiert, so der beeindruckte Rezensent, dem Didi-Hubermans Überlegungen den Blick weiten.

© Perlentaucher Medien GmbH
»brilliant geschrieben« (Jens-Jürgen Ventzki, Süddeutsche Zeitung, 21.03.2022)