Produktdetails
  • Fischer Taschenbücher Bd.2384
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch
  • 1995
  • Erscheinungstermin: Mai
  • Deutsch
  • Gewicht: 132g
  • ISBN-13: 9783596223848
  • ISBN-10: 3596223849
  • Artikelnr.: 05958695
Autorenporträt
Dirk von Petersdorff,1966 in Kiel geboren, lebt in Saarbrücken und lehrt dort Germanistik. Seinerersten Lyriksammlung "Wie es weitergeht" folgten zwei weitere Gedichtbände, "Zeitlösung" und 1999 "Bekenntnisse und Postkarten". Zuletzt publizierte er den Essayband "Verlorene Kämpfe". 1991 erhielt er den Förderpreis des 'Literarischen März', 1998 wurde er mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, 2000 mit dem Preis der LiteraTour Nord
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.1995

Wo, bitte, geht's ins Innerste?
Der gutgelaunte Wahrheitssucher Dirk von Petersdorff / Von Harald Hartung

Als Dirk von Petersdorff vor vier Jahren einen Förderpreis zum Leonce-und-Lena-Preis erhielt, hatte die Kritik ein schönes Etikett parat: Er sei "der Schelm unter den Postmodernen". Sein erstes Gedichtbuch "Wie es weitergeht" schien geradezu darauf angelegt, diese Charakterisierung zu bestätigen. Es war von einer rabiaten Munterkeit und ließ keine der postmodernen Lizenzen aus, auch nicht die mehr oder minder witzigen Despektierlichkeiten: "Oh Bloch, du Lachnummer des Jahrhunderts!" oder "Pastoren sind auch Dichter. Walter Jens spricht".

Nun bestand keinen Moment die Gefahr, das junge Talent mit einem Pastor zu verwechseln. Doch ein Dichter & Denker wollte von Petersdorff schon sein. Er luxurierte in modischen Philosophemen, um sie sogleich poetisch zu desavouieren. Er verspottete die deutsche Wende und ihre Utopie-Relikte als "Spielerwechsel des Weltgeists" und ließ "Das Ende der Philosophie" allenfalls als "neues Sprachspiel" gelten. Selbst die Poesie bekam ihr Fett ab: "Schmelzkäse" hieß die letzte Rubrik des Bandes. Dort standen ein paar Verse wie eigens dazu formuliert, gegen den Autor gewendet zu werden: "Ich bin Aufwärmer. Ich habe niemals selbst / gekocht. Das Vorgekochte entnehme ich / dem Kühlschrank ( . . .)" Natürlich tappte kein gewitzter Leser in die Falle, zumal das Gedicht versichert: "Auch würze ich nach und gebe hinzu. Ein Ergänzer."

Der Titel "Wie es weitergeht" stand ohne Fragezeichen. Die Frage aber war, wie es mit der Poesie weiterging. Mit bloßer Zeitgeist-Verjuxung jedenfalls nicht. Petersdorff hat einen neuen Ansatz gesucht und - Rückfälle abgerechnet - auch gefunden. Sein zweiter Gedichtband "Zeitlösung" ist in einem ganz altmodischen Sinn substantieller als der erste. Er versucht nämlich etwas sehr Bemerkenswertes: ein postmodernes Pathos, ja einen lyrischen Existentialismus. Freilich auf eine Weise, die Spiel und Ironie nicht außer Kraft setzt.

Gleich der erste Text gibt ein Exempel. "Dianas Frage" ist ein synkretistisches Gedicht, das Ältestes und Aktuellstes zueinander bringt: nämlich Valentinus, den aus Alexandria stammenden Lehrer der christlichen Gnosis, und jene Diana, die wir besser als Lady Di kennen. Und das verbindende Moment? Petersdorff stellt es im Kontrast der Sprachcodes her. Der panischen Frage "Could you possibly tell me, / what I can do with / my bloody life?" korrespondiert die philosophische Variante: "Wo / waren wir? Wohin sind wir / geworfen? Wohin eilen wir . . ." Der philosophisch faszinierte Poet läßt sich weder das existenzphilosophische Geworfensein noch - in einem anderen Gedicht - den Bezug zur "Sophia", zur Weisheit des Valentinus entgehen. Und da ist auch die Sophie des Novalis nicht fern, und Pascal, Hegel, Hölderlin dürfen nicht fehlen.

Weil das alles sehr gewichtig, tiefsinnig und deutsch klingt, muß sich der Schelm im Dichter durch Ironie entlasten und absolviert dabei noch sein Pensum Gesellschaftskritik. Er verspottet die Post-Achtundsechziger als neue Jünglinge zu Sais: "Wir fahren in die Toscana und finden / - Wunder des Wunders - uns selbst." Doch auf irgendeine Weise ist ihm die Schlüsselfrage, die Frage nach Wahrheit und Weisheit, schon wichtig. Er kaschiert sie durch Ironie, verlegt sie in den "10. Stock" eines Hochhauses und legt seine Frage einer "Führerin", "höchstens 19", vor: "wenn ich wenigstens, bitte, den Schlüssel, / den Code, was den Laden / im Innersten - sie lachte."

Aber was hat denn unser noch nicht dreißigjähriger Wahrheitssucher von der coolen Seelenführerin erwartet? Er ist schon altmodisch pathetisch, wenn er sein Hochhaus als "Tenne der Sterblichen" bezeichnet. Vielleicht hat er insgeheim einen ganz anderen Adressaten im Sinn, an dessen Lachen ihm noch mehr gelegen wäre?

Wir begegnen ihm in dem längeren Gedicht "Traumkreis". Es ist eine Art abendländische Revue, und im Zug der "Geister und Menschen und Mäuse" tritt neben Johannes auch Pluto auf. Disneys Pluto natürlich. Dort heißt es beschwörend: "Adorno lernt lachen." Dreimal muß er es sagen, damit der Zauber wirkt. So, als fürchte der Poet die Humorlosigkeit jener traurigen Wissenschaft, für die es kein richtiges Leben im Falschen gibt.

Vermutlich überspielt unser Zauberer den eigenen Zweifel. Lachte Adorno, dann wäre ihm geholfen. Dann müßte er weniger desperat den Scherzenden markieren. Mehrfach spielt er auf Hölderlin an, doch er weiß sehr wohl, warum er dessen Epigramm über die Scherzhaften ausspart. Denn immer spielen und scherzen - so Hölderlin - "müssen Verzweifelte nur".

Aber so ist die Kunst: Wir ziehen unser Pläsier aus den ernsten, aber nicht allzu ernsten Scherzen Dirk von Petersdorffs. "Leute, die jetzt Gedichte lesen", heißt es einmal, "haben 5 Minuten Zeit für eine Seite, aber das reicht vollkommen." Ein paar Minuten mehr dürfen es in diesem Fall schon sein.

Dirk von Petersdorff: "Zeitlösung". Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 91 S., br., 16,- DM.

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