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Die Deutung der Vergangenheit ist immer eine höchst strittige Angelegenheit. Stärker als für andere Epochen gilt dies für die Zeitgeschichte. Gleichviel, ob "Fischer-Kontroverse", "Historikerstreit" oder "Goldhagen-Debatte": Nie blieb die Diskussion auf die Fachwissenschaft begrenzt, immer erreichte sie über die Medien ein breites Publikum. Der Band zeichnet den Gang der großen Debatten in den letzten Jahrzehnten nach. Er lässt Beteiligte von damals zu Wort kommen und bietet vertiefende Analysen zum Selbstverständnis der Historiker und ihrer wachsenden Medienkonkurrenz. Dabei bleibt der Blick…mehr

Produktbeschreibung
Die Deutung der Vergangenheit ist immer eine höchst strittige Angelegenheit. Stärker als für andere Epochen gilt dies für die Zeitgeschichte. Gleichviel, ob "Fischer-Kontroverse", "Historikerstreit" oder "Goldhagen-Debatte": Nie blieb die Diskussion auf die Fachwissenschaft begrenzt, immer erreichte sie über die Medien ein breites Publikum.
Der Band zeichnet den Gang der großen Debatten in den letzten Jahrzehnten nach. Er lässt Beteiligte von damals zu Wort kommen und bietet vertiefende Analysen zum Selbstverständnis der Historiker und ihrer wachsenden Medienkonkurrenz. Dabei bleibt der Blick nicht allein auf Deutschland beschränkt, sondern wendet sich ebenso großen Debatten im europäischen Ausland zu.
Autorenporträt
Martin Sabrow, geb. 1954, ist Professor für Neueste und Zeitgeschichte an der Universität Potsdam und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam. Er war Vorsitzender der Expertenkommission der Bundesregierung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Prof. Dr. Ralph Jessen lehrt am Historischen Seminar der Universität zu Köln.

Klaus Große Kracht ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2004

Zunft schlägt sich, Zunft verträgt sich
Historiker blicken auf ihre großen Kräche zurück
In eigener Sache zünden Historiker gerne Nebelkerzen – oft unfreiwillig und immer in bester Absicht. Wir machen unseren Job, gründlich und selbstlos, lautet auch die Botschaft dieses Sammelbandes, der Historikerdebatten seit 1945 unter die Lupe nimmt. Und wirklich: Am Ende bleibt so gut wie keine Frage offen – außer der nach der Grenze zwischen Diskurs und Realität.
Konkret gefragt: Gab Gerhard Ritter, dieser praeceptor borussiae der deutschen Historikerzunft, in der Fischer-Kontroverse wirklich nur den Pappkameraden, zu dem ihn Konrad H. Jarausch und Imanuel Geiss machen? Und ging von Fritz Fischer nicht mehr aus als die Faszination eines Slapstick-Männchens?
Über einen Vortrag Fischers 1964 an der Staatsuniversität von Wisconsin notiert Jarausch: „Er sprach ein schlecht verständliches Englisch mit einem britischen Akzent, trug einen zerknitterten grauen Anzug und hangelte sich an diversen, eng beschriebenen Zettelchen entlang, die er aus seiner Brieftasche herauskramte. Der Vortragende war Fritz Fischer, der sich aber in Rage redete, als er mit den Vorwürfen von Gerhard Ritter, Egmont Zechlin und Erwin Hölzle abrechnete – Namen, mit denen US-Doktoranden noch weniger anzufangen wussten. Obwohl seine komplizierten Argumente nur schwer zu verstehen waren, machte die Intensität, mit der er sich mit seinen Kritikern auseinander setzte, den Eindruck, es gehe bei dem Problem der ‚Kriegsschuld‘ um eine der Grundfragen des 20. Jahrhunderts.”
Trotz dieses wenig vorteilhaften Eindrucks entschloss sich Jarausch spontan, über eine zentrale Figur in Fischers Vortrag, Reichskanzler Bethmann Hollweg, zu promovieren. Offenbar besaß der kauzige Gelehrte aus Germany eine Qualität, die Jarausch nur ironisch wiedergeben mag, da sie Wissenschaftlern verdächtig erscheint: Charisma.
Für Historiker schrillen da gleich die Alarmglocken: Achtung Subjektivitätsverdacht! Auch Fischer-Schüler Imanuel Geiss glaubt sich davon freihalten zu müssen. Dabei zählt Charisma zu den großen Antriebskräften sowohl des geisteswissenschaftlichen Fortschritts wie auch der Streitkultur. Ausstrahlung müssen nicht nur die Akteure haben, sondern auch ihre Themen: Die Fischer-Kontroverse mutierte von der wissenschaftlichen Untersuchung über die Ursachen des Ersten Weltkrieges unversehens zur Schuldfrage. Der Dreiklang von Schuld, Verstrickung und nationaler Identität bestimmte alle nachfolgenden Debatten – nicht nur in Deutschland, wie die Beiträge über Frankreich, Polen, der Schweiz, Österreich und Spanien zeigen.
Über die Fischer-Kontroverse ist die Geschichte hinweggegangen, auch weil der Streit um die deutsche Kriegsschuld zu den wissenschaftlich produktivsten Historikerdebatten zählte. Aber auch die Aufregung um den Historikerstreit von 1986, über Goldhagen und die Wehrmachtsaustellung erscheint uns heute seltsam fremd. Die Hitze der großen Gefechte ist in diesem Band auf Seminar-Temperatur heruntergekühlt. Das hat zweifellos Vorteile, wenn es um die historische Einordnung der Debatten geht. Hier glänzen die Autoren durchweg mit ausgewogenen Analysen.
Die wahren Dämonen
Nur Ulrich Herbert bringt das alte Feuer noch einmal zum Glühen. Am Beispiel des Historikerstreits von 1986 spürt der Freiburger Ordinarius dem Zusammenspiel von politischem, biographischem und wissenschaftlichem Motiven nach. Die Kontroverse um den „kausalen Nexus” zwischen Klassen- und Rassenmord zeichnete sich bekanntlich durch ihren schrillen Ton und eine profunde fachliche Substanzlosigkeit aus.
Dennoch fiel der Historikerstreit keineswegs vom Himmel. Herbert zeigt die unheilvolle Allianz zwischen der „Debatte um die Deaktualisierung der NS-Zeit im Kontext der historischen Symbolpolitik; der wissenschaftlichen Vernachlässigung der Geschichte des Judenmords in der deutschen NS-Forschung; der Kluft zwischen öffentlicher und privater Erinnerung an die NS-Zeit; der generationell bestimmten politischen Konfrontation innerhalb der Generation der damals 50- bis 60-jährigen und der Funktionalisierung der Debatte im Kontext von Medienmarkt und -konkurrenz.”
Ja, die Medien, sie sind für viele Fachgelehrte die wahren Dämonen. Angeblich verführen die großen Feuilleton-Redaktionen brave Forscher dazu, ihre „wissenschaftlichen Vermittlungs- und Prüfungskanäle” zu verlassen, um ins Licht der Öffentlichkeit einzutauchen. In Wahrheit erliegen alle Beteiligten jedesmal wieder aufs Neue der charismatischen Herrschaft eines großen Themas.
Aber gerade die Erregung um Goldhagen zeigt, welche Fortschritte die Medialisierung der Debatten gemacht hat. Das Werk „Hitlers willige Vollstrecker” fütterte die von Spielbergs Film „Schindlers Liste” aufgewühlte Öffentlichkeit mit einer neuen Bilderflut. Sein Autor wuchs in die Rolle des „Erlösers” und „Popstars” (N. Frei). Ohne die öffentlichen Auftritte des smarten Harvard-Dozenten hätte es diesen Hype nicht gegeben. Wer aber naserümpfend auf den geringen wissenschaftlichen Ertrag der Debatte verweist, verkennt die Macht des Charismas.
FRANK EBBINGHAUS
MARTIN SABROW, RALPH JESSEN, KLAUS GROSSE KRACHT (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. C. H. Beck Verlag, München 2003. 378 S., 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zufrieden zeigt sich Rezensent Frank Ebbinghaus mit diesem Sammelband über die Historikerdebatten seit 1945. Ebbinghaus lässt die sogenannte "Fischer-Kontroverse" Revue passieren, bei der die wissenschaftliche Untersuchung der Ursachen des Ersten Weltkrieges unversehens zur Schuldfrage mutiert war, um dann festzustellen, dass uns diese Debatte wie auch der Historikerstreit von 1986, über Goldhagen und die Wehrmachtsaustellung "heute seltsam fremd" erscheinen. Die Hitze der großen Gefechte sei in diesem Band auf Seminar-Temperatur heruntergekühlt, bemerkt Ebbinghaus und findet, dass das der Sache gut tut, insbesondere wenn es um die historische Einordnung der Debatten geht: "Hier glänzen die Autoren durchweg mit ausgewogenen Analysen."

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