15,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Ich habe zu bekennen, daß ich (dank der nicht genug zu preisenden Erfindung des Grammophons) seit Jahren und Jahren jeden Morgen zunächst Mozart höre und mich dann erst (von der Tageszeitung nicht zu reden) der Dogmatik zuwende. Ich habe sogar zu bekennen, daß ich, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich dort zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde. Karl Barth

Produktbeschreibung
Ich habe zu bekennen, daß ich (dank der nicht genug zu preisenden Erfindung des Grammophons) seit Jahren und Jahren jeden Morgen zunächst Mozart höre und mich dann erst (von der Tageszeitung nicht zu reden) der Dogmatik zuwende. Ich habe sogar zu bekennen, daß ich, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich dort zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde. Karl Barth
Autorenporträt
Karl Barth (1886-1968) studierte Theologie in Bern, Berlin, Tübingen, Marburg und war von 1909 bis 1921 Pfarrer in Genf und Safenwil. Mit seiner Auslegung des Römerbriefes (1919, 1922) begann eine neue Epoche der evangelischen Theologie. Dieses radikale Buch trug ihm einen Ruf als Honorarprofessor nach Göttingen ein, später wurde er Ordinarius in Münster und Bonn. Er war Mitherausgeber von 'Zwischen den Zeiten' (1923-1933), der Zeitschrift der 'Dialektischen Theologie'. Karl Barth war der Autor der 'Barmer Theologischen Erklärung' und Kopf des Widerstands gegen die 'Gleichschaltung' der Kirchen durch den Nationalsozialismus. 1935 wurde Barth von der Bonner Universität wegen Verweigerung des bedingungslosen Führereids entlassen. Er bekam sofort eine Professur in Basel, blieb aber mit der Bekennenden Kirche in enger Verbindung. Sein Hauptwerk, 'Die Kirchliche Dogmatik', ist die bedeutendste systematisch-theologische Leistung des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2006

Der Kosmos singt
Karl Barths Mozartbild und seine musikologischen Quellen

Das Mozart-Jahr vor fünfzig Jahren stand sehr stark im Zeichen der Deutung des Komponisten durch den protestantischen Theologen Karl Barth. Er hielt aus diesem Anlaß in Basel die Festrede. Barths Mozartinterpretation sieht den Komponisten geradezu als Offenbarungszeugen.

Vor fünfzig Jahren wurde der große evangelische Theologe Karl Barth zu einem gefragten Mann aus fachfremdem Grund: Im Mozartjahr 1956 war die Nachfrage nach Festartikeln und Festreden groß. Daß Karl Barth ein Mozartenthusiast war, hatte sich herumgesprochen, und so wurde er mehrfach gebeten, sich über seine Leidenschaft zu äußern. So wurden noch im selben Jahr vier Texte von ihm - zwei Zeitungsartikel, ein Beitrag für den "Zwingli-Kalender" und die Basler Festansprache zum Mozartjahr - im Theologischen Verlag Zürich veröffentlicht. Sie sind seither immer wieder neu aufgelegt worden.

Man kann diese teils humorig-gemütvoll formulierten Schriften als Gelegenheitswerke eines musikalischen Dilettanten abtun. Kenner des theologischen Werks von Karl Barth haben hingegen immer wieder auf die Bedeutung hingewiesen, die die Mozart-Rezeption des Theologen für die Ausformulierung bestimmter Nuancen in seinem OEuvre besessen hat. In seiner "Kirchlichen Dogmatik"kommt Karl Barth im Zusammenhang einer theologischen Bestimmung des "Nichtigen" - also desjenigen, das Gottes guter Schöpfung entgegenwirkt - auf Mozart zu sprechen: "Mozart macht hörbar, daß die Schöpfung auch nach dieser Seite (dem Nichtigen) und also in ihrer Totalität ihren Meister lobt und also vollkommen ist." Für Karl Barth besitzt Mozarts Musik Gleichnischarakter: Hell und Dunkel werden in ihr zu einer Schöpfung verbunden, in der beides enthalten ist, aber nicht gleich gewichtet wird. In der Basler Festansprache spricht er deshalb davon, daß es in dieser Musik "eine herrliche Störung der Balance" gebe, "eine Wendung, in deren Kraft das Licht steigt und der Schatten, ohne zu verschwinden, fällt".

Auf geringes Interesse stießen Karl Barths Schriften über Mozart indes bei den Musikwissenschaftlern. Dabei ist schon die Frage durchaus von Interesse, aus welchen Quellen Karl Barth seine Kenntnis Mozarts schöpfte und wie er sich deren Informationen anverwandelte. Er besaß nicht nur fast alle damals auf dem Markt vorhandenen Mozart-Schallplatten, sondern war zweifellos auch ein profunder Kenner der musikwissenschaftlichen Fachliteratur. In seinem "Brief an Mozart" deutete er einen Dissens mit "einigen der bedeutendsten" unter den "theoretischen Interpreten" des Komponisten an.

Ganz sicher gilt dies für das von Karl Barth mehrfach erwähnte mehrbändige Werk von Théodore de Wyzewa und Georges de Saint-Foix, "Wolfgang Amadeus Mozart. Sa Vie et son oeuvre", das in fünf Bänden zwischen 1912 und 1946 erschienen ist. Die beiden französischen Musikforscher unternahmen zum ersten Mal überhaupt den Versuch einer stilkritischen Ordnung und Einordnung des Mozartschen Gesamtwerks. Sie beschrieben einen kreativen Prozeß, der sich in stetigem Austausch mit der musikalischen Umwelt vollzog. Sie unterteilten Mozarts Werk in vierunddreißig Schaffensperioden, in denen jeweils spezifische Einflüsse auf Mozart wirksam wurden. Aufgrund von Stilanalysen wagten sie sich schließlich an eine Chronologie seiner Werke.

Eine rein stilkritische Methodik hat ihre offenkundigen Schwächen. Einwände blieben deshalb nicht aus. Der Bonner Musikwissenschaftler Ludwig Schiedermair beispielsweise kritisierte in seiner 1922 erschienenen und 1948 in erweiterter Form wiederaufgelegten Mozart-Biographie (Mozart. Sein Leben und seine Werke) die Arbeit der Franzosen: "Sie trieb die Untersuchungen nach den künstlerischen Einflüssen und Formbildungen oft auf die Spitze und vermochte dadurch den Eindruck zu erwecken, als ob ein genialer Geist in der Summe verschiedenster Beeinflussungen begriffen werden könnte. Wohl wurde eine Reihe wichtigster formaler und stilkritischer Mozartprobleme gelöst, aber das eine Hauptziel, dem Wesen des Genies näher zu kommen, mußte bei dieser Betrachtungsart auf Ansätze beschränkt bleiben."

Karl Barth, der in Bonn gelehrt hatte, als Schiedermair dort Ordinarius war, schloß sich in "Mozarts Freiheit" dieser Kritik an Wyzewa und Saint-Foix an: "Mozart hat auch als Künstler einen weiten Weg gemacht - wie man aus der größten neuzeitlichen Darstellung seines Schaffens lernen kann: in nicht weniger als 34 Perioden so viele Vorbilder streifend und benützend. Diesen Weg zu verfolgen, muß für die, die sich auf derartiges verstehen, eine ungemein interessante Angelegenheit sein. Man lasse sich aber auch durch noch so verdienstliche Darstellungen nicht gefangennehmen, zum Beispiel nicht etwa dazu veranlassen, auf Mozart erst in den Werken ernstlich zu hören, in denen er - als wäre Beethoven das Maß aller Dinge - sich diesem zu nähern scheint. Es gibt auch auf seinem künstlerischen Weg zu viele Ausnahmen von der Regel, zu viele Vorwegnahmen späterer Stufen und Rückgriffe auf frühere, als daß es nicht weise wäre, sich für den mittleren, auch für den jungen Mozart ebenso offen zu halten wie für den als klassisch gerühmten späteren."

Wie Schiedermair ist auch Karl Barth der Auffassung, daß eine Einflußgeschichte alleine das Phänomen Mozart nicht erklären kann. Gegen die Annahme, dessen Werke seien ein Produkt äußerer Einflüsse, bringt Barth die Frühreife des Komponisten und die Komplexität seines Schaffens zur Geltung. Doch unverkennbar ist hier ein eigener Ton. Worauf es Karl Barth nämlich ankommt, ist eine Entschärfung der Entwicklungshypothese, die naturgemäß im Ansatz der französischen Autoren steckt. Denn sie ist schwerlich vereinbar mit dem von ihm angenommenen Gleichnischarakter der Mozartschen Musik.

Der Theologe geht in seinem Beitrag für den "Zwingli-Kalender" sogar so weit, Mozart als Medium zu beschreiben: "Er will auch nicht das Lob Gottes verkündigen. Er tut es nur eben faktisch: gerade in der Demut, in der er, gewissermaßen selber nur Instrument, nur eben hören läßt, was er offenbar hört, was aus Gottes Schöpfung auf ihn eindringt, in ihm emporsteigt, aus ihm hervorgehen will." Gottes Schöpfung aber kennt jugendliche Unreife und nachfolgende Entwicklung nicht. Deshalb legt Karl Barth die Betonung so stark auf das von Anfang an unverkennbar Eigene in Mozarts Musik.

Auf seinen Bonner Kollegen Ludwig Schiedermair bezieht sich Karl Barth in seinen Schriften über Mozart nicht. Es ist fraglich, ob sich der 1934 vom Dienst suspendierte Theologe und der unter den Nationalsozialisten weiterhin Karriere machende Musikwissenschaftler näher kannten und verstanden haben. Vieles deutet aber darauf hin, daß Karl Barth Schiedermairs Mozart-Biographie rezipiert hat und von ihr beeinflußt worden ist. Gedanken und Formulierungen ähneln sich auffällig.

Da ist zunächst die beiden Autoren gemeinsame Skepsis gegenüber dem Bild vom "zuckrigen", unbeschwert heiteren Mozart. Schiedermair schreibt in seiner Einleitung, in der er die Geschichte der Mozartdeutung zusamenfaßt: "Wie der biedere Musiklehrer seinen Schülern den ,ewig-heiteren, graziösen' Mozart mit der koketten Schleife im Kopfhaar anführte, so bekannten sich angesehene Dirigenten zu einer farblosen, verschwommenen Vorstellung von Mozarts Kunst." Bei Barth heißt es ähnlich abwertend in "Mozarts Freiheit": "Es war nichts mit jenem Mozart der puren Grazie, den das neunzehnte Jahrhundert rühmte, um seiner dann nicht ohne Grund leid zu werden." An einer anderen Stelle kritisiert Schiedermair den Umschwung in der jüngeren Mozart-Rezeption hin zu einem wiederum einseitigen "dämonischen" Mozart: "Das des Apollinischen entkleidete Mozartbild wurde zu einem rein dämonischen umgedeutet, von dem nur ein kurzer Weg zum modern realistischen Mozart führte." Die entsprechende Stelle bei Barth in der Basler Festrede lautet: "Es ist aber auch nichts mit dem ,dämonischen Mozart', den man in unserem Jahrhundert an dessen Stelle setzen wollte."

Beide Autoren kritisieren jede Einseitigkeit der Mozart-Wahrnehmung, weil sie sie als unzulänglich erkennen. Beide plädieren weiterhin für eine ganzheitliche Sicht des Mozartschen Schaffens. Nur zusammengelesen ergebe es ein gültiges Mozartbild. Schiedermair fährt fort: "Diese Mozartsche Welt offenbart ihre enorme Spannbreite, Einheit und Ganzheit, sie ist erfüllt von Schönheit, die weder in Süße und Glätte versinkt noch der Empfindsamkeit und Galanterie erliegt. Diese Schönheit kennt durchaus die Wirkungen der Dissonanz, Herbheit und Energie . . . aber sie wird noch nicht durchblutet von den ringenden Kräften, die das musikalische Schönheitsideal in den Jahrzehnten nach Mozarts Tod umzuwandeln begannen." Auch Barth hielt in der Basler Rede fest, "daß seine Musik in einer ganz ungemeinen Weise frei ist von allen Übersteigerungen, von allen prinzipiellen Brüchen und Entgegensetzungen . . . Mozart musiziert, wissend um alles, aus einer geheimnisvollen Mitte heraus, und so kennt und wahrt er die Grenzen nach rechts und nach links, nach oben und nach unten. Er hält Maß."

Die Gedanken ähneln sich auffällig, der Tonfall nicht. Karl Barth rezipierte Ludwig Schiedermairs Buch offensichtlich sehr genau. Er arbeitet mit dessen musikästhetischem Gedankengut und verwandelt es sich an. Aber dort, wo Schiedermair haltmacht, geht der Theologe weiter fort. Mozart wird bei ihm zum Offenbarungszeugen. Die "Einheit und Ganzheit" der Mozartschen Musik, von der Schiedermair spricht, beruht Barth zufolge darauf, daß "der Mensch Mozart eben den Kosmos vernommen hat und ihn - er selbst nur in der Funktion eines Mediums - zum Singen bringt!" Das ist Karl Barths eigene Pointe.

MICHAEL GASSMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr