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Von Wittgensteins Werk Philosophische Untersuchungen ausgehend, richtet Hacker den Blick zunächst zurück, um den Kontext der Entstehung dieser epochemachenden Schrift zu schildern, und anschließend nach vorn, um die Wirkung von Wittgensteins Werk zu erkünden. Der Rückblick beginnt mit der Zeit der Jahrhundertwende, den Schriften des deutschen Logikers Gottlob Frege einerseits und den Arbeiten der englischen Philosophen Bertrand Russell und G. E. Moore andererseits. Damit wird zugleich der für Wittgensteins Denken bestimmende geistesgeschichtliche Rahmen abgesteckt: die Welt der in Logik und…mehr

Produktbeschreibung
Von Wittgensteins Werk Philosophische Untersuchungen ausgehend, richtet Hacker den Blick zunächst zurück, um den Kontext der Entstehung dieser epochemachenden Schrift zu schildern, und anschließend nach vorn, um die Wirkung von Wittgensteins Werk zu erkünden. Der Rückblick beginnt mit der Zeit der Jahrhundertwende, den Schriften des deutschen Logikers Gottlob Frege einerseits und den Arbeiten der englischen Philosophen Bertrand Russell und G. E. Moore andererseits. Damit wird zugleich der für Wittgensteins Denken bestimmende geistesgeschichtliche Rahmen abgesteckt: die Welt der in Logik und Begriffsanalyse avanciertesten Denker der deutschen wie der britischen Kultur. Hackers vergleichende Betrachtung konzentriert sich sodann auf die Entwicklung des wissenschaftstheoretisch und logisch orientierten Wiener Kreises (Schlick, Carnap, Neurath u. a.) und der eher an erkenntnistheoretischen und psychologischen Themen interessierten Cambridge-Philosophie der Vorkriegszeit. Im Anschluß an eine darauf folgende mustergültige Darstellung der Philosophischen Untersuchungen zeichnet Hacker den Weg der neueren analytischen Philosophie nach und behandelt dabei Autoren wie Quine, Dummett und Davidson, die in der gegenwärtigen Diskussion den Ton angeben.
Autorenporträt
Peter M. S. Hacker ist Philosoph und war Fellow am St. John's College in Oxford.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.1997

Wittgensteins Erbe ist verteilt
Peter M. S. Hacker über die Schicksale der analytischen Philosophie

"Ich habe in Wittgensteins ,Philosophischen Untersuchungen' nichts gefunden, was mir interessant geschienen hätte, und verstehe nicht, warum eine ganze Schule wichtige Weisheiten darin findet." So dezidiert kopfschüttelnd äußerte sich Bertrand Russell 1959 über die nachhaltige Wirkung des "späten" Wittgenstein auf die englische Philosophie. Daß ein Philosoph wie Russell in den sechs Jahren zuvor posthum edierten "Philosophischen Untersuchungen" nur eine Unterbietung philosophischer Erkenntnisansprüche sah, kann kaum verwundern.

Schließlich richtete sich Wittgensteins Philosophieren seit den dreißiger Jahren in denkbar grundsätzlicher Weise gegen die Vorstellung, daß Philosophie Thesen zu verteidigen oder Theorien zu entwerfen hätte. Zum Beispiel solche, die ein als rätselhaft empfundenes Aufeinanderpassen von Sprache und Welt glauben einsichtig machen zu müssen - wie es Wittgenstein selbst in seinem epochemachenden "Tractatus" vorgeführt hatte, an den Russell wie die Logischen Empiristen ihre programmatischen Hoffnungen geknüpft hatten. Nur entging Russell die Pointe von Wittgensteins therapeutisch eingesetzten Argumenten: Nämlich solche Erklärungsansprüche, samt dem Gestus der Lösung tiefliegender Probleme, als Ergebnis hartnäckiger "philosophischer" Verwirrungen kenntlich zu machen.

Was Russell dagegen durchaus nicht entgehen konnte, war der Umstand, daß sich der philosophische Ton im nach 1945 schnell im Zentrum der philosophischen Welt aufsteigenden Oxford deutlich gewandelt hatte und Wittgenstein dabei eine wichtige Rolle spielte. Von einer "Schule", die sich an Wittgenstein orientiert hätte, kann allerdings nicht die Rede sein, selbst wenn man Autoren wie Ryle, Austin, Strawson unbedingt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einer solchen, der "Oxford ordinary language philosophy", bringen möchte. Man muß schon genauer hinsehen, will man sich ein richtiges Bild von der Wirkung Wittgensteins innerhalb der analytisch orientierten Philosophie machen.

Der Oxforder Philosoph Peter M. S. Hacker hat nun eine auf Wittgenstein fokussierte Darstellung der analytischen Philosophie vorgelegt. Sie bildet den Abschluß des monumentalen Kommentars zu den "Philosophischen Untersuchungen", den Hacker gemeinsam mit Gordon P. Baker 1980 in Angriff genommen hatte und dessen vierter und letzter Band letztes Jahr erschien. Ursprünglich als abschließender knapper Essay dieses vorzüglichen Kommentarwerks geplant, ist daraus ein stattliches Buch geworden.

Wer erwartet, darin lediglich eine trockene Geschichte der Einflüsse und Filiationen zu finden, täuscht sich über den Autor. Hacker ist über der Arbeit an den Bänden des Kommentars durchaus nicht zum Typus des Philologen geworden, der sich selbstgenügsam in den Labyrinthen der Wittgensteinschen Texte bewegt. Im Wittgensteinschen Geist, aber ohne Wittgenstein zur Autorität zu stilisieren, hat er sich immer wieder mit wichtigen Strömungen innerhalb der angelsächsischen Philosophie auseinandergesetzt.

Mit seinem Kommentar zu den "Untersuchungen" stellte sich Hacker gegen den mainstream der analytisch geprägten Philosophie. Was er an ihm diagnostiziert, ist die Restauration eines "szientifischen" Gestus, der sich aufs neue darum bemüht, Theorien aufzustellen und Thesen durchzufechten, statt Philosophie als Klärungsarbeit im Sinne Wittgensteins oder der "ordinary language philosophy" zu betreiben. Als wesentlichen Auslöser für diese Entwicklung sieht Hacker die Wirkung von Willard van Orman Quine an. Auf eine Konfrontation zwischen Quines und Wittgensteins philosophischen Grundpositionen läuft denn auch sein neues Buch zu.

Mit der Durchsetzung von Quines Programm, so Hackers Sicht, sei die analytische Philosophie Mitte der siebziger Jahre an ihr Ende gekommen. Auch jene Form der nichtreduktiven, "verbindenden" Analyse, wie sie von Wittgenstein seit den dreißiger Jahren demonstriert worden und nach dem Zweiten Weltkrieg in der englischsprachigen Welt tonangebend geworden war.

Diese Diagnose läßt sich für Hacker auch so formulieren: Mitte der siebziger Jahre setze sich wieder ein Philosophieren im Geiste des "Tractatus" gegenüber der in den "Philosophischen Untersuchungen" exemplarisch vorgeführten Haltung im Umgang mit philosophischen Problemen durch. Das meint nun nicht, daß ein Philosoph wie Quine wiederum eine Abbildtheorie von Sprache und Wirklichkeit im Stil des frühen Wittgenstein anvisierte. Worauf Hacker zielt, ist vielmehr der Umstand, daß Quines behaviouristischer Physikalismus einem szientifischen Ideal der Theoriebildung nachhängt, das sich als Konsequenz aus der von "Tractatus" ausgedehnten Tradition logisch-empiristischer Prägung verstehen läßt.

Für Hacker ist das eindeutig ein Rückfall hinter die von Wittgenstein, gerade durch die Dekonstruktion der Metaphysik des "Tractatus", erreichte Position. Eine Position, die sich nicht durch bestimmte Thesen umreißen läßt, sondern durch die Nachzeichnung von Wittgensteins Verfahren, der Neigung zu philosophischen Verwirrungen durch eine übersichtliche Darstellung, der "Grammatik" unserer alltäglichen, in Lebensformen wurzelnden Sprachspiele zu begegnen.

Die Klarheit und Prägnanz von Hackers Darstellung des "Tractatus" und der Argumentationsstränge der "Philosophischen Untersuchungen" sind so vorbildlich, wie bei diesem Autor nicht anders zu erwarten. Wem der vierbändige Kommentar allzu bedrohlich dickleibig erscheint, der findet nun eine ebenso bündige wie umsichtige Zusammenfassung der Grundzüge von Wittgensteins Philosophieren. Hinzu kommt aber, was im Kommentarwerk nur teilweise und verstreut zu finden ist: die Betrachtung des philosophischen Kontexts, in dem sich Wittgensteins Wirkung entfaltete, und vor allem der Veränderungen der philosophischen Landschaft in den Jahren nach Wittgensteins Tod, als seine Texte nach und nach ediert wurden.

Die klare Kontur der Darstellung zeichnet auch die abschließende Auseinandersetzung mit Quines naturalistischem Programm der Philosophie aus. Daß Hacker dessen Schwachstellen recht präzise trifft, werden wohl selbst jene Philosophen nicht ganz in Abrede stellen, die wie Quine dazu tendieren, an einer als fundamental erachteten, nämlich physikalistischen Beschreibung der Welt das Maß für ihre Ontologien zu nehmen. Allerdings werden sie zu Recht darauf hingewiesen, daß Quine ja nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß ist.

Das berührt die Frage, ob das Beispiel Quine tatsächlich genügt, um Hackers Diagnose zu rechtfertigen, es bezeichne das Ende der analytischen Philosophie. In einem gewissen Sinn trifft diese Beschreibung freilich zu: Quine und mit ihm einige der interessantesten Philosophen aus der Schule Carnaps lösten den logisch-empiristischen Begriff der Analyse - Hackers "reduktive" Analyse - von innen her auf. Deshalb bezeichnet der Terminus "analytisch" heute kaum noch ein konzises Programm, sondern allenfalls einen gewissen Gestus der Darstellung. So betrachtet, ist die "analytische Philosophie" tatsächlich vor einiger Zeit verblichen, zumal auch die "verbindende" Analyse Wittgensteinscher oder Oxforder Prägung an Terrain verlor. HELMUT MAYER

Peter M. S. Hacker: "Wittgenstein im Kontext der analytischen Philosophie". Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 634 S., geb., 98,- DM.

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