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Mit diesem Buch ist insbesondere die Absicht verbunden, die Anschlussfähigkeit der Wirtschaftsgeschichte an die Wirtschaftswissenschaften insgesamt ein wenig voranzutreiben. Der Autor hat dabei das "Wachstumsparadigma" zum Ausgangspunkt seiner Darstellung genommen und ist der Frage nachgegangen, wie es eigentlich sein konnte, dass es den westlich geprägten Gesellschaften in den letzten gut zweihundert Jahren gelang, die Fessel der Armut, die die Menschheit seit ihrem Anbeginn gefangen hielt, abzuschütteln. Aus dem Inhalt: Einleitung Industrialisierung, wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung…mehr

Produktbeschreibung
Mit diesem Buch ist insbesondere die Absicht verbunden, die Anschlussfähigkeit der Wirtschaftsgeschichte an die Wirtschaftswissenschaften insgesamt ein wenig voranzutreiben. Der Autor hat dabei das "Wachstumsparadigma" zum Ausgangspunkt seiner Darstellung genommen und ist der Frage nachgegangen, wie es eigentlich sein konnte, dass es den westlich geprägten Gesellschaften in den letzten gut zweihundert Jahren gelang, die Fessel der Armut, die die Menschheit seit ihrem Anbeginn gefangen hielt, abzuschütteln. Aus dem Inhalt: Einleitung Industrialisierung, wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung des Wohlstandes in der Neuzeit; die Triebkräfte des modernen Wirtschaftswachstums; Differenzierungen im Prozess des Wirtschaftswachstums.
Autorenporträt
Toni Pierenkemper, geboren 1944, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität zu Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2010

Unsere Eltern waren noch arm
Die Zauberformel der Wirtschaft ist ihre Historie

Es wird wieder viel über Armut diskutiert. Doch noch nie ging es den Armen in Deutschland so gut. "In Geldwerten gemessen kann heute ein einzelner Sozialhilfeempfänger in etwas genauso so viel ausgeben wie ein durchschnittlicher Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt in den 1950er Jahren", berichtet der Wirtschaftshistoriker Toni Pierenkemper von der Universität Köln: "Die Mehrheit der heute über Fünfzigjährigen ist demnach in Haushalten aufgewachsen, die nach heutigen Maßstäben ,Armenhaushalte' waren."

Auch ein Blick über die Grenze lohnt: "Ein portugiesischer Durchschnittshaushalt hat weniger, der spanische nur wenig mehr als die ,Armen' in Deutschland." Weshalb zeigen die Statistiken dann Armut auch bei uns? Als arm gilt in Deutschland, wer ein monatliches Einkommen erzielt, das weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens entspricht. Meinhard Miegel beklagte schon 2003, dass sich damit der Armutsbegriff vom absoluten Wohlfahrtsniveau gelöst hat. 40 Millionen Deutsche sorgen durch ihre tägliche Arbeit für Einnahmen bei staatlichen Haushalten und Sozialversicherungen - und damit für die größte Umverteilung aller Zeiten, die das Risiko klassischer Armut weitgehend ausschließt. Dank dafür hört man selten.

Die Umverteilung kann nur durch die steigenden Pro-Kopf-Einkommen in den letzten Jahrzehnten finanziert werden. Pierenkemper verweist auf die berühmte Kurve des amerikanischen Nobelpreisträger Simon Smith Kuznets. Die Kurve zeigt einen langfristigen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umverteilung. Sie verläuft wie ein umgekehrtes "U". Das heißt, bei steigendem Pro-Kopf-Einkommen nimmt die Ungleichheit zunächst zu, später ändert die Kurve jedoch ihren Verlauf. Nun sinkt die Ungleichheit bei weiter steigendem Einkommen wieder.

"Die Entwicklung in Deutschland unterstützt diese allgemeine Hypothese", erläutert Pierenkämper. Das bedeutet, dass sich die Schere zwischen den Einkommen manchmal öffnen muss, um Umverteilung überhaupt zu ermöglichen. Man kann nicht zu allen Zeiten beides haben: keinerlei absolute Armut und gleichzeitig keinerlei Unterschiede in der Einkommensverteilung. Einigt man sich auf Letzteres, sind zwar alle gleich, vor allem aber gleich arm.

Die Geschichte bietet eindrucksvolle Beispiele dafür. "Man könnte mit einer gewissen Überakzentuierung vielleicht festhalten, dass vor der Umverteilung die größte Mehrheit der Bevölkerung Englands im Jahre 1688 arm gewesen sei, nach der Umverteilung aber alle Einwohner, denn reich war man mit 31 Pfund Jahreseinkommen auch damals nicht." Die Zauberformel zur Reichtumsgewinnung heißt also nicht Umverteilung, sondern Produktivitätssteigerung. "Aber diese Zauberformel war 1688 noch nicht entschlüsselt." In vielen Köpfen ist das bis heute so.

Wirtschafts- und Sozialpolitik lässt sich ohne die historische Dimension weder verstehen noch gestalten. Pierenkempers Studienbuch sorgt noch an vielen weiteren Stellen für Aufklärung - so beispielsweise mit dem Nachweis, dass Deutschland weiterhin eine Industriegesellschaft ist und nicht etwa der Dienstleistungssektor dominiert; oder dem Hinweis, dass ein beachtlicher Teil der Bildungsaufwendungen dem unmittelbaren Konsum der Bevölkerung dient und ökonomisch nicht genutzt werden kann.

Pierenkemper gliedert sein Werk in 14 inhaltliche Kapitel (wie "Kapital und Investitionen" oder "Geld und Währung"), die gut zu lesen und einfach zu verstehen sind. Das Buch wurde vom Akademie Verlag vortrefflich gesetzt und gestaltet. Auf eine chronologische Darstellung der Wirtschaftsgeschichte im Stil der preisgekrönten, eher politischen Werke von Geert Mak für das 20. Jahrhundert ("In Europa") oder Jürgen Osterhammel für das 19. Jahrhundert ("Die Verwandlung der Welt") müssen wir freilich weiter warten.

JOCHEN ZENTHÖFER

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