Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 3,90 €
  • Gebundenes Buch

Er ist ein Faultier und ein Träumer, er ist mürrisch, liebenswert, wohlhabend und großzügig: Nepomuk Lakoter. Als er eines Tages stürzt und sich das Bein bricht, ist der verschrobene Müßiggänger keineswegs unglücklich darüber. Mit Liegegips an sein geliebtes Kanapee gefesselt, engagiert er eine rumänische Haushälterin. Doch mit Amalias Einzug ist erst einmal Schluss mit dem beschaulichen Leben. Mit ihren Putzanfällen stört sie seine Ruhe und treibt ihn an, endlich sein Leben in die Hand zu nehmen. Und so ganz nebenbei hätte sie auch noch eine schöne Nichte für ihn ... Johannes Gelich gilt als…mehr

Produktbeschreibung
Er ist ein Faultier und ein Träumer, er ist mürrisch, liebenswert, wohlhabend und großzügig: Nepomuk Lakoter. Als er eines Tages stürzt und sich das Bein bricht, ist der verschrobene Müßiggänger keineswegs unglücklich darüber. Mit Liegegips an sein geliebtes Kanapee gefesselt, engagiert er eine rumänische Haushälterin. Doch mit Amalias Einzug ist erst einmal Schluss mit dem beschaulichen Leben. Mit ihren Putzanfällen stört sie seine Ruhe und treibt ihn an, endlich sein Leben in die Hand zu nehmen. Und so ganz nebenbei hätte sie auch noch eine schöne Nichte für ihn ... Johannes Gelich gilt als einer der interessantesten Autoren der jüngeren Generation in Österreich. In seinem vergnüglich-rasanten Roman macht er mit einem Aussteiger bekannt, der in Sachen Antriebslosigkeit dem großen Oblomow um nichts nachsteht. Ein ebenso satirisches wie sinnliches Sittenbild unserer Zeit und zugleich eine Hommage an die verlorene Generation der heutigen 40-somethings.
Autorenporträt
Johannes Gelich, geboren 1969 in Salzburg, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik in Wien. Zuletzt erschienen die Romane Chlor (2006) und Der afrikanische Freund (2008), der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorabgedruckt wurde. Zahlreiche Preise und Stipendien. Lebt mit seiner Familie in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2013

Muckis mieselsüchtige Tiraden

Man muss nicht arm sein, um zu verwahrlosen. Ein gebrochenes Bein genügt Johannes Gelich, um seinen Wiener Oblomow aufs zerschlissene Sofa zu werfen.

Wer diese Geschichte liest, wird an Gontscharows Oblomow denken müssen, zumindest wenn er die äußere Handlung resümiert: Der Wiener Nepomuk Lakoter, 41 Jahre alt, von seiner Umgebung Mucki genannt, lebt nach einem Beinbruch in einer kleinen Parterrewohnung, wo er das zerschlissene Kanapee kaum noch verlässt und von einer rumänischen Haushaltshilfe namens Amalia versorgt wird. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima liefert die mediale Begleitmusik und trägt das Ihre zur Gemütslähmung und Bunkermentalität des Kranken bei. Lakoter ist nicht arm, aber verwahrlost, und zwar aus Überzeugung. Er hat keine Lust mehr, "die äußere Welt mit meinem menschlichen Ordnungssystem zu domestizieren", weshalb er Amalia verbietet, die staubbedeckte Wohnung zu putzen. Ihr Drang nach Taten und Sauberkeit macht die Rumänin zum leibhaftigen Anti-Balkanklischee, während der Einheimische den haschumwölkten orientalischen Diwanbewohner verkörpert.

Was für Ilja Iljitsch das väterliche Gut Oblomowka ist, das ist für Gelichs Lakoter das ererbte Zinshaus im nahen Baden. Er lebt von dessen Einnahmen, kümmert sich aber nicht darum, worauf die Mieter den Aufstand proben und Muckis tüchtige Schwester ihm als Miteigentümerin ein Ultimatum stellt: Entweder er bringt seine Haushälfte in Ordnung, oder er hat deren Verwaltung an sie abzutreten. Selbstverständlich kann der Schlafrock- und Pantoffelheld sich nicht zur halbstündigen Fahrt nach Baden aufraffen, also schickt er, wie sein russischer Seelenverwandter, seinen besten Freund dorthin, der tatsächlich eine Brigade von Handwerkern mobilisiert, aber als nur scheinbar geheilter Sexsüchtiger der Versuchung durch die im Hause wohnenden Postituierten erliegt und Muckis Spesenkonto um größere Summen erleichtert.

Vor allem aber bahnt sich wie bei Gontscharow die Bekehrung des Helden durch die Liebe an: Amalias Nichte Ana lockt Lakoter aus seinem Schneckenhaus (als Vorbotin des Geturtels verirrt sich eine Taube in seine Wohnung), dann taucht auch noch ein Schwarm seiner Schulzeit auf, doch am Schluss gewinnt die Apokalypse im Kopf die Oberhand: Mucki nimmt Reißaus und macht sich an den Bau eines Freilandbunkers.

Johannes Gelich zeigt seinen Ich-Erzähler eindrücklich als Opfer einer geradezu galoppierenden Prokrastination, die dieser zur Lebensmaxime umdeutet: Was immer sich aufschieben lässt, wird aufgeschoben. Weil die Welt verkommen ist, nimmt er sich die Freiheit, es seinerseits zu sein. Als übelgelaunte Kassandra entwickelt Lakoter eine beträchtliche querulatorische Dynamik, wie die eingefügten Antwortschreiben von diversen Supermarktketten belegen, die sich wegen seiner Beschwerden, betreffend aggressionsfördernde Warteschlangen oder fehlende Einkaufswagenmünzschlitze, zu rechtfertigen haben. Dafür immerhin reicht die Energie, der Mann korrespondiert sogar per Brief, nicht per Mail.

Wer so prätentiös heißt, nämlich Nepomuk Lakoter, lädt nachdrücklich zur Suche nach Anagrammen ein, aber irgendwie ist die Trägheit des Erzählers ansteckend, und man lässt es bald bleiben. Ob es eine gute Idee war, dem schwachbrüstigen Helden dieses Romans die übergroße Figur des Ilja Iljitsch Oblomow aufzubürden, darf bezweifelt werden. "Wir sind die Lebenden" hat schwer daran zu tragen. Mucki fehlt Oblomows Philanthropie und unerschütterliche Gutartigkeit, sein gewinnendes Wesen, seine Treuherzigkeit. Der Erzähler ist vielmehr das, was man in Wien mieselsüchtig nennt: Er hat an nichts Freude und will, dass auch die anderen an nichts Freude haben. Das macht seine Tiraden eintönig und ihn selbst alles andere als liebenswert. Auch der fortgesetzte Ringkampf mit seiner hyperaktiven Schwester, die "Cleverness und Intelligenz schon immer miteinander verwechselt" hat, leidet rasch unter rhetorischen Ermüdungserscheinungen, ein bernhardeskes Geschwisterpaar ohne letzte Konsequenz.

"Wir sind die Lebenden", sagt einer von Muckis Freunden einmal, was dieser als Argument gegen Weltschmerz und Untergangsangst nicht gelten lässt. Dabei ist er in einem Bestattungsunternehmen aufgewachsen, buchstäblich, denn der Vater zog ihn als Kinderarbeiter bei der Totenwäsche heran. Muckis Schilderung einschlägiger Erlebnisse bei einer Überraschungsgeburtstagsparty an seinem Krankenbett zählt zu den besten und witzigsten Szenen des Buches. Literarische Nekrophilie gehört immer noch zu den Spezialitäten aus Wien.

Gelichs Einfallsreichtum und satirische Energie täuschen jedoch nicht über die Sprache des Romans hinweg: Die erweckt den Eindruck, als sei sie weitgehend naturbelassen, ja ebenso ungepflegt wie Herr Lakoter. Dass der ratlose Rebell in Wahrheit genauso unglücklich ist wie sein russischer Vorfahr, kann der Autor immerhin vermitteln. Zu rühren vermag er uns nicht.

DANIELA STRIGL

Johannes Gelich: "Wir sind die Lebenden". Roman.

Haymon Verlag, Innsbruck 2013. 240 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Daniela Strigl fühlt sich von Johannes Gelichs Protagonist in "Wir sind die Lebenden" stark an Gontscharows Oblomow erinnert. Nepomuk Lakoter heißt der lethargische Held bei Gelich, erklärt die Rezensentin. Nach einem Beinbruch zieht er sich in seine Wohnung zurück und verlässt kaum noch sein zerschlissenes Kanapee, verbietet sogar seiner Haushaltshilfe, aufzuräumen. Der Vergleich bietet sich zwar an, Strigl ist sich aber nicht sicher, ob die scheinbare Ehrung Gelich nicht in Schwierigkeiten bringt. Zum einen ist Lakoter entschieden unsympathischer als Gontscharows Ilja Iljtisch, er ist einfach nur ein mieselsüchtiger Misanthrop, der sich angesichts der durch Fukushima ausgelösten Katastrophenstimmung in sein eigenes, kleines Unglück flüchtet und deshalb auch niemandem sonst etwas gönnt, beschreibt die Rezensentin. Zum anderen wirkt Gelichs Sprache im Roman "weitgehend naturbelassen", und zwar nicht im besten Sinne, stellt Strigl klar. Unglück alleine rührt nicht, findet sie.

© Perlentaucher Medien GmbH