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Agda Wallin ist spurlos verschwunden. Keiner weiß, wo die alte Frau geblieben ist. Und das im schneereichen schwedischen Winter. Was ist mit ihrer Vermieterin passiert? fragen sich die Bewohner des Mietshauses, das Agda gehört. Und welche Rolle spielt Pär, der Hausmeister, der sich plötzlich recht sonderbar benimmt und offenbar ein geheimnis hütet?

Produktbeschreibung
Agda Wallin ist spurlos verschwunden. Keiner weiß, wo die alte Frau geblieben ist. Und das im schneereichen schwedischen Winter. Was ist mit ihrer Vermieterin passiert? fragen sich die Bewohner des Mietshauses, das Agda gehört. Und welche Rolle spielt Pär, der Hausmeister, der sich plötzlich recht sonderbar benimmt und offenbar ein geheimnis hütet?
Autorenporträt
Kerstin Ekman, geboren 1933, gilt als die wichtigste skandinavische Gegenwartsautorin. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist preisgekrönt, wurde vielfach verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.1997

Wüstenwind bläst Schnee
Trocken: Kerstin Ekmans Chronik eines verheimlichten Todes

Die Übermacht von Literaturtheorie und Kritik über den literarischen Geschmack der Gegenwart läßt sich am Einfluß von Büchern der Art wie Calvinos "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" ermessen. Die Bewunderung, die das Buch auf sich gezogen hat, gilt seiner Machart, die der Autor zu seinem eigentlichen Sujet erkoren hat: Der Roman erzählt, wie der Roman "Wenn ein Reisender . . ." entsteht, und ist damit ein leicht durchschaubares Objekt für Interpreten, die ihre literarische Kompetenz durch das Verständnis für formale Fragen beweisen müssen. Was einen Leser, der sich in einer stillen Abendstunde mit einer Lektüre zurückziehen möchte, an diesem kunsthandwerklichen Trick erfreuen könnte, leuchtet so recht nicht ein. Die Vermutung drängt sich auf, er sei von denen, die es besser wissen, dafür gewonnen worden, als Kunst zu genießen, was ihn als avantgardistische Spielerei langweilen müßte.

Auf der Bühne wie in der Belletristik wird das Publikum mit der narzißtischen Reflexion des Autors darüber konfrontiert: Wie schreibt sich das Schreiben? Kerstin Ekman ist ihrem Leser gegenüber fair genug, diese den Autor auszeichnende Einkehr zu sich selbst im wörtlichen Sinne hintanzustellen. Die schwedische Bestsellerautorin erzählt im ersten Teil des Romans "Winter der Lügen" die Geschichte ihres Helden ab ovo, um in einem zweiten Teil eine Autorin in seinem Haus einzuquartieren, die sich als die Autorin ebendieses Buches entpuppt, indem sie die merkwürdige Situation noch einmal miterlebt und niederschreibt. Nachgestellt, wie die Selbstdarstellung der Autorin hier ist, erscheint sie eher als die Lösung jener Rätsel, die der erste Teil entworfen hat und mit denen also auch der Leser befaßt ist.

Ihm nämlich will das, was da geschieht, so recht nicht einleuchten; an vielen Stellen der Handlung findet er Brüche, Lücken, unlogische Entwicklungen, die die Glaubwürdigkeit der Erzählung absichtsvoll zunichte machen. Die Not, in die der gescheiterte Journalist Pär geraten ist, reicht zwar aus, um zu erklären, warum er sich bei einer fetten Alten niederließ und aus ihrer Pflege seinen Unterhalt zieht; sie reicht aber nicht hin zu erklären, warum er Agda Walling, als sie bei einem Ausflug im Schnee zusammensinkt und stirbt, liegen läßt, das Häuschen, das sie vermietet hatte, weiterhin bewohnt und die Mieten einbehält, um schließlich mit der Polizei rechnen zu müssen, die ihm den nicht gemeldeten Tod als Mord ankreiden könnte. Angeblich hat die Alte es versäumt, ihm für seine Dienste ein Erbe zu hinterlassen, und so scheint sich Pär nachträglich und wider alle Vernunft zu ertrotzen, was ihm zusteht. Schließlich verrät ihm aber die Schwester der Verstorbenen, daß doch Erbe und Testament vorhanden seien - und so scheint alle Mühe, die sich der Held gemacht hat, um einer ganzen Hausgemeinschaft vorzulügen, die Alte liege noch krank und unansprechbar in ihrem Bett, überflüssig gewesen zu sein.

Die Bedrängnis, in die sich der Held manövriert hat, gäbe einem Autor am ehesten Anlaß zu psychologischen Studien, auf die aber Kerstin Ekman verzichtet. Sie überbrückt die leere Zeit, die ihr einsamer Held mit dem peinlichen Gefühl eines verschwiegenen Todes zuzubringen hat, mit Genreszenen aus dem Milieu, in dem die Alte hauste. Kerstin Ekmans erzählerischer Atem ist dabei so trocken wie ein Wüstenwind, denn ihr Humor darf sich auf kein einziges Detail einlassen: Jede Szene, jede karge Unterhaltung der Hausbewohner soll immer wieder auf das Faktum der schon so lange nicht mehr in Erscheinung getretenen Besitzerin zusteuern.

Da weder die kuriose Psychologie des Helden noch das Milieu dem dürftigen Stoff Geist einhauchen, bedarf es in der Tat eines zweiten Teils, in dem die Erzählerin mit ihrem Helden in Beziehung tritt und ihre eigenen Probleme bei der Entschlüsselung und Niederschrift seiner Geschichte dem Interesse des Lesers anbietet. Nun werden also die Brüche der Erzählung als das Zögern eines Autors erkannt, der noch nicht genau weiß, wie er sein Werk lenken und beenden soll: "Der Unterschied zwischen den ersten zwei oder drei Versionen ist nicht so groß", stellt die schreibende Mitbewohnerin fest. "In der ersten gibt Pär Agda im Rotbol-Wald einen Schubs, so daß sie auf dem Pfad liegenbleibt. Dann rennt er davon, wohl wissend, daß sie nicht allein aufstehen kann, weil sie zu dick ist." Bei der zweiten Version "bekam Agda eine Gehirnblutung, als sie von Rotbol zur Bushaltestelle durch den Wald gingen. Anstatt sie zu einem Arzt zu bringen, rannte Pär davon. Er ließ sie hilflos im Wald und fuhr allein mit dem Bus nach Hause." Mit diesen beiden Versionen hat in der Tat der Leser noch einmal ein abstract des Romans, seiner psychischen, handlungslogischen, sozialen Rätsel, und so wird er aus seiner abendlichen Lesestunde in den Traum entlassen, der entscheidet, wie das Schicksal Pärs endet - womit die Dreieinigkeit von Autor, Leser und Figur wieder einmal hergestellt wäre. HANNELORE SCHLAFFER

Kerstin Ekman: "Winter der Lügen". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Hedwig M. Binder. Malik Verlag, München 1997. 219 S., geb., 36,-DM.

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