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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2009

Hommage an Willy
Er sei Willy Brandt zwar nie begegnet, doch er kenne ihn gut, bemerkte Gregor Schöllgen in seiner 2001 publizierten Biographie. Helga Grebing empfindet diesen Satz als anmaßend und kehrt ihn gleich zu Beginn ihres Buches um: Sie selbst sei Brandt wohl mehrfach begegnet, doch würde sie sich nie zu der Aussage versteigen, ihn gut zu kennen. Ein starker Auftakt, der neugierig macht auf ein Buch, das ausdrücklich keine Biographie sein will, sondern sich als eine behutsame, auch persönlich gefärbte Annäherung an einen „komplexen”, „vielschichtigen” Menschen und Politiker versteht.
Der in sieben Kapitel aufgeteilte Band zeigt Brandt als Akteur im unterschiedlichen historisch-politischen Kontext und lässt ihn auch selbst durch Zitate ausgiebig zu Wort kommen. Grebings Augenmerk gilt vor allem der Frage, wie die politischen Erfahrungen Brandts in der Weimarer Zeit und den Jahren des Exils ihn zu einem „anderen Deutschen” formten; und wie er nach seiner Rückkehr daran arbeitete, seine politischen Erfahrungen für ein „anderes Deutschland” fruchtbar zu machen. Besonders überzeugend und anschaulich erörtert die Autorin Brandts Verständnis eines demokratischen, freiheitlichen Sozialismus; lesenswert auch ihre Rekonstruktion seines Verhältnisses zur deutschen Nation, mit der es ihr zugleich gelingt, manch verzerrende Deutung aus jüngerer Zeit zu korrigieren.
Dass Grebing aus ihrer Sympathie und Empathie für Willy Brandt keinen Hehl macht, gibt ihrem Buch eine besondere Note, irritiert aber zuweilen: So bringt sie ihren Protagonisten mehrfach auf subtile Weise gegen die heutige SPD in Stellung und schreibt mittels Brandt’scher Zitate der aktuellen Parteiführung manche Ermahnung ins Stammbuch. Nicht selten stilisiert sie Brandt geradewegs zum Vor- und Leitbild; in solchen Passagen gerät das Buch zu einer Hommage, in der die Frage nach Fehlern und Schwächen, Versäumnissen und Niederlagen weitgehend ausgeblendet wird – als nehme es Brandt etwas von seiner menschlichen und politischen Größe, wenn man in seiner Persönlichkeit und seinem Handeln auch Widersprüche, Ambivalenzen oder Inkonsequenzen sichtbar macht.
Symptomatisch für diese Tendenz zur Harmonisierung sind Grebings Überlegungen zu Brandts politischem Standort innerhalb der SPD: Er habe weder zum linken noch zum rechten Flügel gehört, schreibt sie, auch nicht einfach zur Mitte, sondern gleichsam über der Partei gestanden, allerdings nie „abgehoben”. Solche Auskünfte sind nicht besonders hilfreich; sie dienen weniger der Aufklärung als der Verklärung. ULRICH TEUSCH
HELGA GREBING: Willy Brandt. Der andere Deutsche. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 183 Seiten, 19,90 Euro.
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