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Im Mittelpunkt der strukturgeschichtlichen Untersuchung steht die Frage nach dem Einfluß des Ministeriums für Staatssicherheit auf Befehl der SED-Partei- und Staatsführung auf die DDR-Zeitungen am Beispiel der drei ehemaligen Bezirksparteizeitungen. Alle Medien, insbesondere die SED-Bezirksparteizeitungen, leisteten ihren Beitrag bis zum Ende der DDR, das politische System zu stabilisieren und gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren. Journalisten im Staats- und Parteidienst betätigten sich als Propagandisten und Agitatoren gleichermaßen. Die Studie verdeutlicht erstmals das…mehr

Produktbeschreibung
Im Mittelpunkt der strukturgeschichtlichen Untersuchung steht die Frage nach dem Einfluß des Ministeriums für Staatssicherheit auf Befehl der SED-Partei- und Staatsführung auf die DDR-Zeitungen am Beispiel der drei ehemaligen Bezirksparteizeitungen. Alle Medien, insbesondere die SED-Bezirksparteizeitungen, leisteten ihren Beitrag bis zum Ende der DDR, das politische System zu stabilisieren und gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren. Journalisten im Staats- und Parteidienst betätigten sich als Propagandisten und Agitatoren gleichermaßen. Die Studie verdeutlicht erstmals das politisch-ideologische Beziehungsgeflecht im totalitären DDR-System, ohne das Medien-SED-MfS-Syndrom in viele Einzelgeschichten von kurzlebiger Aktualität aufzusplittern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.1998

Mielkes willfährige Journalisten
SED-Bezirkszeitungen und der "Sicherungsbereich Presse" des MfS

Ulrich Kluge, Steffen Birkefeld und Silvia Müller unter Mitwirkung von Johannes Weberling (Projektberatung und -koordination): Willfährige Propagandisten. MfS und Bezirkszeitungen: "Berliner Zeitung", "Sächsische Zeitung", "Neuer Tag". Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Band 69). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1997. 138 Seiten, Dokumentenanhang, 86,- Mark.

Hauptsächlich aus kommerziellen Gründen tun sich westdeutsche Großverlage als neue Besitzer der ehemaligen SED-Bezirkszeitungen schwer, Medienwissenschaftlern Unterstützung für Untersuchungen über die Vergangenheit ihrer Blätter zu gewähren. 1993 entschlossen sich jedoch der Verlag "Gruner + Jahr", zu dem die "Berliner Zeitung" und die in Dresden erscheinende "Sächsische Zeitung" gehören, gemeinsam mit der Südwest Presse Ulm, der Eigentümerin der Frankfurter "Märkischen Oderzeitung", dem früheren "Neuen Tag", den Dresdner Wirtschafts- und Sozialhistoriker Ulrich Kluge mit einem Gutachten über die MfS-Verstrickungen ihrer Blätter in den Jahren 1969 bis 1989 zu beauftragen.

Eine Anfang 1997 an die Auftraggeber abgelieferte Vorab-Fassung des Gutachtens, die sowohl die IM- als auch die Klarnamen von 50 betroffenen Journalisten enthielt, gelangte über andere Medien auszugsweise in die Öffentlichkeit. Dies sorgte unter den noch in ihren alten Redaktionen verbliebenen ehemaligen Stasi-Journalisten für erhebliche Unruhe. Darunter befand sich beispielsweise der IM "Stefan Trepte", ein 1982 aus München in die DDR übergesiedeltes ehemaliges DKP-Mitglied, das es nach der "Wende" zum Betriebsratsvorsitzenden in der "Berliner Zeitung" gebracht hatte und bislang seine Kündigung mit juristischen Schritten erfolgreich abwehren konnte.

Kluge beklagt in seinem Vorwort vehement, seine Auftraggeber hätten angeblich absprachewidrig und ohne sein Wissen personalpolitische Konsequenzen aus seinem Gutachten gezogen und Entlassungen veranlaßt. Wohl etwas blauäugig, wie er selbst in einem Hörfunk-Interview einräumte, habe er stets angenommen, er solle nur eine strukturgeschichtliche Analyse über das Zusammenwirken der SED-Agitationsbürokratie mit dem MfS-"Sicherungsbereich Presse" am Beispiel der genannten SED-Bezirkszeitungen und der Dresdner Blockparteiblätter erstellen. Damit hätte seiner Ansicht nach auch die in den gemischten Redaktionen in den neuen Bundesländern immer noch ausstehende Diskussion unter Ost- und Westjournalisten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Journalismus angestoßen werden können.

Ungeachtet dieser Divergenzen hat das Projektteam den selbst erhobenen Anspruch durchaus erfüllt, mit seinem strukturgeschichtlichen Forschungsansatz eine Pilotstudie zum Verhältnis der SED und des MfS zur Presse vorgelegt zu haben. In der gedruckten Fassung ist es den Autoren gelungen, unter konsequentem Verzicht auf unappetitliche Details aus Spitzelberichten und die Klarnamen ihrer Verfasser bisherige Annahmen schlüssig zu verifizieren und neue Erkenntnisse über den Einsatz der IM-Journalisten zu liefern.

Sie bestätigen am Beispiel der untersuchten Bezirkszeitungen, daß die inhaltliche Anleitung sowie die Kaderentscheidungen - und das galt für sämtliche DDR-Medien - nicht die Sache der Stasi war, sondern ausschließlich in die Zuständigkeit der SED-Agitationsbürokratie fiel. An deren Spitze stand der Generalsekretär, der sich nicht selten persönlich in die Medienlenkung einmischte, und der ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda, der auch die Agitationskommission beim Politbüro leitete. Sie verkam jedoch unter dem letzten Agitprop-Sekretär Joachim Herrmann zu einer demütigenden Befehlsausgabe an SED-Spitzenjournalisten. Die eigentliche Kärrnerarbeit bei der Gleichschaltung der Medien leistete indes die seit 1973 von Heinz Geggel - unter DDR-Journalisten auch "Dr. Geggels" genannt - geleitete ZK-Abteilung Agitation. Die Autoren bezeichnen sie fälschlicherweise durchgehend als "Abteilung Agitation und Propaganda". Im Untersuchungszeitraum handelte es sich jedoch um zwei Abteilungen mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen. Dem Referat 3 der Abteilung XX/7 oblag auf zentraler und dem jeweiligen Referat 7 der Abteilung XX in den MfS-Bezirksverwaltungen auf bezirklicher Ebene die Sicherung und "Aufklärung" der Massenmedien. Darunter fiel beispielsweise die gezielte Abschöpfung der politischen Stimmung in den Redaktionen, die kontinuierliche Sammlung von Fakten aus der Privatsphäre von Redaktionsangehörigen und über deren eventuelle Verbindungen ins nichtsozialistische Ausland sowie nicht zuletzt die Informationsaufbereitung der Arbeitsabläufe in den Redaktionen. Dazu benötigten die zuständigen hauptamtlichen MfS-Bediensteten nur verhältnismäßig wenig Inoffizielle Mitarbeiter. Schließlich waren die meisten Journalisten ohnehin dem Regime ergeben und verstanden sich weisungsgemäß als "Funktionäre der Arbeiterklasse".

Vor ihrer Zulassung zum Studium in Leipzig hatte sie die Partei und das MfS überdies sorgfältig auf ihre politische Zuverlässigkeit überprüft. Die regelmäßige Konsultation von offiziellen Kontaktpersonen - das waren Chefredakteure, deren Stellvertreter, Parteisekretäre, Kaderleiter sowie Mitglieder der Verlagsleitungen - deckte im allgemeinen den Informationsbedarf des MfS ab. Dessen Gegenleistung bestand in der präventiven Absicherung der Medien gegen Störfaktoren und, wie die Verfasser zu Recht resümieren, in der "Rolle als kaderpolitischer Akteur und Dienstleistender, und zwar in jedem Fall unter bedingungsloser Anerkennung der medienpolitischen Vorgaben durch die SED-Führung".

Zu den besonders bemerkenswerten Ergebnissen der Studie zählt der Nachweis, daß auch nicht für die Absicherung der Medien zuständige MfS-Diensteinheiten außerredaktionelle, berufsbedingte und gelegentlich sogar freundschaftliche Beziehungen von IM-Journalisten systematisch nutzten. So war der überwiegende Teil der in der "Berliner Zeitung" in den Abteilungen Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik beschäftigten IMs schwerpunktmäßig mit der Abschöpfung, Bespitzelung und Beeinflussung ausländischer Diplomaten und Korrespondenten befaßt. Demgegenüber hatten in der "Sächsischen Zeitung" hauptsächlich Redakteure der Sport- und Kulturabteilung die Dresdner Kunst- und Kulturszene beziehungsweise die Sportvereinigungen "aufzuklären".

Der aufmerksame und kundige Leser des leider nicht kommentierten umfangreichen Dokumentenanhangs wird darin auf viele ergänzende Detailinformationen stoßen. Dazu gehören beispielsweise Pläne in der Chefredaktion der "Berliner Zeitung", die von Gisela Herrmann, der Ehefrau des obersten Medienwächters Joachim Herrmann, geleitete Kulturabteilung aufzulösen, falls sie in Rente gehen sollte. Dazu lieferte der IM "Hermann Teubert" den O-Ton des stellvertretenden Chefredakteurs: "Aber Gisela wird uns nicht den Gefallen tun." Im Dokumententeil fehlen bedauerlicherweise Belege über IM-Kontakte zu westlichen Diplomaten und Journalisten. Hier besteht noch ein großer Forschungsbedarf. Denn wenn es auch zutrifft, daß das MfS auf die Inhalte der DDR-Medien keinen unmittelbaren Einfluß ausüben durfte, so konnte es doch auf dem Felde der Desinformation der bundesdeutschen Medienlandschaft beträchtliche Erfolge vorweisen. GUNTER HOLZWEISSIG

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