klagenden Weise wie eine Äolsharfe" zum Erklingen brachte, wie Doderer in der "Strudlhofstiege" schreibt, muss offen bleiben.
Wundern würde es den Leser gar nicht, wenn er im Buch von Andreas Lehne sogar auf eine Quelle stieße, die diese Frage beantwortet. Aber schließlich hat der Kunst- und Architekturhistoriker kein Buch über Doderer geschrieben, sondern über ganz unterschiedliche Orte in Wien: sechzig kurze Stücke über Orte, Gebäude und Gegenstände jener Art, die man ohne Winke kaum findet oder übersieht. (Andreas Lehne: "Wie kommt der Hirsch aufs Dach?" 60 erstaunliche Entdeckungen in Wien. Metroverlag, Wien 2013. 221 S., geb., 19,90 [Euro].)
Das Buchgenre der Spurensuche in Metropolen ist zwar nicht originell. Aber einnehmend ist, was dieser Autor ihm in schnörkellosen Texten abgewinnt. Und wenn auch Bewohner der Stadt die ersten Adressaten sind, ist das Buch doch fortgeschrittenen Wien-Besuchern durchaus zu empfehlen. Von Doderers "Zwillingen" kann man etwa am Leitfaden des Stichworts "Fassade" zum Markieren (Tagging) derselben übergehen: historisch mit dem jung verstorbenen Joseph Kyselak, der es schon zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zu einschlägiger Bekanntheit brachte; am Beispiel von Häuserkennzeichnungen durch russische Einheiten 1945; oder zeitgenössisch mit einer Installation des Taggers namens Space-Invader im Museumsquartier. Dort könnte man dann zur kleinen Zirkusmanege von Kaiserin Elisabeth abzweigen, sofern man nicht den Fassaden treu bleibt und sich das eindrucksvolle ordnende Walten Wiener Obrigkeiten auf dem Gebiet der Hausnummern und Straßenschilder vor Augen führt.
Aber es lockt auch eine Morgenländische Platane (Platanus orientalis) in einem Hof der Innenstadt. Oder für Nostalgiker der sechziger Jahre der Mecky-Express im Prater. Oder der Selbstversuch, ob man die Vergangenheit der Opernkreuzung, also der aus Karl Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit" bekannten Sirk-Ecke, als gesellschaftlichen und später auch verkehrstechnischen Brennpunkt der Stadt noch erraten kann. Die beigegebenen Abbildungen drängen sich nicht in dem Vordergrund, fast wie ein Wink, dass es auf den eigenen Augenschein ankommt - wenn man sich dabei verläuft, umso besser.
HELMUT MAYER
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