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Produktdetails
  • Verlag: Francke, A
  • ISBN-13: 9783772027314
  • Artikelnr.: 24696955
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.1999

Mama, Papa, ich
Wie Kinder sprechen lernen

Seine Sprachfähigkeit hat den Menschen schon immer begeistert, sobald er sein eigenes Wesen zu verstehen suchte. Vom sprachbegabten Lebewesen sprachen bereits die griechischen Philosophen. Einblicke in das Werden der Sprache beim Kind gehören zu den schönsten Zugängen zum Wesen der Sprache, in dem der Mensch sich als Mensch erkennen wollte. Auch der Aachener Sprachlehrforscher Wolfgang Butzkamm und sein Bruder Jürgen, Psychologe und Leiter der Ausbildungsstätten der Lobetalarbeit in Celle, stehen in dieser Tradition. Der kindliche Spracherwerb gilt ihnen als Schlüssel zum Verständnis des Menschen. In einer umfangreichen Untersuchung haben sie seine Grundzüge entfaltet und seine Entwicklungsstufen rekonstruiert, vom Zu- und Hinhören des Ungeborenen bis zum kreativen Beherrschen komplexer grammatischer Regeln. Aber von Anfang an war für sie der Spracherwerb mehr als ein bloßer Erkenntnisgegenstand, den es mit kühler theoretischer Neugier zu analysieren galt. Das "Wunder der Sprache" faszinierte sie, und sie wollten wissen, wie die lebendige Aneignung der Sprache verläuft, um die Menschlichkeit des Menschen zu verstehen.

"Unseren Eltern, die uns Sprache gaben", ist das Buch gewidmet. "Die Liebe ist das Mittel zum Werden des Kindes", lautet das von Christian Morgenstern übernommene Motto. Und der Epilog wird eingeleitet mit einem Satz Wilhelm von Humboldts: "Das Wesen des Menschen aber ist es, sich erkennen in einem andern; daraus entspringt sein Bedürfnis und seine Liebe."Bereits Widmung und Motto lassen die Besonderheit dieser umfassenden Darstellung des Spracherwerbs erkennen. Es handelt sich nicht nur um eine empirische Beschreibung und einen theoretischen Erklärungsversuch. Die beiden Autoren appellieren an die Eltern, zwischen sich und ihren Kindern jenes Vermögen wachsen zu lassen, mit dem "uns die Natur beschenkt hat": Freundlichkeit, Fürsorglichkeit und Mitgefühl.

Es sind ungewohnte Töne, die in diesem wissenschaftlichen Buch zu vernehmen sind und seinen Grundtenor bilden, manchmal erwecken sie den Eindruck eines Zuviel des "Sanften und Guten". Die beiden Autoren haben ein ungewöhnlich harmonisches Bild gezeichnet. Auch wenn sie behinderte Kinder zu Wort kommen lassen, herrscht Optimismus vor. Die taubblinde Helen Keller, der in seinen Körper eingesperrte Christopher Nolan, der nur mit seinen Augen mitteilen kann, mit welch poetischer Kraft sein Geist begabt ist, oder Birger Sellin, dessen Texte ausdrucksstarke Botschaften aus einem autistischen Kerker sind: Ihnen allen gelingt es, am lebendigen Strom der Sprache teilzunehmen und ihr Wunder so erleben zu können, wie es auch für die Autoren offenbar ist.

Wissenschaftlich bemerkenswert ist vor allem der Erkenntnisgewinn, den die beiden Brüder aus ihrem Lebensgefühl ziehen konnten. Denn es gelang ihnen, ein materialreiches, anschauliches und eindrucksvolles Bild des Spracherwerbs zu entwerfen und auszumalen, das durch seinen Aufbau und seine Entwicklungslogik überzeugt. Die semantische Weltbemächtigung durch Wörter und die durch grammatische Regeln ermöglichte Freiheit des menschlichen Denkens folgen aus der kommunikativen Praxis. "Miteinander sprechen" und "sich zusammenfinden" bilden sowohl die entwicklungsgeschichtlichen Anfänge als auch die tragenden Fundamente des Spracherwerbs: "Am Anfang steht das Einverständnis zwischen Eltern und Kind. Einverständnis ist die Grundbedingung der Sprache."

MANFRED GEIER.

Wolfgang und Jürgen Butzkamm: "Wie Kinder sprechen lernen". Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen. Francke Verlag, Tübingen, Basel 1999. 378 S., geb., 49,80 DM.

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