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Ludwig Pietsch (1824-1911), Starkritiker und umschwärmter Gesellschaftsberichterstatter der kaiserlichen Metropole, erinnert sich an die Anfänge seiner Karriere im Berlin der fünfziger und sechziger Jahre. Er begann seinen ungewöhnlichen Weg an die Spitze des deutschen Kulturlebens in bitterster Armut und Namenlosigkeit. Seine Doppelbegabung als Zeichner und Literat öffnete ihm die berühmtesten Ateliers und tonangebenden Salons. In seinem farbigen Stil schildert er die Begegnung mit Adolph Menzel und Gustave Dore, seine Freundschaft mit Theodor Storm und Fritz Reuter, seine Vertrautheit mit…mehr

Produktbeschreibung
Ludwig Pietsch (1824-1911), Starkritiker und umschwärmter Gesellschaftsberichterstatter der kaiserlichen Metropole, erinnert sich an die Anfänge seiner Karriere im Berlin der fünfziger und sechziger Jahre. Er begann seinen ungewöhnlichen Weg an die Spitze des deutschen Kulturlebens in bitterster Armut und Namenlosigkeit. Seine Doppelbegabung als Zeichner und Literat öffnete ihm die berühmtesten Ateliers und tonangebenden Salons. In seinem farbigen Stil schildert er die Begegnung mit Adolph Menzel und Gustave Dore, seine Freundschaft mit Theodor Storm und Fritz Reuter, seine Vertrautheit mit der international renommierten Sängerin Pauline Viardot. Noch einmal taucht das romantische Berlin auf, bevor es im Umbau zur deutschen Hauptstadt versinkt. Als Kritiker, Feuilletonist und Bohemien war Ludwig Pietsch der große Vorläufer Alfred Kerrs. Seine Memoiren sind ein Erinnerungswerk ersten Ranges, ein Buch aus dem Geist der Freundschaft und der Liebe zur Kunst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2000

Wie man Berliner Parkett schleift
Erfolgsprosa: Der Lebensroman des Feuilletonisten Ludwig Pietsch

Er war ein Liebling der Gesellschaft, gefällig mit dem, was er im Feuilleton schrieb: über die Kunst, über Ausstellungen und Konzerte und über die schönen Dinge. Keine Ballsaison, in der die Damen nicht fieberten, seine Berichte über ihre Roben in der "Vossischen Zeitung" zu lesen. Niemand sonst konnte das Berliner Parkett beschreiben wie Ludwig Pietsch - so detailverliebt und so freundlich, daß der Erfolg nicht ausbleiben konnte, ein Erfolg, der den Autor schließlich dazu ermuntern sollte, den "wunderlichen Roman" seines Lebens zu erzählen.

Unter dem Titel "Wie ich Schriftsteller geworden bin" ist das Buch 1892 erstmals erschienen. In zwei Bänden, auf bald 600 Seiten, schildert es den Weg eines Mannes, der sich, noch geleitet vom Vorbild romantischer Künstlerfiguren, selbst als Schaffender einzurichten versucht, als Maler zunächst, dann als Literat. Da wie dort legt er sich enthusiastisch ins Zeug, da wie dort muß er die Grenzen seiner Fähigkeiten erkennen. In der Malerei ist sich schwerer zu verbergen als im Feuilleton. Seine Expansion, der Bedeutungsgewinn der Presse, bietet dem Geschickten alle Möglichkeiten. Hier, wo der Eindruck mehr zählt als die Begabung, kann er rasch reüssieren, mit seinem deskriptiven Talent angenehm auffallen in einer Zeit, die ohnehin lieber abgebildet als durchleuchtet sein will.

Der Anfang des Berichtes, der autobiographische Rückblick auf die Jahre nach 1848, ist noch ganz überschattet von "schmerzlicher Enttäuschung". Immer wieder drängen sie sich zwischen die Zeilen, die Ideale der verlorenen Revolution. Sie war das Generationserlebnis des 1824 geborenen Autors, mit ihr ist der Beamtensohn aus Danzig erwachsen geworden. Ihrem Geist konnte er im Haus des Berliner Verlegers Franz Duncker nachhängen, aus ihm ergab sich die enge Beziehung zu Ferdinand Lassalle. Daß sie nur vorübergehend hielt, war der Not geschuldet, der "Last von eigenen kleinen und großen Privatsorgen", hinter denen "der tiefe Fall des Vaterlandes und die politische Misere . . . zurücktreten" sollten. An den Umständen schien sich der Widerstand zu erschöpfen, unausweichlich zog es Ludwig Pietsch zu den Künsten, dahin, wo sich der Protest in ästhetischer Melancholie auflöste. Theodor Storm und der etablierte Fritz Reuter standen ihm bald ebenso nah wie Adolph Menzel, von dessen "Tafelrunde Friedrichs des Großen" schon 1850 ein "wärmender geistiger Lichtschein" auf den zukünftigen Rezensenten gefallen war. Es sind nicht zuletzt diese authentischen Eindrücke, Notizen über Werke und Begegnungen, die die Erinnerungen des erfolgreichen Journalisten so lesenswert machten für die Zeitgenossen.

Wer seinem Rückblick folgte, kam in die Kreise der Gesellschaft, zu Berühmten und zu weniger Berühmten bisweilen, in die Gladenbecksche Bronzegießerei zu Christian Daniel Rauch und zu Arnold Böcklin nach Weimar, zu Gottfried Keller, zu Karl Marx und zu Iwan Turgenjew, mit dem sich Ludwig Pietsch in Baden-Baden anfreundete. Hunderte von Personen nennt das Register; allesamt posieren sie auf ständig wechselnden Momentaufnahmen.

"Er malt", schrieb Alfred Kerr zum siebzigsten Geburtstag des Autors, "er malt die Oberfläche, und er grämt sich nicht, daß er nicht mehr malen kann." Seine Sache war, so hatte Theodor Fontane bereits Jahre zuvor bemerkt, die "Anschauung". Viel weniger verstand er dagegen vom Erzählen. Den Roman, den der Untertitel seiner Erinnerungen verspricht, blieb der Journalist schuldig. Was er vorlegte, war nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein riesiges Historiengemälde. Ganze Kulturgeschichten kann seine Betrachtung ersetzen. Vielfarbig illuminiert leuchtet das historische Panorama. Von 1848 bis 1870 spannt sich der Bogen. Zu besichtigen ist eine Epoche, in der die Berliner beides zugleich erlebten, das Nach- und das Vorspiel in einem. Aus der alten Stadt, deren Mietshäuser noch keine Wasserhähne kannten, führt der Weg in den entstehenden Westen, wo sich die Moderne bereits mit großzügig gestalteten Villen anzukündigen begann, während Ferdinand Lassalle in den Salons der Mitte noch auf den alten Varnhagen von Ense treffen konnte, und das womöglich an einem Abend, zu dem auch schon Hedwig Dohm, die spätere Schwiegermutter Thomas Manns, geladen war.

Wie im Guckkasten sieht man die Zwischenzeit, die Szenen des Übergangs, den Abschied von romantischer wie von revolutionärer Hoffnung einerseits und andererseits das allmähliche Ankommen in einer Gesellschaft, die am Ende und durchaus zum Vorteil des Landes vertritt, was sie nicht verhindern kann. Sogar Otto von Bismarck, zunächst noch als "drohendes Schreckgespenst" angekündigt, wird auf den letzten Seiten des Buches zur gefeierten Figur. Begeistert berichtet der Autor von der "jauchzenden Freudetrunkenheit", der die Berliner nach dem Sieg bei Königgrätz erlagen. Preußische Machtpolitik würde fortan die Einlösung der revolutionären Erwartung verbürgen, "das große Vaterland" schaffen, glaubte nun auch Ludwig Pietsch.

Mit der Gesellschaft, die er suchte, war der Feuilletonist im politischen Alltag angekommen. Weil er wußte, wovon er abzusehen hatte, konnte er schreibend gefallen. Schmeicheln mußte dem Publikum sein kultivierter Opportunismus. Mit ihm fügte er sich ein in das eigene Sittenbild, mit ihm hat er die Gründerzeit ausgekostet bis in den Vorabend der Krise, bis zu seinem Tod im Jahre 1911.

THOMAS RIETZSCHEL

Ludwig Pietsch: "Wie ich Schriftsteller geworden bin. Der merkwürdige Roman meines Lebens". Herausgegeben von Peter Goldammer. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 670 S., geb., 79,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Wenn man Thomas Rietzschels Kritik gelesen hat, möchte man eigentlich gleich mit Ludwig Pietschs Lebensroman beginnen. Fasziniert und faszinierend beschreibt er diesen Schriftsteller und sein Buch, in dem er schwelgt wie in einem Historienfilm - nicht ohne Sympathie auch für die Schwächen des Autors, der so gerne statt Feuilletonist ein Literat gewesen sei. In Rietzschels Kritik steht die Epoche von 1848 bis 1870 vor unseren Augen wieder auf - samt ihrem prominentesten Personal: von Arnold Böcklin über Gottfried Keller, Bismarck oder dem alten Varnhagen. Schauplatz ist im wesentlichen Berlin, das wir von der Residenzstadt zur preußischen Metropole am Vorabend des deutsch-französischen Krieges wachsen sehen. Den Roman, den er im Titel verspreche, meint Rezensent Rietzschel, bleibe Pietsch schuldig. Aber dies scheint gerade die Stärke des Buches zu sein, das Rietzschel ein "Sittenbild” nennt.

© Perlentaucher Medien GmbH"