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Die Geschichte eines kleinen Lebens nach dem großen Zusammenbruch. Harig, bislang bekennender Nazi, muß sich nach Kriegsende neu orientieren. Begierig stürzt er sich auf alles Neue, lernt Jazz und Rock 'n' Roll kennen und fährt im Cabrio nach St. Tropez. Er entdeckt die Freiheit, jongliert bald mit Worten und wird zum vielbeachteten "poetischen Luftkutscher". Eine virtuose und ungeschminkte Künstlerbiographie, mit der Ludwig Harig eine beeindruckende Bilanz der 50er Jahre zieht.

Produktbeschreibung
Die Geschichte eines kleinen Lebens nach dem großen Zusammenbruch. Harig, bislang bekennender Nazi, muß sich nach Kriegsende neu orientieren. Begierig stürzt er sich auf alles Neue, lernt Jazz und Rock 'n' Roll kennen und fährt im Cabrio nach St. Tropez. Er entdeckt die Freiheit, jongliert bald mit Worten und wird zum vielbeachteten "poetischen Luftkutscher". Eine virtuose und ungeschminkte Künstlerbiographie, mit der Ludwig Harig eine beeindruckende Bilanz der 50er Jahre zieht.
Autorenporträt
Harig, Ludwig
Ludwig Harig, geboren 1927 in Sulzbach/Saarland, gestorben am 5. Mai 2018 ebenda, arbeitete von 1950 bis 1970 als Volksschullehrer; seit 1974 lebte er als freier Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Neben zahlreichen kleineren dichterischen Arbeiten, kulturkritischen Feuilletons und Glossen hat Harig über 50 Hörspiele, ein Theaterstück und mehrere autobiographische Romane geschrieben. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Böll-Preis und den Friedrich-Hölderlin-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Zyklon über der Saar
Ludwig Harigs kleine Wolfskunde / Von Walter Hinck

In den "Dubliners" von James Joyce, in der Geschichte "Ein betrüblicher Fall", treibt der Bankkassierer James Duffy seinen Ordnungswahn so weit, daß er seine Bücher nicht alphabetisch oder in anderer sinnvoller Weise aufstellt, sondern von unten nach oben der Größe nach. Als einen Vetter Duffys bekennt sich Ludwig Harig in seinem neuen Roman; jegliche Unordnung sei ihm ein Greuel. Harig also nicht nur Sohn, sondern auch geistiger Nachkomme seines Vaters? Dessen Lebensalltag nach dem kleinbürgerlichen Exerzierreglement hatte er, kritisch und verstehend zugleich, in seinem ersten autobiographischen Roman "Ordnung ist das ganze Leben" (1986) beschrieben. Mit seiner eigenen willigen Unterordnung, als Hitlerjunge und Jungmann einer nationalsozialistischen Lehrerbildungsanstalt, war er im Roman "Weh dem, der aus der Reihe tanzt" (1990) ins Gericht gegangen. Ludwig Harig dennoch ein deutscher James Duffy? Ja, aber ein Ordnungsfanatiker, der das Spielen nicht verlernt hat.

Der Titel des neuen Romans, "Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf", kann sich kaum noch auf den Zeitraum beziehen, über den der Roman berichtet: die anderthalb Jahrzehnte zwischen 1945 und 1960. Das Eckdatum - 1960 erschien seine Übersetzung der Prosagedichte eines farbigen Dichters von den Antillen - läßt vermuten, daß es Harig bei der autobiographischen Trilogie nicht bewenden lassen will. Wie der vorhergehende ist auch der neue Band zu einem gut Teil ein Bildungsroman in Ichform.

Die Teilung Deutschlands, die für lange Zeit alle zeitgeschichtlichen Probleme überschattete, hat ja fast in Vergessenheit geraten lassen, daß es auch eine Trennung und Wiedervereinigung im kleinen Maßstab gab. Das Saarland stand nach dem Kriege in einer Art Wirtschafts- und Zollunion mit Frankreich, und erst aufgrund der Volksabstimmung vom Oktober 1955 gliederte es sich zum 1. Januar 1957 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Für Harigs Biographie waren die Saar-Konventionen von besonderem Gewicht.

Neben Walter Kempowski und Peter Bichsel der dritte der bekannten Autoren, die sich vom Katheder der Schulstube in den Sattel des freien Schriftstellers schwangen, hatte sich Harig unter der nahezu klerikalen Regierung Hoffmann und ihrem Kultusminister Emil Strauss im Lehrerseminar und dann im Beruf einer streng christlichen Doktrin zu fügen: "Anstelle von Landsknechtstrommeln und Fanfaren tönten nun Kirchenglocken durch die ,pädagogische Provinz'." So sind seine Beispielfälle aus der Schulpraxis Dokumente zur Geschichte einer Erziehungspolitik, die - beispielsweise mit der Wiedereinführung der Bekenntnis- und Geschlechtertrennung - die von der Naziideologie verpesteten Schulstuben nicht lüftete, sondern mit Weihrauch füllte.

Ins Freie stieß Harig, wenigstens vorübergehend, als Assistant d'allemand am Collège Moderne in Lyon (1949/50). Er schreibt emphatisch über diese Zeit und mit einer Rilkeschen Wendung von einem Buch, das sein "Leben verändert" habe: Antoine de Saint-Exupérys "Vol de nuit", die Geschichte vom Nachtflug und Lebenskampf im Zyklon, die Geschichte eines "Helden ohne Siegerpose". Aber man hat den Eindruck, daß er Saint-Exupéry doch wieder nur wie einen anderen Hölderlin las. Hölderlin war der Abgott des Schülers an der nationalsozialistischen Lehrerbildungsanstalt gewesen, doch hatte er dessen Verse bei vaterländischen und Totengedenk-Feiern wie Parteiparolen geplärrt. Kaum weniger schlimm, daß sich Harig noch nach dem Krieg von Josef Nadlers "Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften" Stichworte für eine Hölderlin-Schulstunde geben ließ. Erst Max Bense löste den Hölderlin-Bann.

Die Kapitel über den Kopf der "Stuttgarter Schule", den wir auch als Privatperson in vielen Lebenssituationen kennenlernen, sind wohl die zentralen Kapitel, liest man das Buch als autobiographischen Bildungsroman. Bei Bense erlebte der junge Schriftsteller sein "semiotisches Damaskus". Wie verhext war er vom Wort Experiment. Während Naturlyriker der Zeit auszogen, die Landschaft im seraphischen Ton zu besingen, begab sich Harig ins Sprachlaboratorium: "Kühl und besonnen tüftele ich mit meinen Wörtern herum." Wir wissen heute, daß er auch aus der Stuttgarter Schule ausbrach.

Immerhin fand er hier eine Zeitlang Entschädigung für das kleinbürgerliche Banausentum des Elternhauses in Sulzbach, in dem er weiterhin wohnte, empfand intellektuelle Geborgenheit, auch wenn ihn ein anderer Schüler Benses einmal im Eifer der heißen Diskussion "einen Verfechter regionaler Kleinmeisterei" nannte. Im Rückblick geht Harig in Distanz zu sich selbst, auch zur Gruppe; im Bericht über eine gemeinsame Reise zum Mont Ventoux, dem Berg Petrarcas, sieht er sie wie eine "Gesellschaft gläubiger Jünger, der ein Guru blauen Dunst vormacht".

Daß den Bense-Kapiteln eine so zentrale Rolle zufällt, zeigt aber auch den entscheidenden Unterschied dieses Romans zu den beiden vorhergehenden an, seinen Mangel. "Ordnung ist das ganze Leben" war der Roman eines durch die Erziehung im Kaiserreich für immer geprägten deutschnationalen Kleinbürgers, der zum Mitläufer des "Dritten Reiches" wurde; im Roman "Weh dem, der aus der Reihe tanzt" beschrieb sich Harig als einen durch Erziehung und nationalen Höhenrausch verführten Hitlerjungen, aber auch als schrecklich gelehrigen Papagei der Naziparolen. Beide Bücher sind als autobiographische Romane auch Romane einer Generation. Aus einem - anfangs noch immer verquasten - Lehrer an saarländischen Dorfschulen und einem zum Bense-Schüler bekehrten Schriftsteller läßt sich ein Generationsporträt nicht machen.

Harig hat diesen Mangel zu kompensieren, hat dem dürftigen biographischen Gerippe erzählerisches Fleisch anzusetzen versucht, etwa mit den mehr oder weniger langen Episoden seines Verhältnisses zu - wie es einfach heißt - Brigitte. Aber da diese Verliebtheits-, Liebes- und Ehegeschichte nur von Sonnenschein und Harmonie weiß, fehlen ihr Salz und Pfeffer. Ungeschwächt ist Harigs erzählerischer Humor, etwa in den Saarbrücker Tanzstunden- und den Ballszenen in der Sulzbacher Festhalle, ungeschwächt seine Fähigkeit, aus den Musikhits der Zeit eine Psychologie der jeweiligen Jugend zu entwickeln. Schätzen wir auch die Beispiele seiner uneitlen Selbsterkenntnis nicht zu gering. Und um die Phantasie Harigs in künftigen Erzählungen braucht uns nicht bange zu sein.

Ludwig Harig: "Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf". Roman. Hanser Verlag, München und Wien 1996. 368 S., geb., 39,80 DM.

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