Durch ihren Rhythmus und ihre musikalische Komponente aktivieren Gedichte im Gehirn mehrere Bereiche - die Texte werden leichter behalten und begleiten Kinder oft über viele Jahre.Michael Hammerschmid stellt im vorliegenden Buch eine besonders feine Auswahl seiner Gedichte vor: Sprachspielerisch, assoziativ und mit unerwarteten Wendungen eröffnet er Welten, die Kinder staunen lassen und zum Fabulieren einladen.Die argentinische Illustratorin María José de Tellería ist im deutschen Sprachraum bislang unbekannt. Mit ihren vielschichtigen und poetischen Illustrationen gelingt es ihr, die Stimmungen der Gedichte einzufangen und zu verstärken. Ihre lebensfrohen Bilder erzählen eigene Geschichten und entwickeln einen Zauber, dem man sich nicht entziehen mag.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2022Fische unter Bullaugen
Gedicht-Bilderbuch mit gelben Keksegedanken
Illustration aus Michael Hammerschmid / María José de Tellería: wer als erster
Erster sein wollen kann ziemlich mühsam sein. Man muss dauernd rennen, um als Erster beim Kühlschrank zu sein, als Erster die Türe zu berühren oder als Erster zu essen. Kein Wunder, dass Michael Hammerschmid bei so viel Anstrengung das Erster-Sein-Wollen in einem seiner Gedichte ad absurdum führt und so wunderbar aushebelt. „wer als erster / einen vogel hört / wer als erster / den andern / nicht stört / wer als erster / als erster / wer als erster?“
Beim Lesen muss man natürlich gleich an Ernst Jandls berühmtes Gedicht „fünfter sein“ denken. Darin geht es um einen Besuch beim Doktor – etwas, das eigentlich niemand so richtig mag. Doch Jandl gelingt es, die unangenehme Vorstellung mit ganz wenigen Wörtern und vielen Wiederholungen in ein äußerst spannendes Gedicht zu verwandeln. Der Dichter Michael Hammerschmid macht Ähnliches. Gerade einmal zwölf Gedichte umfasst das schön gestaltete Buch, doch die sind voller Klänge und Wiederholungen. Mal reiht Hammerschmid seine Ideen listenartig untereinander, mal versieht er sie mit Reimen und zeigt uns, dass „glänzen“ und „schwänzen“ oder „dreck“ und „weg“ ganz nah beisammen liegen können.
Die Gedichte drehen sich nicht nur um alltägliche Dinge wie Kastanien, Uhren oder Seifenblasen, sondern auch um das Größerwerden oder um die Angst vor dem Alleinsein. Hammerschmid hat ein gutes Gespür für kleine Verschiebungen in der Bedeutung oder für Lautspiele. Und er vermag es, mit seiner Sprache schöne Bilder zu schaffen. Menschen werden hier zu Bienen, und der Duft frischgebackener Kekse kann ein ganzes Haus verzaubern und sogar den Passanten draußen „süße gelbe keksegedanken“ machen. Andernorts sitzen zwei in der U-Bahn – und finden schließlich ein Rezept gegen das Alleinsein: „in der u-bahn / sitzen wir / einer dort und / eine hier / aus dem fenster / schauen wir / eine dort und / einer hier / dann / setz ich mich / zu dir. / vielleicht sehen wir / ein tier? / vielleicht.“
Nein, ganz bestimmt! In diesem Buch kann man Frösche, Giraffen, Krokodile oder Pinguine sehen, aber auch gewöhnliche Katzen und Mäuse. María José de Tellería hat ihre Bilder so angelegt, dass sie je eine Doppelseite groß sind und die Gedichte gleichsam umschließen. So muss man eigentlich von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Auch weil die Illustratorin die Fantasiewelten der Verse fortspinnt. Auf dem Bild zu einem Meeresgedicht etwa kann man nicht nur Quallen und Fische im Wasser entdecken, die Fische scheinen zugleich hinter den Bullaugen eines großen Schiffes zu schwimmen. Und trägt einmal ein Gedicht einen etwas hochgestochenen Titel wie „die friedensbrücke“, bricht María José de Tellería den hehren Anspruch einfach, indem sie die Brücke zu einem großen grauen Bären macht.
„wer als erster“ ist ein Buch zum Vorlesen und zum Mitsprechen. Und ein sehr musikalisches Buch. Wie heißt es einmal? „auf den fels / sollte man hinauf / in die wiese / sollte man hinein / was am boden liegt / das hebt man auf / und ein lied / sollte gesungen sein“. Dem kann man nur zustimmen.
NICO BLEUTGE
Michael Hammerschmid: wer als erster. Mit Illustrationen von María José de Tellería. Jungbrunnen 2022. 25 Seiten, 16 Euro.
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Gedicht-Bilderbuch mit gelben Keksegedanken
Illustration aus Michael Hammerschmid / María José de Tellería: wer als erster
Erster sein wollen kann ziemlich mühsam sein. Man muss dauernd rennen, um als Erster beim Kühlschrank zu sein, als Erster die Türe zu berühren oder als Erster zu essen. Kein Wunder, dass Michael Hammerschmid bei so viel Anstrengung das Erster-Sein-Wollen in einem seiner Gedichte ad absurdum führt und so wunderbar aushebelt. „wer als erster / einen vogel hört / wer als erster / den andern / nicht stört / wer als erster / als erster / wer als erster?“
Beim Lesen muss man natürlich gleich an Ernst Jandls berühmtes Gedicht „fünfter sein“ denken. Darin geht es um einen Besuch beim Doktor – etwas, das eigentlich niemand so richtig mag. Doch Jandl gelingt es, die unangenehme Vorstellung mit ganz wenigen Wörtern und vielen Wiederholungen in ein äußerst spannendes Gedicht zu verwandeln. Der Dichter Michael Hammerschmid macht Ähnliches. Gerade einmal zwölf Gedichte umfasst das schön gestaltete Buch, doch die sind voller Klänge und Wiederholungen. Mal reiht Hammerschmid seine Ideen listenartig untereinander, mal versieht er sie mit Reimen und zeigt uns, dass „glänzen“ und „schwänzen“ oder „dreck“ und „weg“ ganz nah beisammen liegen können.
Die Gedichte drehen sich nicht nur um alltägliche Dinge wie Kastanien, Uhren oder Seifenblasen, sondern auch um das Größerwerden oder um die Angst vor dem Alleinsein. Hammerschmid hat ein gutes Gespür für kleine Verschiebungen in der Bedeutung oder für Lautspiele. Und er vermag es, mit seiner Sprache schöne Bilder zu schaffen. Menschen werden hier zu Bienen, und der Duft frischgebackener Kekse kann ein ganzes Haus verzaubern und sogar den Passanten draußen „süße gelbe keksegedanken“ machen. Andernorts sitzen zwei in der U-Bahn – und finden schließlich ein Rezept gegen das Alleinsein: „in der u-bahn / sitzen wir / einer dort und / eine hier / aus dem fenster / schauen wir / eine dort und / einer hier / dann / setz ich mich / zu dir. / vielleicht sehen wir / ein tier? / vielleicht.“
Nein, ganz bestimmt! In diesem Buch kann man Frösche, Giraffen, Krokodile oder Pinguine sehen, aber auch gewöhnliche Katzen und Mäuse. María José de Tellería hat ihre Bilder so angelegt, dass sie je eine Doppelseite groß sind und die Gedichte gleichsam umschließen. So muss man eigentlich von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Auch weil die Illustratorin die Fantasiewelten der Verse fortspinnt. Auf dem Bild zu einem Meeresgedicht etwa kann man nicht nur Quallen und Fische im Wasser entdecken, die Fische scheinen zugleich hinter den Bullaugen eines großen Schiffes zu schwimmen. Und trägt einmal ein Gedicht einen etwas hochgestochenen Titel wie „die friedensbrücke“, bricht María José de Tellería den hehren Anspruch einfach, indem sie die Brücke zu einem großen grauen Bären macht.
„wer als erster“ ist ein Buch zum Vorlesen und zum Mitsprechen. Und ein sehr musikalisches Buch. Wie heißt es einmal? „auf den fels / sollte man hinauf / in die wiese / sollte man hinein / was am boden liegt / das hebt man auf / und ein lied / sollte gesungen sein“. Dem kann man nur zustimmen.
NICO BLEUTGE
Michael Hammerschmid: wer als erster. Mit Illustrationen von María José de Tellería. Jungbrunnen 2022. 25 Seiten, 16 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Nico Bleutge ist Michael Hammerschmids Buch mit den Illustrationen von Maria Jose de Telleria ein Gesamtkunstwerk zum Vorlesen und Mitsprechen. Die gerade mal zwölf Gedichte, umrahmt von den sie fortspinnenden Bildern wecken bei Bleutge Erinnerungen an Jandl, wenn der Autor mit Klängen, Listen und Wiederholungen spielt oder "Dreck" auf "weg" reimt. Alltägliches wie Uhren und Bienen begegnet dem Rezensenten ebenso wie das Thema Alleinsein. Ein auf anregende Weise verspieltes und musikalisches Buch, findet Bleutge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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