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Produktdetails
  • Verlag: Eulenspiegel
  • Seitenzahl: 191
  • Abmessung: 180mm
  • Gewicht: 175g
  • ISBN-13: 9783359009351
  • ISBN-10: 3359009355
  • Artikelnr.: 08040111
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.1999

Vom schreckenerregenden Schicksal der Beutedeutschen
Mit der DDR ging auch die Satire unter - jedenfalls in den neuen Bundesländern

Epper: Vorsicht Stufe! Lustige Bilder, ausgewählt und zusammengestellt von Fred Reinke. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 1999. 192 Seiten, 12,80 Mark.

Ulrich Plenzdorf: Eins und eins ist uneins. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 1999. 128 Seiten, 19,80 Mark.

Peter Ensikat: Satire. Wenn wir den Krieg verloren hätten / Uns gab's nur einmal. Eulenspiegel-Verlag Berlin, 1999. 192 Seiten, 14,80 Mark.

Rolf Becker: Nicht ohne meinen Trabi. Drehorgel-Rolf als Eulenspiegel um die Welt. Aufgeschrieben von Peter Perleberg. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 1999. 160 Seiten, 19,80 Mark.

Gisela Steineckert (Herausgeber): Mein Jugendweihebuch. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 1999. 48 Seiten, 24,80 Mark.

Die DDR hätte im kommenden Herbst ihren 50. Jahrestag begangen. Grund genug für die Ostalgiker im Verlagsgeschäft, das imaginäre Jubelfest auf ihre Weise zu feiern. Allen voran stolziert der Berliner Eulenspiegel-Verlag, der in der DDR seligen Andenkens für den staatlich lizenzierten Humor zuständig war. Nach der Devise "So viel DDR war nie" wartet er bereits im Frühjahrsprogramm mit einem ganzen Stapel von Beschönigungsbüchern auf, die den Vorgeschmack auf das eigentliche Jubiläum im Herbst wecken sollen.

Der populärste Karikaturist der DDR hieß Epper, mit bürgerlichem Namen Arthur Epperlein. Seine auf den ersten Blick unpolitischen Bildwitze erschienen in den siebziger und achtziger Jahren auch im westlichen "Feindesland", in der "Hörzu", der "Bunten" und der "Quick". Epper skizzierte die DDR als ein freies und freizügiges Land. Sein bevorzugtes Revier waren die FKK-Strände entlang der Ostseeküste, bei näherer Betrachtung eine krähwinklige Spießeridylle. Kein einziges Mal lacht der hochdekorierte "Humorzeichner" über sich selbst. Immer geht der Witz auf Kosten anderer, des bösen Kapitalisten, des frömmelnden Priesters oder der als Hausfrau zurückgebliebenen Frau, des "Dummchens".

Epper weckt mit jedem Bild alte Vorurteile. Die "Marktwirtschaft", der er sich nach der Wende zuwendet, ist von lauter Ganoven beherrscht und bestätigt alle Parteidoktrinen über den "menschenverachtenden Kapitalismus". Mit dieser Sicht steht der Karikaturist allerdings nicht allein. Sie gilt auch für einen so klugen und kritischen Kopf wie Ulrich Plenzdorf. Der Autor, der während der SED-Herrschaft seit Erscheinen seiner "Leiden des jungen W." im Jahre 1972 zu den konsequentesten Kritikern der Parteizensur und -diktatur zählte, versucht sich neuerdings als Satiriker. Unter dem vielversprechenden Titel "Eins und eins ist uneins" legt der Eulenspiegel-Verlag die Texte zweier Politrevuen vor, in denen es um den "Anschluß" der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik geht. In "Revolute Reform Revue" inszenieren Mitglieder der RAF, des "Rates arbeitsloser Frauen", die Entführung eines Arbeitsamtsleiters, um Jobs für alle zu erpressen. Der Entführte trägt den sprechenden Namen "Kohlrausch", er ist als feister Kapitalist gezeichnet, und entsprechend platt agitatorisch kommt die ganze Klamotte daher. Vor dreißig Jahren hätte sich Plenzdorf vermutlich voller Abscheu von einem derart agitpropperen Proletkultmonstrum abgewandt.

Der zweite Sketch ist zwar nicht ganz so plump, aber dafür trieft er von Sozialromantik. Plenzdorf variiert eine Geschichte von Günter de Bruyn. Eine alleinstehende Frau mit drei Kindern versucht nach der Wende, endlich an eine passable Wohnung zu kommen. Sie angelt sich in ihrer Not einen Bonner Beamten. Der macht ihr Zwillinge, und als Mutter von fünf Kindern hat sie endlich Anspruch auf eine Sozialwohnung. Auch dieses Kabarettstück ist voller Bitterkeit geschrieben und läßt fast schmerzhaft jene sensiblen Zwischentöne vermissen, die den Autor zu DDR-Zeiten mit Recht bekannt gemacht haben.

Auch Peter Ensikats Nach-Wende-Satiren sind von ähnlichen Ressentiments geprägt. Als Kabarettist und Stückeschreiber hat Ensikat zu DDR-Zeiten durchaus eine Lippe riskiert und hat sich wiederholt mit der Stasi und der Staatsmacht angelegt. Er ist freilich Sozialist geblieben, angetrieben - so Dieter Hildebrandt in seinem Vorwort - von dem "guten Glauben, daß aus der DDR einmal so etwas wie das Lösungsmodell für das Zusammenleben von Starken und Schwachen werden könnte". Seit dieses Modell gründlich gescheitert ist, scheint Ensikat die Fähigkeit, zu lachen und andere zum Lachen zu bringen, verloren zu haben. Seine seit 1989 verfaßten Satiren fügen sich zu einer fortlaufenden Chronik des Mißvergnügens zusammen. Gewiß, da finden sich ein paar treffliche Wessi-Witze nach dem Muster: "Kennen Sie den? Wenn ein Westler heute an einem Ostgrundstück vorbeikommt, kennt er nur noch eine Frage: Sein oder nicht sein?" Aber im übrigen geht es eher traurig zu. Für Ensikat ist die Wiedervereinigung nichts als eine "Realsatire". Das könnte man immerhin lustig oder komisch finden, wenn der Autor wenigstens ein Mindestmaß an satirischer Gerechtigkeit an den Tag legte. Doch mindestens neun von zehn Seitenhieben treffen die altbekannten Besserwessis, höchstens ein Kalauer geht an die eigene Adresse. Die "Beutedeutschen" treten durchweg als Opfer in Erscheinung, als geprellte und übervorteilte Gutmenschen. Den abgewählten Kanzler der Einheit in Ehren, aber als Hauptzielscheibe des kabarettistischen Spotts für volle zehn Jahre ist er schlicht überfordert. Die Kohl-Witze werden durch Wiederholung nicht amüsanter.

Zu DDR-Zeiten hatte Ensikat immer wieder Probleme mit der Zensur. Doch wäre die SED nach der Wende an der Macht geblieben, so hätten seine seither geschriebenen Satiren die Zensur vermutlich ohne Probleme passiert. Die Linie stimmt wieder: Es geht stramm gegen den Westen! Doch unter all den faden Gags und Wortspielen findet sich immerhin eine rühmliche Ausnahme: ein essayistisches Loblieb Ensikats auf seine brandenburgische Heimat, ohne Haß und Häme geschrieben, mit leiser Ironie und sanftem Lokalkolorit.

Ungleich vergnüglicher liest sich jedoch das Buch des Spaßmachers Rolf Becker "Nicht ohne meinen Trabi". Der Unterhaltungskünstler aus dem tiefsten Sachsen besitzt die unter Ostdeutschen nicht allzu weit verbreitete Gabe, über sich selbst lachen und die eigenen Illusionen etwa aus der frühen Honecker-Ära lakonisch und zugleich selbstkritisch glossieren zu können. Er trauert der DDR nicht nach. Im Gegenteil: Der Fall der Mauer öffnet dem Kleinkünstler buchstäblich das Tor zur großen weiten Welt. Drehorgel-Rolf, dem als Spielmann in der DDR höchstens eine bescheidene Hofnarrenrolle zugedacht war, nutzt die Gunst der Stunde und entschließt sich, als alle vor Begeisterung "Wahnsinn!" schreien, mit seinem Trabi den Globus zu erkunden und zu umrunden. Mit dem drolligen Schnaufomobil aus Zwickau reist er quer über den amerikanischen Kontinent und nimmt danach an der New Yorker Steuben-Parade und an der Olympiade in Atlanta teil. Als "Globetrottel" fährt er seither mit Trabi und Drehorgel von Dakar bis Hongkong, von Indien bis Brasilien, um für ostdeutsche Produkte wie Keks, Knäckebrot und Baumkuchen zu werben. Wo er hinkommt, erntet er Staunen über sein volkseigenes Automobil, über das kuriose Phänomen namens DDR und über die smarten Produkte aus der ostdeutschen Provinz. Der Trabi, so der neusächsische Eulenspiegel, war wie die ganze DDR: "Eine einzige Improvisation, aber irgendwie zusammengehalten hat er trotzdem, immerhin fast vierzig Jahre." Inzwischen, so weiß er zu erzählen, gilt der Trabi auf der ganzen Welt als Oldtimer und ist in Automuseen fast so begehrt wie andernorts Bruchstücke der Berliner Mauer.

Ganz und gar nicht witzig ist dagegen ein anderer Titel aus dem Ostalgieprogramm des Eulenspiegel-Verlages, das von der treusozialistischen Lyrikerin Gisela Steineckert herausgegebene "Jugendweihebuch". Das vierfarbige Buch konserviert stilecht die pseudoreligiöse Feierlichkeit des realsozialistischen Initiationsritus, mit dem die SED versucht hat, den Kirchen das Weihwasser abzugraben, und verliert dabei kein Wort über die traurige Vergangenheit des "bewährten Volksbrauchs". In den Jahren nach dem Mauerbau diente die Jugendweihe als wichtigstes Instrument zur atheistischen Umerziehung der Heranwachsenden und zur Ausgrenzung der Christen aus dem politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Gisela Steineckert scheint von alldem nichts zu wissen und preist die von grober Parteipropaganda gesäuberte Jugendweihe statt dessen als pädagogisch wertvollen Ansatz, um die Jugendlichen "wieder" zur Toleranz und zum Humanismus zu erziehen. Das Weihebuch schmückt sich mit Gedichten von Kästner und Ringelnatz, von Georg Maurer und von Jewtuschenko, von Mascha Kaleko und vor allem von Gisela Steineckert, aber es bleibt ein Ärgernis, weil es zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus behauptet, die kommunistischen "Sieger der Geschichte" hätten die Nichtexistenz Gottes für alle Ewigkeit bewiesen. Schamgefühl scheint die Autorin nicht zu kennen, eben darum mag ihr kleiner Katechismus des Atheismus auch gut im Programm eines neosozialistischen Satireverlages aufgehoben sein.

PETER SCHÜTT

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