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Die Organisations- und Sozialgeschichte der Waffen-SS, die es bisher nicht gab.Waren die Soldaten der Waffen-SS der »neue Typ weltanschaulich gefestigter Kämpfer«, wie Himmler ihn forderte, die Elitetruppe des Nationalsozialismus also? Oder waren sie nur »Soldaten wie andere auch«, wie ein zählebiger Mythos verkündet? Diese Fragen werden jetzt beantwortet, durch einen systematischen Vergleich des Sozialprofils und der Lebenswirklichkeiten der Waffen-SS mit dem Heer.Der Autor hat über 2.500 Personalakten von Mannschaftssoldaten und Unterführern der Waffen-SS mit über 9.900 des Heeres…mehr

Produktbeschreibung
Die Organisations- und Sozialgeschichte der Waffen-SS, die es bisher nicht gab.Waren die Soldaten der Waffen-SS der »neue Typ weltanschaulich gefestigter Kämpfer«, wie Himmler ihn forderte, die Elitetruppe des Nationalsozialismus also? Oder waren sie nur »Soldaten wie andere auch«, wie ein zählebiger Mythos verkündet? Diese Fragen werden jetzt beantwortet, durch einen systematischen Vergleich des Sozialprofils und der Lebenswirklichkeiten der Waffen-SS mit dem Heer.Der Autor hat über 2.500 Personalakten von Mannschaftssoldaten und Unterführern der Waffen-SS mit über 9.900 des Heeres verglichen. Diese einzigartige Quellenbasis verleiht seinen Ergebnissen, die er in die Entwicklungsgeschichte der Waffen-SS und ihres Ergänzungswesens einbettet, besonderes Gewicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2011

Was hat sich der Doktorvater gedacht?
Bestürzend Naives über Heinrich Himmlers Waffen-SS: Blutgruppen, Body-Mass-Index, Schuhgröße

Die Waffen-SS hatte noch nie unter einem mangelnden Interesse der Öffentlichkeit zu leiden. Das galt auch für die Zeit nach 1945. Sie blieb präsent in der Publizistik, im Film, in der Memoirenliteratur und zuweilen auch auf den Anklagebänken der Gerichtssäle. Dabei schwankte ihr Bild zwischen Apologie und Anklage. Wie kaum an einer anderen Organisation des "Dritten Reichs" scheiden sich an ihr die Geister. Das liegt schon allein daran, dass die Waffen-SS eine relativ große Streitmacht war; bis Kriegsende dienten hier bis zu einer Million Soldaten. Vor allem aber war sie eine radikale und dennoch heterogene Organisation - heterogen in organisatorischer, sozialer und mentaler Hinsicht. Entsprechend vielfältig verlief ihre Geschichte und auch entsprechend extrem. Denn die Waffen-SS verstand sich als Elite, als militärische wie als nationalsozialistische Elite. Das prädestiniert sie wiederum zum Mythos, der je nach politischem Standort eher negativ oder eher positiv konnotiert ist.

Kein Wunder, dass eine nüchterne, wissenschaftliche Annäherung an den "militärischen Arm" der SS ihre Zeit brauchte. Nach den frühen Darstellungen von George H. Stein (1967) und Charles W. Sydnor (1977) gelang Bernd Wegner 1982 mit seinem bahnbrechenden Werk über die Organisation, Mentalität und Sozialisation von "Hitlers Politischen Soldaten" der Durchbruch. Wann erreicht eine Doktorarbeit schon eine 9. Auflage? Allerdings ist Wegners Werk mehr Analyse denn Gesamtdarstellung. Eine umfassende Schilderung der komplexen Geschichte der Waffen-SS, die auch all ihre NS- und Kriegsverbrechen mit einschließen würde, ist noch immer ein Desiderat - ungeachtet der großen Studie von Jean-Luc Leleu (2007), der Arbeit von Peter Lieb über die Westfront 1944 (2007) und der wachsenden Zahl an Divisionsgeschichten, die mehr sind als nur nostalgisch verklärter Rückblick.

Schon deshalb fällt ein Gesamturteil über die Waffen-SS nach wie vor schwer. Das wird spätestens dann deutlich, wenn die Sache konkret wird, wenn etwa die Frage auftaucht, was die eigene Verwandtschaft oder jemand wie Günter Grass in einer Truppe getan hat, die immerhin dem Reichsführer-SS Himmler unterstand. Was waren das eigentlich für Menschen? Und: Ist es nachträglich noch möglich, sie wieder aus ihrer feldgrauen Anonymität und Konformität herauszupräparieren? René Rohrkamp möchte dies mit Hilfe von Datenbanken tun, die wiederum auf über 2500 Wehrstammbüchern basieren. Tatsächlich liefern sie rudimentäre biographische Angaben: Alter etwa, regionale und soziale Herkunft, NS-Sozialisation, Rekrutierung und nicht zuletzt den militärischen Werdegang des einzelnen Soldaten. Aufschlussreich ist etwa der Umstand, dass in dieser Stichprobe über 75 Prozent aller Waffen-SS-Angehörigen noch Mitglied einer anderen NS-Organisation waren, beim Heer hingegen nur etwa 34 Prozent. Auch körperlich scheinen Himmlers Männer in einer besseren Verfassung gewesen zu sein, und sie wurden seltener von der Militärjustiz diszipliniert als ihre "Kameraden" beim Heer.

Doch machen die endlosen Tabellen und Statistiken noch etwas deutlich: dass der Aussagekraft dieser Art von Quellen sehr enge Grenzen gesteckt sind. Ein wirkliches Profil können diese Soldaten so kaum gewinnen. Das hält den Verfasser aber nicht davon ab, alle nur denkbaren Angaben aus seiner Datenbank förmlich herauszupressen - vom Body-Mass-Index über die Schuhgröße bis hin zu der nun wahrlich elementaren Frage, wie viel Zeit von einer Meldung bis zum Dienstantritt vergehen konnte. Dabei sind die Ergebnisse zuweilen von einer geradezu bestürzenden Simplizität, etwa wenn der Autor den "Mythos des ,besseren Blutes', der die Waffen-SS bis heute umgibt, durch die Auswertung der Blutgruppenverteilung endgültig entschleiern" will. Sein Ergebnis, diese Verteilung habe dem gesellschaftlichen Durchschnitt entsprochen, übersieht völlig, dass die NS-Rassentheorie ihren Anspruch der angeblichen "Überlegenheit" ja wohl kaum aus der Blutgruppe ableitete, sondern den Begriff des "Blutes" als Metapher für eine vermeintliche genetische Disposition ge- oder besser: missbrauchte.

Nimmt man dann alles zusammen, so bleiben die Ergebnisse mehr als dünn - auch weil der Autor sie verständlicherweise meist nicht mit ergänzenden persönlichen und amtlichen Quellen verknüpfen kann. Noch gravierender ist freilich, dass dieser Ansatz keine Unterscheidung nach Divisionen ermöglicht. Nichts aber war für die Geschichte der Waffen-SS von größerer Bedeutung. Wie begrenzt das Potential dieser personenbezogenen Quellen ist, ging dem Verfasser dann offensichtlich selbst auf. Denn dem sozial-statistischen Teil von etwa 100 Seiten folgt ziemlich unvermittelt ein allgemeiner Teil von 350 Seiten, der sich in erster Linie mit dem Aufbau der Waffen-SS, ihrer Personalpolitik und insbesondere mit dem SS-Führungshauptamt beschäftigt, ohne dass so recht klar würde, welche Schlussfolgerungen sich daraus für die eigentliche Fragestellung, also die Sozialstruktur und Mentalität der Waffen-SS, ergeben.

Dass sich diese Darstellung dann auch noch in einem geradezu schauerlichen Deutsch präsentiert, ist viel mehr als nur ein Schönheitsfehler. Was soll beispielsweise ein Satz wie: "Es waren diese Prozesse der Jahre 1933 bis 1938, die die Voraussetzungen für den Vernichtungskrieg in der deutschen Verwaltung etablierten, weshalb sich die Blicke der Forschung folgerichtig vor allem auf die Vernichtung der europäischen Juden und in diesem Zusammenhang hin und wieder auch auf die Mikroebene der beteiligten militärischen Formationen und damit auf die Täter richteten." Oder welche Aussagekraft hat der folgende Passus: "Das Verwaltungshandeln schlug sich in Eintragungen in den Wehrstammbüchern nieder - ihre Analyse macht letztlich die realen Auswirkungen des Organisationshandelns sichtbar." Oder: "Da das nun schon mehr als sieben Jahrzehnte alte Marketing der SS sich auch in der Postmoderne perpetuiert hat, führen die aufgerissenen Problemfelder die Waffen-SS auf das zurück, was sie eigentlich war: Eine militärische Organisation, die permanent vor der Herausforderung stand, ihre Einsatzfähigkeit aufrechtzuerhalten, um ihre Existenz rechtfertigen zu können: die Erreichung der Organisationsziele." So geht das dann dahin, um am Ende in der Erkenntnis zu münden: "Vom Mythos Waffen-SS bleibt in Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse wenig mehr als die wahnwitzige Idee des sogenannten Blutordens - nicht mehr als eine Halluzination." Was haben sich eigentlich Doktorvater und Verlag gedacht, als sie dieses Manuskript zur Drucklegung empfahlen? Einen Gefallen haben sie dem Autor damit jedenfalls nicht getan.

CHRISTIAN HARTMANN

René Rohrkamp: "Weltanschaulich gefestigte Kämpfer": Die Soldaten der Waffen-SS 1933-1945. Organisation - Personal - Sozialstrukturen. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 656 S., 58,- [Euro].

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