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Weiße Elefanten, so werden in der Sprache der Entwicklungshilfe gescheiterte technische Großprojekte und Investitionsruinen genannt, die - wie im alten Siam durch das Schenken der äußerst seltenen Albino-Exemplare - den "Beschenkten" mit aufwendigen Unterhaltskosten ruinieren. Eine Darstellung der meist gescheiterten Projekte zeigt, daß kein politisches System des 20. Jahrhunderts dagegen gefeit war, dem Technikwahn zu erliegen. Übrig blieb eine breite Umgestaltung von Natur und Lebenswelt, deren postive wie negative Folgen für Mensch und Umwelt sich mit kaum einer zweiten Entwicklung der jüngsten Zeit vergleichen lassen.…mehr

Produktbeschreibung
Weiße Elefanten, so werden in der Sprache der Entwicklungshilfe gescheiterte technische Großprojekte und Investitionsruinen genannt, die - wie im alten Siam durch das Schenken der äußerst seltenen Albino-Exemplare - den "Beschenkten" mit aufwendigen Unterhaltskosten ruinieren. Eine Darstellung der meist gescheiterten Projekte zeigt, daß kein politisches System des 20. Jahrhunderts dagegen gefeit war, dem Technikwahn zu erliegen. Übrig blieb eine breite Umgestaltung von Natur und Lebenswelt, deren postive wie negative Folgen für Mensch und Umwelt sich mit kaum einer zweiten Entwicklung der jüngsten Zeit vergleichen lassen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.1999

Brave Brückenbauer
Die Tücken der Technik: Dirk van Laak hat Maß genommen

"Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! Und nahmen Ziegel zu Stein und Erzharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder."

Man kann wohl davon ausgehen, dass sich die Ereignisse im Lande Sinear etwas anders abgespielt haben, als es der Berichterstatter geschildert hat. Die Idee zum Turmbau kam natürlich nicht aus dem Volk. Es sind immer Mitglieder der herrschenden Kasten, Politiker, Priester und Großunternehmer, die den Befehl zu solchen Projekten geben, Leute, die sich mit Sicherheit nicht ihre lilienweißen Hände mit Erzharz beschmutzen müssen; Leute, die das, was sie an zusätzlichen Steuern zahlen werden, anderswo doppelt und dreifach wieder hereinholen können. Ehe der erste Ziegel gebrannt wurde, waren die guten Werbeflächen längst an die Weihrauchindustrie verpachtet und alle Beraterverträge unter Dach und Fach. Willfährige Baumeister, die dann versuchen, die Pläne umzusetzen, findet man natürlich immer. Der Ingenieur ist bekanntlich davon überzeugt, dass ihm nichts zu schwer ist.

Verputzte Luxusgeschöpfe

In seinem Buch "Weiße Elefanten" beschäftigt sich Dirk van Laak mit Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im zwanzigsten Jahrhundert. Weiße Elefanten sind seltene Albinos, die früher vor allem in mittel- und ostasiatischen Ländern sehr verehrt wurden. Sie waren dort das ultimative Statussymbol. Wegen der enormen Kosten, die so ein Luxusgeschöpf verursachte, wurde es manchmal auch als Danaergeschenk missbraucht: Ein in Ungnade gefallener Höfling war ruiniert, wenn er so ein Tier übereignet bekam. Im Englischen bezeichnet white elephant deshalb einen lästigen Besitz, der hauptsächlich Kosten verursacht, und in diesem Sinne verwendet auch van Laak diesen Begriff.

Van Laak ist Historiker an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er berichtet über sein Thema sachlich und distanziert. Ein Myrmekologe baut keine Ameisenhaufen, und ein Geschichtswissenschaftler muss den Bau eines Tunnels unter der Meerenge von Gibraltar nicht unbedingt für erforderlich halten. Er kündet nur von solcherlei Fantastereien. Sein Wissen über einen derart umfangreichen Stoff muss notwendig Fragment bleiben, und es spricht für seine Ehrlichkeit, wenn er sich nicht darüber hinwegmogelt und für die Veröffentlichung die Form des Essays wählt.

Das Buch beginnt mit einer Bestandsaufnahme der Situation am Anfang unseres Jahrhunderts. Die "Ära der Energie" war angebrochen. Man hatte gelernt, den Energieträger Holz, der immer nur in beschränkten Mengen zur Verfügung gestanden hatte, durch Kohle zu ersetzen. Davon gab es genug für geschätzte zweihundertfünfzig Jahre. Das war noch kein paradiesischer Zustand, aber man musste sich mittelfristig erst einmal keine Sorgen machen. Naturwissenschaft und Technik wurden vom Staat nachdrücklich gefördert.

Der Ingenieur wurde zu einer Leitfigur. Wissen ist Macht, und wer dicke Bücher über Bau, Steine und Erden studiert hat, erwartet dafür seinen gerechten Lohn. Im Januar 1900 erhielten die Ingenieurwissenschaften endlich das Recht auf die Doktorpromotion. Großprojekte hatte es natürlich schon vorher gegeben, aber man konnte die Weltwunder noch an den Fingern zweier Hände abzählen. Van Laak beschreibt, was alles hatte zusammen kommen müssen, damit man endlich in die Vollen gehen konnte: Energie, Ingenieure und Herrschaftsstrukturen.

Der weitaus größte Teil des Buchs, Kapitel III, genannt "Aufmarsch der Weißen Elefanten", ist ein imaginäres Museum. Und um ehrlich zu sein, handelt es sich eher um ein altmodisches Museum aus der Zeit, als Museen noch nicht zum Showbusiness gehörten. Man muss Geduld aufbringen. Oft hat man ein Gefühl von déjà vu. Das zehnte Remake des Babylonischen Turms ist einfach nicht mehr so aufregend wie das Original, auch wenn die Spezialeffekte von Industrial Light and Magic stammen.

Verstopfte Kanäle

Der Autor führt uns ein Thema nach dem andern vor. Dabei beschränkt er sich keineswegs auf das zwanzigste Jahrhundert des Untertitels. Nehmen wir als Beispiel die Kanäle. Die Hauptexponate sind der Suezkanal, der Panamakanal und der Nord-Ostsee-Kanal. Abgesehen vom Panamakanal, stammen sie aus dem neunzehnten Jahrhundert - mit teilweise viel älteren Vorläufern - und sind gar keine typischen weißen Elefanten. Das sind eher die gescheiterten Projekte: der Kanal von Bordeaux nach Marseille und der quer durch Nicaragua. Tatsächlich gebaut wurde der Rhein-Main-Donau-Kanal, der sechs Milliarden teure Beweis, dass bayerische Politiker unfehlbar sind.

Gleich bei den Kanälen finden wir zum Beispiel die transkontinentalen Eisenbahnen und die Brücken. Ein tot geborener weißer Elefant war die Tacoma Narrows Bridge, genannt "Gallopping Gertie", die kurz nach ihrer Eröffnung im Jahr 1940 einstürzte, weil sie vom Wind in Schwingungen versetzt wurde, die sich aufschaukelten. Es gibt einen eindrucksvollen Film von Gerties letzter Stunde, den man der akademischen Jugend in den einschlägigen Vorlesungen vorführen kann. So jagt eine Aufregung die andere. Dabei wird wenig theoretisiert. Man nimmt die Fakten zur Kenntnis und macht sich vielleicht seine eigenen Gedanken darüber. Und irgendwann wird die Quantität wichtiger als die Qualität. Wir regelmäßigen Zeitungsleser bilden uns ein, dass wir einen groben Überblick über die Geschichte unseres Jahrhunderts haben. Zumindest auf dem Gebiet, um das es in dem Buch geht, ist das nicht der Fall. Offenbar sind viele Großprojekte, wenn sie erst einmal gescheitert sind, dem kollektiven Bewusstsein so peinlich, dass sie stante pede verdrängt werden.

Wer kennt noch Herman Sörgel (1885 bis 1952), der das Mittelmehr trocken legen wollte? Er steht nicht mehr im Meyer und auch im Goldmann nicht. Wer erinnert sich noch an den "Großen stalinschen Plan zur Umgestaltung der Natur"? Es war geplant, die Fließrichtung der Flüsse Irtysch, Ob und Jenissei zu ändern. 250 000 Quadratkilometer Sibirien sollten überflutet werden, tausende von Kilometern neuer Kanäle waren dafür vorgesehen. Das so bewässerte Land hätte zweihundert Millionen Menschen ernähren können. Noch 1984 hat Parteichef Tschernenko daran festgehalten. Wer weiß noch, dass Adolf Hitler und Albert Speer die Transmutation von Berlin in eine Zehnmillionenstadt namens Germania planten, deren Granitpaläste zehntausend Jahre unverändert überstehen sollten? (Kurz vor Baubeginn ist ihnen dann leider etwas dazwischen gekommen.)

Mauern werden gebaut, in China, Berlin und anderswo, die die Barbaren kurzzeitig fernhalten. Mit Dämmen wird Wasser gestaut, um Strom zu gewinnen oder Land zu bewässern, was manchmal in mehr Schaden als Nutzen resultiert. Reissbrettstädte werden aus dem Boden gestampft. Ein afrikanischer Potentat lässt die zweitgrößte Kathedrale der Welt nahe seinem Heimatdorf errichten und wird zum dreizehnten Apostel stilisiert. Buckminister Fuller will ein Dach über Manhattan bauen, und Christo zieht dem Reichstag ein Nyltesthemd an. Man merkt, dass van Laak sein Buch dringend schreiben musste, weil der Zettelkasten schier überquoll.

Erst im vierten Kapitel "Anatomie der Weißen Elefanten" beginnt der Verfasser endlich, das Wesen der technischen Großprojekte und ihrer Erbauer zu analysieren. Er beschreibt, wie sie durch ihre schiere Größe eine Eigendynamik entwickeln, die verhindert, dass sinnvolle Kritik etwas bewirkt. Die meisten von ihnen enden bereits im Planungsstadium. Von denen, die verwirklicht werden, ist nur jedes dritte profitabel. Die Concorde wird nie schwarze Zahlen schreiben. Der Kanaltunnel frisst Zinsen, aber er könnte sich langfristig noch amortisieren. Euro-Disney ist mittlerweile ganz gut im Geschäft.

Autokraten am Reißbrett

Wesentlich für das Verständnis der weißen Elefanten ist das Image der Ingenieure. Der Ingenieur ist kein Machtmensch, sondern ein Tatmensch, der ständig mit der Tücke des Objekts kämpfen muss. Deshalb lenken nicht Ideen, sondern die harten Naturgesetze seine Geschicke. "Bei vielen Angehörigen technischer Funktionseliten muss wohl eine gewisse strukturelle Distanz zur Demokratie konstatiert werden." Darin liegt vielleicht das Hauptproblem: Der Ingenieur hat seine eigenen Maßstäbe und kann deshalb die für ihn irrationale Reaktion der Öffentlichkeit auf seine tollen Pläne nicht im ausreichenden Maße vorhersehen.

Auch andere Autoren haben plausible Deutungen gefunden. Der Franzose Bruno Latour hat das Pariser Nahverkehrsprojekt "Aramis" untersucht. Dieses ließ sich nicht verwirklichen, weil es zu fortschrittlich war. "Dont't innovate in every respect at once!", ist sein Fazit. Der deutsche Wissenschaftshistoriker Otto Keck vertritt die Theorie, dass viele weiße Elefanten wie der schnelle Brüter deshalb so spät scheitern, weil der Staat die Entwicklungskosten zahlt und es somit keinen Anreiz gibt, rechtzeitig Schluss zu machen. Der amerikanische Politologe Elliot J. Feldman hat festgestellt, dass Behörden oft überfordert sind und dass die Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft nicht funktioniert.

Dirk van Laak hat kein Patentrezept für die Zukunft. Er rät dazu, die Muße und die Kraft aufzubringen, "die das langwierige Abgleichen von Ansprüchen und Einwänden in offenen und pluralistischen Gesellschaften erfordert - und dies nicht nur in technischen Fragen". Er liefert uns auch kein moralisches Gerüst, in das wir die Tatsachen einbauen können. Ob wir den Transrapid für gut oder schlecht halten, müssen wir bitte schön selbst entscheiden. Nicht alle beschriebenen Großprojekte sind offensichtlich gescheitert. Die Trockenlegung der Zuider-See und des Ijsselmeers hat den Holländern viel Platz für ihre Gewächshäuser und Wohnwagen verschafft. Man weiß so wenig: Eine Antwort findet man nicht am Ende des Buches. "Die Bilanz der Großprojekte und des Geschichtsbildes vom technischen Schöpfertum des Menschen wirft vornehmlich Fragen auf." Vielleicht ist es ja auch gar nicht so schlimm, in alle Länder verstreut zu werden.

ERNST HORST

Dirk van Laak: "Weiße Elefanten". Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im zwanzigsten Jahrhundert. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 304 S., geb., 39,80 DM.

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