Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 4,45 €
  • Gebundenes Buch

Der Musik- und Literaturwissenschaftler Joachim Kaiser zählt zu den bedeutenden Publizisten unserer Zeit. "Was mir wichtig ist" versammelt Aufsätze und Reden Kaisers zu Literatur, Musik, Theater, Würdigungen älterer und jüngerer Autoren, Dichter-, Musiker- und Schauspielerporträts.

Produktbeschreibung
Der Musik- und Literaturwissenschaftler Joachim Kaiser zählt zu den bedeutenden Publizisten unserer Zeit. "Was mir wichtig ist" versammelt Aufsätze und Reden Kaisers zu Literatur, Musik, Theater, Würdigungen älterer und jüngerer Autoren, Dichter-, Musiker- und Schauspielerporträts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.1997

Die Freude am Ich
Und was Joachim Kaiser sonst noch wichtig ist

"Was mir wichtig ist" - mit solch persönlichem Titel versieht der Kritiker Joachim Kaiser eine Auswahl seiner Arbeiten aus den letzten zwanzig Jahren. Kaiser schickt die Leser auf eine Besichtigungstour seiner "wichtigen" Arbeitsergebnisse, und er tut dies mit dem deutlichen Hinweis, der Leser dürfe sich nicht wundern, "über das Pathos, mit dem hier Anspruch wie Wahrheit großer Kunst verteidigt werden". Der "leicht lesbare Parlando-Tonfall" hingegen möge nicht zu der Annahme verführen, es sei dem Kritiker mit dem, was ihm wichtig ist, "nur lässig, läßlich ernst".

Kaiser, seit 37 Jahren Kritiker der "Süddeutschen Zeitung", beginnt mit "Boshaften Miniaturen" über deutschen Humor und deutsche Phrasen. Die Aufsätze über Thomas Manns und Jean Cocteaus Tagebücher charakterisieren den Kritiker als einfühlsamen Erzähler, jene über die Lyrik Sarah Kirschs und die Prosa Ingeborg Bachmanns ("So schrieb, lebte und litt sie dahin") als ebensolchen Elegiker. Daß Kaiser kein Theoretiker ist, belegt ein Vortrag zu theatralischer Werktreue am Beispiel Shakespeares. Der Erzähler und Elegiker Kaiser ist in den meisten Aufsätzen dieses Bandes am Werk: in jenen über Valéry und die Tagebücher seiner Geliebten Catherine Pozzi ebenso wie in denen über den Briefschreiber Hemingway, über ein Liliencron-Gedicht, Ibsens "Hedda Gabler", Joseph Conrads Roman "Der Geheimagent", Fontanes ersten Roman "Vor dem Sturm" und Hölderlins "Hyperion" - fast ausnahmslos Vor- oder Nachworte oder Artikel aus der "Süddeutschen Zeitung". - Und noch einige Lobreden: auf Günter Grass und Eugen Roth, Martin Walser und Heinz Rühmann, Einfühlsames über Furtwänglers Dirigierkunst und Beethovens Schreibkunst; die Sammlung beschließen ein paar jener "kulturkritischen und allgemeinen" Texte, die beim beruflichen "Tun" eines Publizisten nun einmal entstehen.

Der Leser nimmt vieles mit Zustimmung zur Kenntnis, auch lesen sich Kaisers Aufsätze tatsächlich so leicht, wie er es gern hat. Sie bieten weder zähe Theoriearbeit noch schwerfällige Philologie, aber auch keine Entdeckungen, sondern solides Feuilleton, intelligent gemacht, auch wenn man sich manchmal fragt, wie gewisse Schlußfolgerungen entstanden sein mögen - aber der Essayist darf ja auf dünnstem Eise laufen, so er nur schön läuft.

Eine Antwort darauf gibt jene Rede, mit der sich Joachim Kaiser 1993 für den Ludwig-Börne-Preis bedankte. Damals wollte er "etwas Doppeltes" versuchen, "einige charakteristische Stärken und Züge des Schriftstellers Ludwig Börne hervorheben, . . . aber auf Grund meiner eigenen Erfahrungen als Publizist auch zu bedenken geben, welche Risiken sich mit gewissen journalistischen Verfahrensweisen verbinden". Das verheißt einen zentralen Text.

Eine frühe Kritik Börnes (1820) an einem frühen Grillparzer-Stück ("Sappho") schloß "mit dem prophetischen Bekenntnis": "Grillparzer ist ein Dichter." Dies belegt für Kaiser Börnes "funkelnde Evidenz seiner wachen Subjektivität", und er folgert: "Börne fixiert mit jähem intellektuellem Zugriff Wahrheiten, die der Leser sogleich als vollkommen zutreffende Einsichten akzeptiert." Wie aber gewann Börne "solche und tausend gleichermaßen erleuchtete, erhellende Einfälle"? Die Antwort: "Nun - er wagte es, sein Ich einzubringen. Er äußerte sich mit Sorgfalt, Passion, Engagement. ,Was ich geschrieben', gestand er, ,wurde mir von meinem Herzen vorgesagt, ich mußte . . . Man würde lachen, wenn man wüßte, wie bewegt ich bin, wenn ich die Feder bewege'. Tolle Sätze . . ."

Also: Börne sagt "Ich", schreibt aber "nie egoman, sondern immer dialogisch. Kaisers Fazit: "Der zusammensaugende Blick eines Ich, welches sich ernst nimmt, aber nicht absolut setzt, das ist die Voraussetzung publizistischer Qualität." Und Kaiser bekennt, daß ihn nichts weniger treffe als der Vorwurf der Subjektivität. "Falsch, konfus, unnachvollziehbar, verblasen, dumm, ungenau, verlogen, feige; das würde mich natürlich treffen. Aber zu subjektiv?" Niemals. Denn der "geborene Publizist" getraue sich, "ich" zu sagen.

Wie aber gelangt dieses Ich zur Erkenntnis? "Wenn einem da das Wunder widerfährt, daß einem an der Sache, am Problem, am Kunstwerk etwas ganz persönlich aufgeht, was man mit jäher Evidenz als innere Wahrheit erfährt, dann ist das eine Sternstunde, ein Hochgefühl!" Und wie geht das "Ich" nun um mit einem solchen Geschenk der Eingebung? Auf empathische Weise injiziert Kaiser des Novalis lyrische Erkenntnis: "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen, / Wenn die, so singen oder küssen, / Mehr als die Tiefgelehrten wissen . . ." seinem Text: "Beim publizistischen Tun, beim feuilletonistischen Agieren und Reagieren handelt es sich nicht nur um Dinge, die man mit Taktzahlen oder Zitaten belegen kann. Sondern um etwas kaum Definierbares, jedoch Entscheidendes: um den Ton des Autors. Um die Melodie seiner Gedankenführung, die Aura seines Stils." Und er ruft aus: "Wehe dem Schriftsteller, der seinen eigenen Ton nicht findet. Also das, was ihn charakterisiert, was ihn parodierbar macht, woran man ihn erkennt." Nur gebe es eine Gefahr: Der Betreffende dürfe nicht zum "Gefangenen seines Tons" werden.

Und noch eine andere Gefahr droht: "publizistische Meisterschaft . . . suggeriert urteilssichere Souveränität". Oft wirke das Geschriebene "viel sicherer, ja entschiedener, als man es selbst war . . . Der Text, den man sich abzwingt, wenn man sein Handwerk einigermaßen beherrscht, scheint alle diese Unsicherheiten verschwinden zu lassen. Das alles ist dann irgendwie wegargumentiert, in Bereicherung verwandelt, in elegante Nebensätze abgeschoben." Und daraus folge die Gefährdung: das Umschlagen von publizistischem Selbstbewußtsein in Selbstgefälligkeit, die sich vor allem in der Polemik offenbare. An ihr aber sei ihm der Spaß vergangen. Denn war nicht schon Lessing gegenüber seinem "schwerfälligen Gegner Goeze" "beleidigend, ja unfair"? Und formulierte nicht Börne in seinem "Affekt gegen den elegant verhuschten poetischen Träumer Heinrich Heine" manches, "was sanft-tödlich und mehr noch, was unsanft-mörderisch wirkt"? Kaisers Kommentar: "eine unvermeidliche, notwendige Auseinandersetzung . . . zwischen zwei jeweils idealtypischen politischen Haltungen", die "manchmal weit unter ihr humanes Niveau" gingen.

Aber als publizistische "Selbstgefälligkeit" analysiert Kaiser diese historischen Polemiken nicht. Vielmehr huscht er elegant durch seine vorletzte Kehre, fragt, ob solches Verhalten "nicht womöglich einer fast tragischen Konsequenz kritisch-publizistischer Eigenständigkeit" entspringe, und erkennt: "Karl Kraus, Alfred Kerr und so manche anderen großen Kritiker - ihr Beispiel lehrt: Man hat und behält unter den Künstlern, unter Betroffenen, nicht allzu viele Freunde, wenn man Kritiken schreibt." Doch solche Erkenntnis führte schon Börne nicht weg von seinem Impuls: "Falls er etwas zu kritisieren fand, ging er eher seinem Genius nach als dem verständlichen Wunsch, geliebt zu werden . . ."

Und Joachim Kaiser? Er bekennt seine publizistische Passion in den beiden letzten Sätzen dieser Dankesrede: "Man muß die Menschen neugierig machen, ihnen ein Gefühl vermitteln, sie wollten etwas wissen. Ich zumindest tue nichts lieber, als darzustellen, was Ehrfurcht verdient, was gediegenen Spaß macht und was, im Bereich des Geistes, der Literatur, der Musik, uns armen Erdenbürgern zu helfen vermag, mit der Last des Daseins etwas besser zurechtzukommen." Kritik als Lebenshilfe.

Und der Leser? Gewiß zieht auch er solchen Gewinn aus Kaisers Arbeiten. Denn die meisten vermitteln tatsächlich den Eindruck, als seien sie der hier entwickelten publizistischen Poetik nachgeschrieben: seinem Genius zu folgen und zugleich geliebt zu werden, vielleicht sogar von den längst verstorbenen Helden seiner einfühlsamen Beschreibungskunst. HEINZ LUDWIG ARNOLD

Joachim Kaiser: "Was mir wichtig ist". Porträts und Probleme. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1996. 329 S., geb., 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr