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Paris im Jahr 1946. In der Damenschneiderei von Monsieur Albert sind alle froh, daß endlich Frieden ist. Man kann wieder in Ruhe arbeiten, ja, man kann sogar lachen. Am besten, man fragt einfach: 'Was gibt's Neues vom Krieg?', und es kommen die merkwürdigsten Dinge... Einer nach dem anderen füllt dieses Buch mit der Geschicht eines geretteten Lebens. Man ist glücklich, das eigene Leben gerettet zu haben, benommen von der Katastrophe, deren Ausmaß man nur erahnt, und man beginnt tastend sich zu erinnern...

Produktbeschreibung
Paris im Jahr 1946. In der Damenschneiderei von Monsieur Albert sind alle froh, daß endlich Frieden ist. Man kann wieder in Ruhe arbeiten, ja, man kann sogar lachen. Am besten, man fragt einfach: 'Was gibt's Neues vom Krieg?', und es kommen die merkwürdigsten Dinge... Einer nach dem anderen füllt dieses Buch mit der Geschicht eines geretteten Lebens. Man ist glücklich, das eigene Leben gerettet zu haben, benommen von der Katastrophe, deren Ausmaß man nur erahnt, und man beginnt tastend sich zu erinnern...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.1996

Der Krieg der anderen
Robert Bober erzählt aus einem jüdischen Schneideratelier

Auf dem Umschlagbild sieht man zwei Kinder Reißaus nehmen. Die Kinder lachen, sie sind wohlgekleidet und wohlgenährt, es sind fröhliche Ausreißer. Auch der Titel hat im Zusammenhang des Zitats, dem er entnommen ist, einen fröhlichen Klang. In dem Musical "Anatevka" wird die Frage gestellt: "Wollen wir nicht lieber von etwas Lustigerem reden: Was gibt's Neues vom Krieg?"

Das Buch, das ironisch diesen Titel aufgreift, beginnt nach dem Ende des Krieges und des Holocausts. Während der Zweite Weltkrieg in seinen Ausmaßen und seinen Schrecken die Literatur endgültig hinter sich gelassen hat, haben die Überlebenden des Holocausts liebevoll neu ausgemalt, was die Täter ausradieren wollten: die jüdischen Milieus. Oft schreiben sie weniger aus dem verständlichen Impuls, das ihnen Angetane vor die Weltöffentlichkeit zu bringen, als aus dem Bedürfnis, gegen den industriell betriebenen Tod das glücklich-gemütliche Leben zu stellen, die Idylle, die vorher herrschte, und die Idylle, die sie später wieder einzurichten suchten, in einer Erzähltradition, deren großer Meister Isaac Bashevis Singer ist.

Die Figuren des Buches von Robert Bober sind entronnen und haben in Paris ihre Existenz und einen neuen Alltag gefunden, der sie hinreichend beschäftigt: ein Schneideratelier, in dem Albert, der Patron, Lea, seine Frau, und ein paar Gehilfen und Fertigmacherinnen arbeiten. Maurice Abramowicz, der die erste Geschichte erzählt, wird in der Schneiderei Abramauschwitz genannt, das sind die Scherze der Davongekommenen. In der Schneiderei ist kein Platz für Trauer und Tränen, aber die Erinnerung meldet sich ganz von selbst.

Madame Andrée, die einzige Nichtjüdin im Atelier, erzählt dem Chef, Monsieur Albert, unter Tränen, wie es am Ende des Krieges ihrer jüngeren Schwester ergangen sei: Mit siebzehn bekam sie von einem deutschen Soldaten ein Kind, wurde von ihren französischen Landsleuten kahlgeschoren, nackt ausgezogen und durch die Straßen gejagt. Und Monsieur Albert: "Was ist das für ein Krieg, von dem sie redet? Habe ich nicht genug mit meinem Krieg gehabt? Muß man mir jetzt noch mit dem Krieg der anderen kommen?" "Mein Vater wäre fast vor Scham gestorben", erzählt Madame Andrée, und Monsieur Albert denkt: "Na ja, ihr Vater ist nicht gestorben. Es gibt welche, die sind wirklich gestorben und nicht ,beinahe'! Will Madame Andrée Namen haben, können wir gleich in der Schneiderei anfangen: die Frau und die Tochter von Charles zum Beispiel und die ganze Familie von Maurice . . ."

Es ist gut zu wissen, daß Bober, von polnischen Eltern 1931 in Berlin geboren und mit zwei Jahren, 1933, nach Frankreich mitgenommen, selbst Zunäher war, das Handwerk des Schneiderns früh und das des Schreibens spät, nämlich im Ruhestandsalter, gelernt hat, nachdem er vorher, seit den fünfziger Jahren, bei einem Psychiater und später, mit François Truffault, für den Film gearbeitet hat. Was er dort, auch bei Dokumentarfilmen über die jüdischen Schicksale, gelernt hat, ist Menschlichkeit ohne Anklage und ohne Weltverbesserungsrhetorik und ein Gespür für unaufdringliche Geschichten und Alltagsdramatik im Kleineleutestil ohne künstliche Naivität. Ein Werbeslogan für seine Filme trifft auch auf seine Geschichten zu: "Sie verschaffen ein Gefühl der Erleichterung wie nach einem gelungenen Begräbnis."

Nicht zufällig präsentiert Bober besonders gern Kindergeschichten, wie die von dem kleinen David, der närrisch an der Uhr aus der Präzisionsuhren-Fabrik hängt, die seine Eltern ihm vor der Deportation geschenkt haben. Andere Deportiertenkinder erzählen in Briefen nach Hause von ihren Ferien auf einem Schloß, wo sie nacheinander das Lied der sowjetischen Partisanen, der französischen Partisanen und dann - auf jiddisch - das Lied der jüdischen Partisanen singen.

Politik kommt im übrigen kaum vor, kein böses Wort über die Deutschen. Schlechte Figur macht nur ein französischer Polizeikommissar, der noch im Jahr 1946 den Schneidergesellen, der eingebürgert werden möchte, belehrt: "Sie können gewiß sein, daß ich alles mir Mögliche tun werde, damit Ihrem Antrag nicht stattgegeben wird." Es ist, so erzählt der Schneidergeselle, der gleiche Kommissar, der damals, im Krieg, seine Eltern verhaftet hat. Der Antisemitismus ist noch nicht tot, und der junge Mann faßt einen Entschluß, den er in einer fiktiven Rede dem Kommissar mitteilt: "Dank Ihnen habe ich ein unermeßliches Verlangen: das, zu schreiben. Ja, Herr Kommissar, ich werde schreiben, um Schriftsteller zu werden . . . Ich werde schreiben, um den Skandal Ihrer Anwesenheit hier im Kommissariat zu erzählen und um zu sagen, daß es Ihnen nicht gelungen ist, alle zu vernichten, denn ich lebe . . ." Diesmal hat sich Robert Bober, der hier für sich selbst spricht, zum Pathos der Vergeltung hinreißen lassen. In allen übrigen Geschichten ist ihm die Dämpfung lieber, das leise Lächeln und die verstehende Geste. So in der letzten Szene auf dem Friedhof von Bagneux bei Paris.

Manchmal, so Bober, spricht man auf dem Friedhof zu den Toten. Man sitzt auf einem Klappstuhl und erzählt, wer gestorben ist und wer noch lebt. Aber "auf dem Friedhof von Bagneux steht man. Es gibt Grabsteine und niemanden darunter. Niemand liegt dort begraben. Das ist alles, was man davon sagen kann. Sie sind nicht da, sie sind nie dagewesen. Die Körper der Toten sind unerreichbar, und dieses Unannehmbare bewirkt, daß die in den Stein eingravierten Namen mit lauter Stimme vorgelesen werden."

Dieser nüchterne Bericht ist das wirkungsvollste Stück Prosa, das ich mir für die Unsagbarkeit des Holocausts vorstellen kann. Wenn man das Buch zuklappt, das von Tobias Scheffel angemessen ins Deutsche übertragen wurde, sieht man auf dem Umschlag wieder die beiden davonlaufenden Kinder und denkt an die Legionen von jüdischen Kindern, denen das Davonlaufen nicht gelungen ist. WERNER ROSS

Robert Bober: "Was gibt's Neues vom Krieg?" Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Tobias Scheffel. Verlag Antje Kunstmann, München 1995. 187 S., geb., 32,- DM.

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