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Ein Herr, eine Dame, ein Dienstmädchen: Das ist das Personal dieses großen Romans um Liebe und Betrug, um wahre und ersehnte Gefühle, um Aufrichtigkeit und Befangenheit in gesellschaftlicher Konvention. Zugleich ist es ein Abgesang auf die großbürgerliche mitteleuropäische Welt.
Für den Abend des Galadiners wählte ich eine reinseidene weiße Robe, legte die Blaufuchs-Stola um, steckte mir das Veilchensträußchen mit dem lila Band in den Ausschnitt dem gleichen Band, wie ich es kürzlich in der Brieftasche meines Mannes gefunden hatte. Ich war so schön an jenem Abend, daß selbst er, mein Mann,…mehr

Produktbeschreibung
Ein Herr, eine Dame, ein Dienstmädchen: Das ist das Personal dieses großen Romans um Liebe und Betrug, um wahre und ersehnte Gefühle, um Aufrichtigkeit und Befangenheit in gesellschaftlicher Konvention. Zugleich ist es ein Abgesang auf die großbürgerliche mitteleuropäische Welt.

Für den Abend des Galadiners wählte ich eine reinseidene weiße Robe, legte die Blaufuchs-Stola um, steckte mir das Veilchensträußchen mit dem lila Band in den Ausschnitt dem gleichen Band, wie ich es kürzlich in der Brieftasche meines Mannes gefunden hatte. Ich war so schön an jenem Abend, daß selbst er, mein Mann, es bemerkte, als er zufällig meinen Blick im Spiegel streifte. Lßzßr, der Schriftsteller, geleitete mich in den festlich erleuchteten Wintergarten und sprach mich auf meine außergewöhnliche Ausstrahlung an: Sind Sie verliebt? Ja, antwortete ich. In meinen Mann. Und ich habe mir vorgenommen, ihn heute abend zurückzuerobern.
Am Vorabend zum Zweiten Weltkrieg stellen sich drei Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft dieselben Fragen nach der Existenz echter Gefühle, nach emotionaler Nähe und kultureller Verwurzelung.

Autorenporträt
Sándor Márai, 1900 in Kaschau (KoÜice, heute Slowakei) geboren, lebte und studierte in verschiedenen europäischen Ländern, ehe er 1928 als Journalist nach Budapest zurückkehrte. Er verließ Ungarn 1948 aus politischen Gründen und ging 1952 in die USA, wo er bis zu seinem Freitod 1989 lebte. Er war einer der bedeutendsten ungarischen Schriftsteller und Kritiker des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""So bedeutend wie ergreifend" findet Rezensent Tobias Döring diesen Roman, "weil er in den Wandlungen der Welt entschlossen nach den Gesetzen des Herzen forscht, die ein Weiterleben erlauben". Das Erzählte erscheint dem begeisterten Rezensenten zunächst "seltsam vertraut und zugleich entrückt". Wieder führe Márai in die untergehende K.u.k. Vergangenheit - und in die untergehende Ehe eines Fabrikantensohnes - und stelle die Konturen einer zerfallenden Lebensordnung nach. Doch stellt sich Márai in diesem " wunderbaren Roman" nach Ansicht des Rezensenten viel entschiedener den "epochalen Veränderungen durch den Zweiten Weltkrieg" als in "Die Glut". Was das Buch für Döring so bedeutend macht, ist Marais Entschlossenheit, den "Wandel nicht nur als Verfall zu deuten". Vieles klingt hier Döring zufolge anders, "härter und verbittert" ist der Ton. Zuweilen hört er in der "reichorchestrierten Sprache des Buches auch ein paar furchtbar blecherne Klischees". Doch gerade weil Márai nach Ansicht des Rezensenten spürbar die Distanz fehlt, sich so souverän wie in früheren Büchern seinen Figuren anzuvertrauen, kann er den Rezensenten "umso mehr" bewegen. Besonders, wenn die Romanfiguren ihn in den Bann ihrer "nervös drängenden, ausschweifenden und gewundenen Monologe" gezogen haben.

© Perlentaucher Medien GmbH"
Neues vom Bürger
Wer glaubt, dieser neue Roman von Sandor Marai sei nur ein weiterer Aufguss seiner gleichbleibenden Themen, die er in den bereits erschienenen Büchern, deren Zahl inzwischen auf Elf angewachsen ist, in anderer Form behandelt hat, wird nach wenigen Seiten eines Besseren belehrt. Schnell macht sich der Sog spürbar, der - wie schon in Die Glut - den Leser antreibt, weiter und immer weiter zu lesen.
Drei Ansichten
Im Mittelpunkt des Romans steht der Ich-Erzähler des zweiten Teils: ein adliger Großbürger, der Züge endzeitlicher Dekadenz zeigt, denn er wird wie Hanno Buddenbrook der letzte seiner Familie sein. Stolz, gebildet, kultiviert, charmant und gutaussehend ist er. Doch in ihm brennt das Feuer der Einsamkeit, das ihn schließlich austrocknet. Es ist aber nicht die Einsamkeit dessen, der alleine ist: er gibt Gesellschaften, ist beliebt und heiratet eine bewundernswerte Frau, die ihm ein Kind schenken wird. Nein, es ist die Einsamkeit des letzten einer untergehenden Welt. In den Wirren der Errichtung des sozialistischen Regimes in Ungarn nach dem zweiten Weltkrieg verliert er dann tatsächlich sein Vermögen und seinen Status. Er verschwindet, der Leser weiß nicht wohin.
Im ersten Teil kommt eine Frau Wort, die wie der Leser gleich erfährt, seine erste Ehefrau war. Sie ist eine Kleinbürgerin bester Erziehung und eine vollendete Dame, die ihren Ehemann voll Verzweiflung liebt. Die sozialen Unterschiede trennen die beiden, und es gelingt ihr nicht, seine Liebe zu erobern. Nach einigen Jahren Ehe entdeckt sie, dass zwischen ihnen außerdem eine andere Frau steht. Als sie herausfindet, dass diese Frau das Dienstmädchen der Schwiegermutter ist, stellt sie sich dem Kampf, den sie verliert. Ihr Mann verlässt sie und heiratet das Dienstmädchen Judit.
Doch auch diese Ehe scheitert. Der dritte Teil beschreibt das Scheitern dieser zweiten Ehe aus der Sicht Judits. Dieser letzte Teil führt die beiden vorangegangenen zusammen und ergänzt sie um den Blick der Armen. Denn das sind die immer wiederkehrenden Kategorien, mit denen Judit die Welt beschreibt: arm und reich. Waren es in der alten Welt die Kategorien Großbürger und Kleinbürger, so bestimmen nun diese Kategorien die Welt: Ungarn wird sozialistisch und Judit gehört letztlich die Zukunft.
Liebe, Einsamkeit und Tod
Wandlungen einer Ehe zählt neben den Bekenntnissen eines Bürgers zu den besten Büchern Sandor Marais. Obwohl es in einer in die Ferne gerückten Zeit verortet ist und von einer bereits ausgelöschten Gesellschaft handelt, besitzt es eine drängende Aktualität. Denn Marai gelingt es, das Menschliche sichtbar und verständlich zu machen. Liebe, Einsamkeit und Tod sind Themen, die jeden angehen und die Menschen immer berühren. Er hat einiges darüber zu erzählen, das jenseits der üblichen Klischees liegt, und versteht es dabei seinen Leser aufs Beste zu unterhalten.
(Andreas Rötzer)

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2003

Ein Wildhüter unter Wilderern lebt gefährlich
Das violette Band der Liebe: In dem Roman "Wandlungen einer Ehe" betreibt Sándor Márai die Gefühlserforschung mit Leidenschaft, doch ohne Larmoyanz

Alle glücklichen Familien seien gleich, so lautet der seltsame Eröffnungssatz von Tolstois "Anna Karenina". Glückliche Völker haben keine Geschichte, so heißt es, kaum weniger irritierend, in Sándor Márais Roman "Wandlungen einer Ehe". Zum Erzählen also nötigt offenbar das Unglück, zwingt der Schmerz und drängt der Verlust, Erfahrungen, die uns auf je unverwechselbare Weise treffen. Und tatsächlich: Was ließe sich vom schieren Überschwang des Glücksgefühls schon Nennenswertes mitteilen? Das Besondere, Erzählenswerte, das wir in Begriffe und Geschichten fassen, liegt in Verfehlungen oder Zerwürfnissen des Lebens, denen wir mit Worten beizukommen suchen. Wann immer uns Figuren in Márais wunderbaren Romanen daher in den Bann ihrer nervös drängenden, ausschweifenden und gewundenen Monologe ziehen, spüren wir sofort: Sie müssen sich ein Unglück von der Seele reden. Hier erzählt jemand mit Leidenschaft, doch ohne Larmoyanz, währenddessen das Erzählte endgültig verlorengeht.

Alles wirkt seltsam vertraut und zugleich entrückt, wie auf sepiabraunen Bildern eines alten Albums. Wir finden uns in einer Stadt, in der die Dienstmädchen aus Transdanubien kommen, in der man eine Dame mit galantem Handkuß grüßt und eine Unverheiratete jenseits der Dreißig selbstverständlich als alte Jungfer bezeichnet. Ebenso wie in "Die Glut", dem großen Liebesroman aus Alteuropa, der die Wiederentdeckung dieses ungarischen Autors 1999 zehn Jahre nach seinem Freitod einleitete, entführt uns die Lektüre von "Wandlungen einer Ehe" wiederum in eine Welt, die noch ganz von ihrer k. u. k. Vergangenheit zehrt und dabei längst den eigenen Niedergang erlebt. Alles Schwelgerische aber bleibt versagt. Die Kulissen jener Budapester Zwischenkriegsperiode, die Márai so detailbesessen ausmalt, schaffen keine Operettenseligkeit, sondern stellen die Konturen einer zerfallenen Lebensordnung nach. Im Grunde bieten die großbürgerlichen Salons, düsteren Wohnstuben, eleganten Kaffeehäuser oder kargen Dienstbotenzimmer nur Hohlformen zur Gefühlserforschung; sie sind Echokammern der Passionen, von denen die Erzählfiguren unglücklich umgetrieben werden.

Längst ahnt die Frau des reichen Fabrikantensohns, daß ihre Ehe in der stummen Ordnung eines vorbildlichen Alltags abzusterben droht, da entdeckt sie in der Brieftasche des Gatten ein violettes Band. Sogleich wird ihr alles zum beredten Zeichen, überall sieht sie nun Spuren, die auf eine andere Geliebte weisen. Und sie beschließt, nicht nur das Geheimnis zu ergründen und die Unbekannte aufzufinden, sondern zugleich auch den eigenen Ehemann zurückzuerobern. So absehbar das Weitere scheint, es gewinnt in der unerbittlichen Entfaltung der Ereignisse immer mehr an Spannung. Die Spurensuche führt tief in die Vergangenheit und endet schließlich dort, wohin alle psychoanalytischen Wege führen: im Elternhaus, dem "Tatort", wo "alles beisammen ist, was einen Menschen betrifft". Auch die unglücklichen Familien gleichen sich also. Doch just als Gattin, Mutter und Geliebte zu dritt aufeinandertreffen und das Scheitern dieser Ehe im bekannten Muster zu erstarren scheint, wandelt sich die Geschichte unversehens. Die Perspektive kehrt sich um, und wir werden Ohrenzeuge eines anderen Versuchs, das Vergangene erzählend einzuholen.

Drei verschiedene Stimmen bietet der Roman. Die Ehefrau, der Ehemann und schließlich die Geliebte - im Tonfall und Erzählgestus jeweils fein nuanciert - berichten nacheinander vom erinnerten Geschehen und erkunden die verschütteten Tatorte ihrer Liebe. So müssen auch wir unsere Sicht fortlaufend revidieren. Die Rituale jener bürgerlichen Standesordnung, die für den einen Geborgenheit und Sicherheit verbürgen, bedeuten für den anderen nur Bedrückung und Erstickung. Wer die Stützen der Gesellschaft durch unstandesgemäße Heirat untergräbt, stürzt selbst und gerät unter die Trümmer, die andererseits Bausteine für eine neue Zukunft werden können. Denn bei aller elegischen Grundstimmung stellt dieser Roman sich viel entschiedener als "Die Glut" den epochalen Veränderungen durch den Weltkrieg und scheint entschlossen, Wandel nicht nur als Verfall zu deuten. Mit den Erzählstimmen verschieben sich zugleich die historischen Koordinaten. Der erste und der zweite Teil, bereits 1941 in Budapest erschienen, blicken noch ganz in jene Zeit zurück, in der Márai sich unzweifelhaft zu Hause fühlt. Der dritte Teil entstand 1948 im italienischen Exil und ist tief gezeichnet von dem Riß, der seither durch die Welt geht.

Daher klingt hier vieles anders, härter und verbittert, und zuweilen tönen in der reichorchestrierten Sprache auch ein paar furchtbar blecherne Klischees. Doch gerade weil dem Autor spürbar die Distanz fehlt, sich so souverän wie vorher seinen Erzählfiguren anzuvertrauen, bewegt die Geschichte um so mehr. Hier erzählt ein Fremdgänger, der gegen die Verlorenheit anschreibt, ein Exilant, der eine andere Heimat sucht und sie nur noch in der Erinnerung findet, welche das Zerstörte wenigstens vorübergehend bewahrt. Spätestens an dieser Stelle erreicht die alte Dreiecksgeschichte ihr eigentliches Zentrum in einer vierten Figur, einem Schriftsteller, der sein Credo schon zu Anfang preisgibt: "Wir Schrifsteller", erklärt er der betrogenen Bürgerdame, "können uns den Luxus der Revolte nicht erlauben. Wir sind die Bewahrer. Es ist viel schwerer, etwas zu bewahren, als es zu erwerben oder zu vernichten. Ich kann den Menschen nicht erlauben, sich gegen die Gesetze aufzulehnen, die in den Büchern und den menschlichen Herzen leben . . . Ich lebe unter Wilderern, und ich bin der Wildhüter. Eine gefährliche Situation."

Dieser Gefahr setzt Márai sich unerschrocken aus. Sein Roman ist so bedeutend wie ergreifend, eben weil er in den Wandlungen der Welt entschlossen nach Gesetzen des menschlichen Herzens forscht, die ein Weiterleben erlauben. Glückliche Völker und Familien mögen keine Geschichte haben, doch haben sie - zu ihrem Unglück - auch keine solchen Schriftsteller.

Sándor Márai: "Wandlungen einer Ehe". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Viragh. Piper Verlag, München 2003. 461 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2003

Frau mit Charakter,
Mann mit Idealen
Zerfallende Bürger: Sándor Márais
„Wandlungen einer Ehe”
„Familie ist immer auch Klassenkampf”, schreibt Sándor Márai in seinen „Bekenntnissen eines Bürgers” von 1934. Mann und Frau „wandern jahrzehntelang über die Eisfelder der Langeweile und Gewohnheit und hassen sich, weil der eine vornehmer und feiner erzogen wurde und Gabel und Messer anmutiger hält oder weil er aus seiner Kindheit einen besonderen Kastengeist mitgebracht hat”. Der vor wenigen Jahren wiederentdeckte ungarische Schriftsteller (1900–1989) dosiert Melancholie und Sarkasmus, Bitterkeit und Bissigkeit in einer Weise, die seinem Werk den Vergleich mit sämtlichen Größen der Donaumonarchie, von Schnitzler bis zu Roth, von Zweig bis zu Musil, eingetragen hat.
„Wandlungen einer Ehe”, ein im Zuge der Márai-Renaissance neu übersetzter Roman aus den vierziger Jahren, muss ohne diese heilsamen Gegengifte auskommen. An die Reflexionen des brillanten Zeitdiagnostikers, die treffsicheren Tagebücher des Exils und die szenische Verdichtung des 1942 erschienenen Romans „Die Glut” reicht dieses Ehemelodram nicht heran. Aber es führt die Grundkonstellation vor, die Márai sein Leben lang variiert: die Auflösung des Bürgertums nach den Weltkriegen und die von ihrer Klasse geprägten Beziehungen zwischen den Geschlechtern.
Der Sinn eines Frauenlebens
Péter, Fabrikant und einsamer Hüter der großbürgerlichen Kultur, ist mit einer schönen und gebildeten Frau verheiratet, die zwar aus dem Kleinbürgertum stammt, den Lebensstil und die Umgangsformen der höherstehenden Schicht aber perfekt verinnerlicht hat. Obwohl sie ihren Mann liebt, gelingt die Ehe nicht, denn eine dritte Person steht zwischen ihnen. Es ist das Dienstmädchen, eine stolze Provinzschönheit, die jahrelang darauf wartet, dass Péter sich an ein verdrängtes Gefühl erinnert. Dreimal wird aus unterschiedlichen Perspektiven Bericht erstattet, und ähnlich wie in „Die Glut” verschwimmen die feinen Unterschiede zu immer neuen Koalitionen und Oppositionen. Mal gleichen sich die Frauen in ihrer Anpassungsfähigkeit an die männliche Kultur, mal rückt die bürgerliche Welt zusammen, die aus der proletarischen Froschperspektive nur ein Dienstbotenverhältnis erlaubt, selbst dann, wenn man zur „Gnädigen” aufgestiegen ist.
„Was ist der Sinn eines Frauenlebens?”, fragt der melancholische Ehemann seine enttäuschte Gattin. „Ein Gefühl, dem sich die Frau überlässt, mit Haut und Haar. Ich weiß das, aber nur vom Verstand her. Ich kann mich nicht einem Gefühl überlassen.” Die emotionalen oder rationalen, wilden oder gezähmten Charaktere bündeln alle Klischees, die auf der männlich-weiblichen sowie der bürgerlich-proletarischen Achse zu vergeben sind: Die Ehefrau ist gefühlsbetont, aber parkettsicher, der Verstandesmensch rettet sich vor seinen Trieben in starre Disziplin, und die Hausangestellte beendet die kränkelnden Konventionen mit barbarischer Urgewalt. Flora und Fauna sind nicht weit: Sie ähnelt den Lianen, die „ihrer Umgebung alles Lebensnotwendige absaugen”.
Mit teurem Rasierwasser
Doch diese Elemente sind in all ihrer Gewöhnlichkeit genau berechnet: Der Schriftsteller Lázár, noch einsamer, gebildeter und resignierter als sein Jugendfreund Péter, lässt sie in der Tradition des chemisch-literarischen Experiments aufeinanderprallen. Er ist der eigentliche Beschützer bürgerlicher Kultur, die sein Freund mit teurem Rasierwasser verteidigt. Als Beobachter des individuellen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs verwandelt der Schriftsteller die Dreiecksgeschichte in ein strategisches Spielfeld. Sinnbild dieser Übertragung ist das „Herr-Kovács- Spiel”, das die Freunde perfektioniert haben. Es funktioniert so, dass man Gemeinplätze äußert, ohne sie als solche herauszustellen: „Seit es die Welt gibt, reden sämtliche Damen und Herren Kovács so. Und wenn der Zug anfährt, sagen sie: ‚Wir fahren.‘ Und wenn der Zug in Füzesabony anhält, sagen sie ernst und feierlich ‚Füzesabony‘. Und sie haben immer recht.”
Der ganze Roman ist ein Spiel mit „monumentalen Platitüden”, bei dem man ernst und feierlich der Liebe, dem Schicksal, der Leidenschaft und vor allem „dem Leben” huldigt. Mit vorsichtigen Signalen werden die Banalitäten als solche ausgewiesen, und dieser Reigen aus Migräne, Weltschmerz und parasitärer Saugkraft legt das Schablonenhafte der Figuren bloß. Weil der Schriftsteller Lázár verstummt ist, müssen seine Einsichten durch den Phrasenfilter von Bürger, Gattin und Dienstmädchen hindurch.
Aber der Autor Márai, der elegante Skeptiker, der die Romanfigur Lázár mit einzelnen Zügen seiner literarischen Existenz ausstattet, meldet sich glücklicherweise in seinen Bekenntnissen, Erinnerungen und Briefen selbst zu Wort. Im Tagebuch von 1984 scheint er die Grundkonstellation der „Wandlungen einer Ehe” zusammenzufassen: „Soziographie, als Roman. Der Schriftsteller beschreibt gewissenhaft das Leben und die Gewohnheiten von Menschen, die einer bestimmten Klasse angehören. Er schreibt nur nicht darüber, dass der Mensch keine statische Abbildung ist, sondern Handlung.”
JUTTA PERSON
SÁNDOR MÁRAI: Wandlungen einer Ehe. Roman. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh. Piper Verlag, München 2003. 461 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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