gelangen. Dort arbeitet sie zunächst auf einer Mülldeponie, ehe sie geschnappt und ins Gefängnis gesteckt wird, um Monate später, ohne juristischen Beistand oder auch nur einer Erklärung, wieder entlassen zu werden. Brad Skinner hingegen gehört als Irak-Veteran zu den Helden seines Landes. Mit Tattoos am ganzen Körper und einem Haufen Antidepressiva im Gepäck, die beim Bataillon wie Bonbons verteilt wurden, strandet der Uniformierte in Wüstenstiefeln in New York. Aber trotz allem Schulterklopfen von Fremden wird ihm das Wesentliche vorenthalten: Hilfe bei der Bewältigung seiner Traumata, die der Dreiundzwanzigjährige so dringend bräuchte, obwohl er das selbst am allerwenigsten weiß.
Als ihm Zou Lei in einem Hinterhof von Queens zufällig begegnet, treffen zwei Versehrte aufeinander, die für ihre Verletzungen weder eine Sprache noch andere wirksame Antitoxine haben. Von dieser ersten Begegnung an verfolgt der Autor die beiden bei ihrem Kampf um Anerkennung aus einer fast schon schmerzhaft intimen Nähe heraus. Dass ihre Anstrengung so heftig ersehnt wie vergeblich bleibt, verleiht dem Roman seine beunruhigende Wucht.
Atticus Lish, Sohn des legendären New Yorker Lektors Gordon Lish, der Autoren wie Raymond Carver und Richard Ford entdeckte, kennt sich in der Lebenswelt seiner glücklosen Helden aus. Denn bevor er zur Literatur kam, arbeitete Lish selbst viele Jahre als Englischlehrer in China. Und auch das Militärische ist dem früheren Marine der amerikanischen Armee nicht fremd. Der Roman, der im Frühjahr den renommierten Pen/Faulkner-Award erhielt, gewinnt aber vor allem durch seine intensive Sprache. Denn auch wenn Zou Lei und Brad Skinner sich ineinander verlieben und in einer dunklen Kellerwohnung zwischen Bierdosen und Pizzakartons zeitweise tatsächlich so etwas wie Glück erfahren, ist "Vorbereitung auf das nächste Leben" keine Liebesgeschichte. Stattdessen zeichnet das Buch das beklemmende Porträt einer amerikanischen Gegenwart, wie sie sich denjenigen zeigt, die ganz unten angelangt sind.
Das Scheitern des Exsoldaten und der chinesischen Immigrantin erscheint dabei als Sinnbild für das Scheitern einer ganzen Nation, die für Jahrhunderte Sehnsuchtsort für Einwanderer aus aller Welt war. Dass Amerika unter dem Eindruck des 11. September diesen Traum beerdigt hat und Menschen heute schon wegen Schwarzfahren in der Subway ins Bundesgefängnis steckt, weil, wie es an einer Stelle heißt, man seit 2001 "selbst für das kleinste Vergehen verhaftet werden" kann, davon will Atticus Lish erzählen.
Die Folgen von Armut, Rassismus und einer missglückten Einwanderungspolitik erfahren Zou Lei und Brad Skinner Tag für Tag am eigenen Leib. Dabei verkörpert gerade die Uigurin mit den sibirischen Augen in ihrem Arbeitsfuror den amerikanischen Traum. Unermüdlich schuftet Zou Lei als Hilfskraft in einem Fast-Food-Restaurant, obwohl sie wie die anderen Illegalen dort gnadenlos ausgebeutet wird.
Gegen die Demütigung läuft Zou Lei buchstäblich an. Seitenweise verfolgt der Roman die junge Frau dabei, wie sie Tag und Nacht durch die Stadt rennt. Dabei rennt sie in ihren durchgetretenen Sneakers nicht nur, weil Laufen für sie die einzig mögliche Form der Mobilität ist. Vielmehr empfindet sie nur auf diesen Streifzügen so etwas wie Freiheit und Unabhängigkeit. Auch in der Neuen Welt ist sie eine Nomadin geblieben, wie ihre Vorfahren. Und sie ist eine Getriebene. "Du musst schnell sein, Bossie beobachtet dich", heißt es bei der Arbeit, und vor Zivilpolizisten ist sie ohnehin immer auf dem Sprung. Als Gejagte aber gibt sie dennoch die Richtung vor. Das verleiht ihr Autonomie: "Ich werde schnell sein, Ihr werdet mich niemals kriegen", spornt sie sich an. Ihrem Freund, der mit Albträumen, Alkohol und Drogen immer mehr in eine Parallelwelt abdriftet, sind solche Fluchten nicht möglich. Skinner ist nicht nur seelisch, sondern auch körperlich längst so am Ende, dass der Exsoldat seine Freundin nicht einmal mehr einholen kann, als sie ihm nach einem Streit davonläuft.
Den ausführlichen Beschreibungen dieser körperlichen Anstrengung stellt Lish topographische Erkundungen gegenüber, wenn Zou Lei auf dem brüchigen Asphalt von Queens an Abbruchhäusern vorbei durch Straßen läuft, die von Müllcontainern gesäumt werden. Am Ende wird diesen Dauerlauf nur einer überleben. Und Hoffnung gibt es auch nicht in Queens, sondern allenfalls dort, wo die Sonne untergeht. Mit dem Weg gen Westen greift Atticus Lish einen uramerikanischen Topos auf. Es ist eine lange Strecke durch viele Wüsten, die es zu bewältigen gilt. Sie lässt den Leser nach mehr als fünfhundert Seiten atemlos, aber auch etwas erschöpft zurück.
SANDRA KEGEL
Atticus Lish: "Vorbereitung auf das nächste Leben". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Michael Kellner. Arche Literatur Verlag, Hamburg 2015. 528 S., geb., 24,99 [Euro].
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