Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 1,00 €
  • Broschiertes Buch

Erwin Koch erzählt wahre Geschichten. Von dem Mörder Paul Jernigan, der seinem Körper der Wissenschaft vermachte, vom Verschwinden eines Ameisenforschers oder von Melvüde Genc, die einem Brandanschlag zum Opfer fiel. Ganz überraschend nimmt das Leben eine neue, oft erschreckende Wendung. Koch erzählt von der Ironie des Schicksals und von dem, was man nicht für möglich gehalten hätte.

Produktbeschreibung
Erwin Koch erzählt wahre Geschichten. Von dem Mörder Paul Jernigan, der seinem Körper der Wissenschaft vermachte, vom Verschwinden eines Ameisenforschers oder von Melvüde Genc, die einem Brandanschlag zum Opfer fiel. Ganz überraschend nimmt das Leben eine neue, oft erschreckende Wendung. Koch erzählt von der Ironie des Schicksals und von dem, was man nicht für möglich gehalten hätte.
Autorenporträt
Erwin Koch, geboren 1956, lebt in der Nähe von Luzern. Er ist Journalist und schrieb Hörspiele und Reportagen. Von 1984 bis 1990 war er Redakteur, seit 2002 ist er Reporter für DAS MAGAZIN des Tages-Anzeigers, dazwischen u.a. für Die ZEIT, GEO und das Frankfurter Allgemeine Zeitung Magazin, 1999 bis 2002 war er Reporter beim Spiegel. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. zwei Mal mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Reportage. "Sara tanzt" ist sein erster Roman und beruht auf einer wahren Geschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.1998

Der Mensch heißt Paul
Erwin Kochs Geschichten Von Thomas Medicus

Als sich die Nebel der ideologischen Weltbilder verzogen, gewann die Reportage, die ihre letzte hohe Zeit in den zwanziger Jahren erlebt hatte, abermals an Fahrt. Nachdem die lang gestellte Systemfrage ohne Echo geblieben war, rückte das Lebensschicksal des einzelnen wieder in den Blickpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Ein Wandel, der - in Konkurrenz mit den schnelleren Fernsehbildern - auch zu einer Aufwertung des individuellen Berichterstatters und seiner Sprache führte. Die von der heroischen Aura des Abenteurers umgebene Gestalt des Reporters kehrte zurück und bezeugte, daß man auch in einer unübersichtlicher gewordenen Welt nicht nur orientierungs-, sondern sogar erlebnisfähiger denn je werden könne. Selbst kleinere Zeitungen begannen mit ambitionierten, wie Pilze aus dem Boden schießenden jungen Talenten eine auf Authentizität erpichte Leserschaft zu locken. Die Presseabteilungen der Verlage, wo die erstaunlichen Begebenheiten gebündelt erschienen, scheuten keinen Vergleich. Seither wimmelt es von Kischs, Tucholskys und Kracauers.

Die Spreu vom Weizen zu trennen fällt angesichts solcher werbewirksamer Erfindungen naturgemäß schwer, den Weizen glaubwürdig beim Namen zu nennen scheint fast unmöglich. Glaubwürdigkeit allerdings ist gerade die Tugend des Reporters Erwin Koch, dessen "wahre Geschichten" keiner marketingstrategischen Vergleiche bedürfen - obwohl Sammelbände wie dieser nicht ohne Risiko sind. Was als aktuelles Einzelstück fesselt, kann, in Folge gelesen, langweilig sein.

Nicht so bei Erwin Koch. Der aufklärerische Gestus seines schonungslosen Lakonismus ist auf vorbildliche Weise unprätentiös. Sprachlich brillant und luzide, führen die Geschichten dieses erzählerisch begabten Schweizer Journalisten auch durch eine Schule journalistischen Schreibens, in der es vor allem eines zu lernen gibt: Furchtlosigkeit. Was kompositorisch mit harten Schnitten, doch leichter Hand geschieht, führt nicht selten auf das schwierige Terrain numinoser Grenzfälle: Bei Koch geht es häufig um Leben und Tod. Exemplarisch wird dies in seiner Reportage über den Mörder Joseph Paul Jernigan, der nach zwölf Jahren im Todestrakt des Gefängnisses von Huntsville, Alabama, durch eine Giftinjektion hingerichtet wurde. Sein tiefgefrorener, in einen Millimeter dünne Scheiben zersägter und fotografierter Leichnam bildete die Grundlage für den ersten digitalen, im Internet zugänglichen Anatomieatlas.

Wenn Koch beschreibt, wie sich Jernigan zum Sterben hinlegt, abtransportiert und zerteilt wird, ist das so, als sei er selbst dabeigewesen. In dieser stupenden - für alle seine Texte charakteristischen - Fähigkeit zur Empathie verbirgt sich das ethisch-moralische Anliegen dieses Reporters. "Der Mensch Paul" lautet folgerichtig der Titel dieses erschütternden Stücks, das zwischen der Mordtat des Delinquenten, dem Zynismus seiner wissenschaftlichen Vernutzung und der Todesstrafe keinen Unterschied zu erkennen vermag. Daß kein Mensch das Recht hat, sich über den anderen zu erheben, weil das Böse die conditio humana eines jeden von uns ist, ist die Botschaft dieser Reportagen. Grund zur Verzweiflung ist diese negative Anthropologie für Koch jedoch nicht. Sie ist vielmehr Ausgangspunkt für ein Streben nach Gerechtigkeit, das sich auf Mitleid mit dem zum Bösen verdammten Gattungswesen Mensch gründet. Deshalb sind die Mörder, Verbrecher und Übeltäter, die in diesen Reportagen porträtiert werden, nie die ganz anderen, sondern immer nah an uns und Doppelgänger unserer selbst.

Daß sich ein Gesellschaftszustand, in dem jeder vor allem sein eigener Wolf ist, aus naturgeschichtlich-ethologischer Sicht am besten darstellen läßt, ist kaum verwunderlich. Die Verwandlung des Entomologen Kutter in ein Exemplar der von ihm selbst entdeckten Spezies der Friedensameise hat mit Kafka wenig, mit der hintergründigen Moralität La-Fontainescher Fabeln um so mehr zu tun. Beobachtet sich der Insektenforscher bei seinem - auch vor der Tötung von Artgenossen nicht zurückschreckenden - Instinktverhalten, zeigt diese Verdoppelung gleichnishaft jenes Bewußtseinstier Mensch, das schnell zum Risikofall wird. "Nachrichtenwert" besitzen ironische Geschichten wie diese wahrlich nicht; der Unbestechlichkeit des zweifachen Kisch- Preisträgers Koch wird der Gartenlauben-Titel des Buches freilich kaum gerecht.

Erwin Koch: "Vor der Tagesschau, am späten Sonntagnachmittag". Wahre Geschichten. Ammann Verlag, Zürich 1997. 221 S., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr