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»Dies ist das Selenskyj-Buch, auf das wir gewartet haben.« (Catherine Belton, SPIEGEL-Bestsellerautorin von »Putins Netz«)
»Das Volk der Ukraine will Frieden. Die Staatsführung der Ukraine will Frieden. Sie tut alles dafür, was sie kann. (...) Doch wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unseren Rücken.« Seit er, nur wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, diese Worte an die russische Regierung richtete, fasziniert - und polarisiert - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Welt. Der einstige Comedian wurde unversehens zum…mehr

Produktbeschreibung
»Dies ist das Selenskyj-Buch, auf das wir gewartet haben.« (Catherine Belton, SPIEGEL-Bestsellerautorin von »Putins Netz«)

»Das Volk der Ukraine will Frieden. Die Staatsführung der Ukraine will Frieden. Sie tut alles dafür, was sie kann. (...) Doch wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unseren Rücken.« Seit er, nur wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, diese Worte an die russische Regierung richtete, fasziniert - und polarisiert - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Welt. Der einstige Comedian wurde unversehens zum Kriegspräsidenten, dessen perfekt inszenierte Medienauftritte den Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen.

TIME-Korrespondent Simon Shuster berichtet seit Beginn der russischen Invasion aus dem Inneren des Präsidentenpalasts, zweimal ist er mit dem ukrainischen Präsidenten an die Front gereist. Er hat, wie kaum ein anderer, Zugang zu Selenskyi, seiner Frau, seinen Freunden, seinen hochrangigen Mitarbeitern und Beratern. Mit Vor den Augen der Welt ist Shuster nicht nur eine einzigartig facettenreiche und intime Biografie des ukrainischen Präsidenten gelungen, sondern auch die fesselnde und profund recherchierte Chronik eines unsere Weltordnung nachhaltig verändernden Krieges.

Ausstattung: farbige Abbildungen
Autorenporträt
Simon Shuster berichtet seit über 15 Jahren über Russland und die Ukraine, die meiste Zeit davon als Korrespondent für das das US-Nachrichtenmagazin TIME. Er wurde in Moskau geboren und emigrierte als Kind, zwei Jahre vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in die Vereinigten Staaten. Shuster gilt als exzellenter Kenner des russisch-ukrainischen Konflikts, seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 berichtet er ausführlich über den Krieg in der Ukraine. Er lebt in Brooklyn, New York, verbringt aber derzeit einen Großteil seiner Zeit in Kyiv.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Renate Nimtz-Köster lernt durch Simon Shusters Buch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski besser kennen. Shuster zeichne Selenskis Werdegang vom Fernsehkomiker zum Präsidenten nach, der besondere Fokus der Biografie liegt jedoch auf den Veränderungen, die der Angriff Russlands im Jahr 2022 in ihm ausgelöst haben. Kaum jemand hatte, so Nimtz-Köster mit Shuster, dem Politiker zugetraut, zum Kriegspräsidenten zu werden, aber er zeigte von Anfang an Entschlossenheit, insbesondere in seinen Ansprachen an das eigene Volk sowie seinen geschickt platzierten Appellen an Verbündete. Auch Kritik an Selenski kommt der Rezensentin zufolge zur Sprache, etwa hinsichtlich des Verbots russlandfreundlicher Fernsehsender. Dass Selenski sich zum Autokrat wandelt, glaubt Shuster laut Nimtz-Köster jedoch nicht, der Politiker lehnt Personenkult ab und begeistert sich mehr für Charlie Chaplin als für dominante Politiker wie Winston Churchill.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2024

Wie David vor Kiew Goliath zurückschlug
Ein Buch über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sein Umfeld im Krieg

Als am Silvesterabend 2018 ein Schauspieler in der Ukraine in seinem Fernsehauftritt verkündete, er gehe in die Politik und werde 2019 an der Präsidentenwahl teilnehmen, fesselte das große Land im Osten seine Betrachter auf ganz neue Art. Dieser Auftritt Wolodymyr Selenskyjs: War das Ernst oder Spaß? Viele nannten ihn geringschätzig "Komiker", übersahen, dass der Jurist nicht nur auf der Bühne ein Talent, sondern auch als Chef einer Fernsehproduktionsfirma sehr erfolgreich war. Dennoch war sein weiterer Werdegang erstaunlich: seine Wandlung zum Politiker, der den höchsten Wahlsieg in der Geschichte der Ukraine einfuhr, ebenso wie sein erzwungener Wechsel in die Rolle des Oberbefehlshabers, dem viele im Ausland eine "Niederlage nach drei Tagen" gegen Russland voraussagten.

Simon Shuster, dessen Vater aus der Ukraine und dessen Mutter aus Russland stammt - die Familie emigrierte 1989 mit dem Jungen nach Amerika - hat ein lesenswertes Buch über Selenskyj und den Krieg Russlands gegen die Ukraine geschrieben. Der Journalist ist für das amerikanische Magazin "Time" tätig; er begegnete Selenskyj 2019 zum ersten Mal. Im Krieg bekam er Zugang zum innersten Kreis in Kiew: zum Kriegspräsidenten und seiner Frau Olena, zu Armeechef Walerij Saluschnyj und vielen anderen. Shuster hat etwas zu erzählen, und er kann erzählen.

Er behandelt die Vorgeschichte des Krieges, für dessen Heraufziehen es über drei Monate hinweg Anzeichen gab, die weltweit diskutiert wurden. Letzte Anrufe, etwa von Olaf Scholz bei Wladimir Putin, ergaben von russischer Seite nur die Auskunft: "Niemand hat die Absicht, die Ukraine zu überfallen." Dem Bundeskanzler blieb nicht viel anderes übrig, als diese Lüge im nächsten Telefonat nach Kiew weiterzuleiten. Dann, am Tag des Kriegsausbruchs, die erste Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs mit Selenskyj. Mehrere boten sich der Ukraine am ersten Tag als Vermittler an, um mit Russland die Bedingungen für eine Kapitulation auszuhandeln. Sanktionen? Deutschland und Österreich wollten die Verbindungen zum russischen Bankensystem nicht kappen, um den Öl- und Gashandel aufrechtzuerhalten. Dann sprach Selenskyj, nur fünf Minuten lang: "Dies ist vielleicht das letzte Mal, dass Sie mich lebend sehen." Seine Worte hätten in Brüssel mehr verändert als die jahrelangen Debatten über Russland, schreibt der Autor. Ähnliche Sätze, Abschiedsworte von Kiewer Ministern an ihre Familien, ehe diese zur Flucht nach Polen aufbrechen, werden im Buch noch wiederkehren. Aber Shuster drückt nicht auf die Tränendrüse. Wenn er Angst und Mut, Verzweiflung oder hoffnungslose Dilemmata schildert, bleibt er bei den führenden Akteuren, bei ukrainischen und ausländischen Politikern, hohen Militärs, Diplomaten. Wichtige Aussagen beglaubigt er mit Fußnoten und Quellen.

Wer den Ukrainekrieg verfolgt hat und jetzt dieses Buch liest, dürfte auf einiges Neue stoßen; oder auf Bekanntes, das aber von der nachfolgenden Informationsflut überspült worden war. Zum Beispiel, dass Selenskyj im Schock der ersten Wochen, als seine Delegation an der polnisch-belarussischen Grenze mit den Russen verhandelte, bereit war, das Verfassungsziel des NATO-Beitritts aufzugeben; woran der "Blitzkrieg" von angeblich 7000 gepanzerten Fahrzeugen, die auf Kiew vorrückten, scheiterte; wie (streckenweise holprig) die Zusammenarbeit des Generals Saluschnyj mit US-Generalstabschef Mark Milley und mit Selenskyj verlief - das sind wichtige Bausteine für eine Geschichte dieses größten Krieges in Europa seit 1945. Hinzu kommen farbige Schilderungen, etwa von der gemeinsamen Zugfahrt in die gerade durch die ukrainische Armee befreite Großstadt Cherson; Shuster darf das Abteil Selenskyjs betreten, und dieser liest gerade ein Buch über Hitler und Stalin, "eine vergleichende Studie über die beiden Tyrannen, die die Ukraine am übelsten gequält hatten". Auch eine Churchill-Biographie hat der David von Kiew während seines Kampfes gegen den russischen Goliath gelesen. Doch würde er sich lieber an Charlie Chaplin orientieren, sagte Selenskyj zu Shuster, "weil er während des Zweiten Weltkrieges Information als Waffe einsetzte, um gegen den Faschismus zu kämpfen". Olaf Scholz, der amüsant beschrieben wird, ist ein kleines Kapitel gewidmet, weil Shuster Gelegenheit hatte, gemeinsam mit "Time"-Kollegen den Kanzler zu interviewen. Selenskyj glaube, Scholz habe eine "strategische Entscheidung" getroffen, bestimmte Waffen nicht zu liefern; darüber seien die beiden "mehrmals aneinandergeraten", so fasst der Autor seine Eindrücke aus seinen Gesprächen auch mit Selenskyj zusammen.

Das große Rätsel bleibt: Wie konnte David gegen Goliath so lange so erfolgreich sein? Aussprüche des Präsidenten lassen durchscheinen, dass dieser - manchmal an der Grenze zu Naivität oder Größenwahn - vor allem von dem Gefühl beseelt war, mit seinem Abwehrkampf im Recht zu sein. "Russland kann gar nicht so viele Raketen haben, wie unser Volk Überlebenswillen hat", sagte er einmal. Allerdings kann das Buch nur kursorisch auf die Entwicklung im zweiten Kriegsjahr eingehen. Doch die Triebfeder Selenskyjs, wie Shuster sie beschreibt, ist geblieben: "Er hatte sich vorgenommen, den Kreislauf imperialer Unterdrückung zu durchbrechen." Diese wichtige Aufgabe in der Geschichte seines Landes habe er noch nicht erfüllt. GERHARD GNAUCK

Simon Shuster: "Vor den Augen der Welt: Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine". Goldmann, aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karsten Petersen, Thomas Stauder. 528 Seiten, 26 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Das Buch von Shuster ist brillant. Denn es ist mit seinem echten und ambivalenten Helden tatsächlich wie wahrhafte und große Literatur.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Anna Prizkau

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2024

„Hört her, ich bin hier“
„Time“-Korrespondent Simon Shuster war Wolodimir Selenskij näher als jeder andere Journalist. Seine brillante Biografie erzählt vom Umgang
des ukrainischen Präsidenten mit der Macht und erklärt dessen Überzeugungskraft im Krieg gegen den Aggressor.
VON RENATE NIMTZ-KÖSTER
Wie ist er denn so?“ Diese Frage musste sich der Reporter des Time-Magazins, Simon Shuster, nach jeder Recherchereise anhören, die ihn wieder nach Kiew und in die Nähe des ukrainischen Präsidenten geführt hatte. Seine Antworten hätten sich mit der Zeit verändert, ebenso wie der Charakter des Politikers, schreibt Shuster in seiner Biografie des 46-jährigen Wolodimir Selenskij. Shuster, selbst aus russischer Familie, die vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus Moskau in die USA flüchtete, erlebte die Wandlungen des ehemaligen Comedians zum Kriegspräsidenten in dessen innerem Kreis und aus unmittelbarer Nähe mit. Die Biografie ist mitsamt der Chronik des Krieges zur packenden Lektüre geraten.
Bei einer pompösen Show im Frühjahr 2019 hatte der langjährige Korrespondent den Komiker mit politischen Ambitionen kennengelernt. In einem erdrutschartigen Sieg sollte seine Partei „Diener des Volkes“ noch im gleichen Jahr die Wahlen gewinnen. Selenskijs Weg zur Macht gründete damals auf seinem Ruhm als Entertainer. Er sei süchtig nach Applaus und Bewunderung, erzählten seine Freunde dem Journalisten. Im Wahlkampf, so schreibt Shuster, sei der ehemalige Showman ihm noch als naiver Charmeur erschienen, der sich in die Welt von Oligarchen und Zynikern vorwagte. Als er Selenskij im Herbst im Präsidialamt wieder traf, habe der „schon viel von seiner Unschuld eingebüßt“.
Doch die größten Veränderungen vollzogen sich in den ersten Monaten der russischen Invasion in der Ukraine. Das ist der Kern des jüngst erschienenen Buches – das übrigens nicht die erste Biografie ist, es gibt bereits mindestens drei andere. Selenskij verwandelte sich in einen Kriegspräsidenten von einzigartigem Format: hartnäckig, selbstbewusst, resistent gegen Druck, rücksichtslos und vor allem mutig habe er die Widerstandskraft seines Volkes der Welt vorgeführt. Seine Freunde und Mitarbeiter seien anfangs von Selenskijs neuem Ich schockiert gewesen, so Shuster. Der zuvor fröhliche Chef schlug nun harschere Töne an, sein Gang wurde steifer. Die meisten Ukrainer glaubten nicht, dass er das Zeug dazu hätte, sein Land gegen den Aggressor zu behaupten, „ich auch nicht“, gibt der Autor zu.
„Vor den Augen der Welt“: Der Titel der deutschen Ausgabe (mit Bildteil, Register, Anmerkungen und einem zusätzlichen Kapitel zu einer Begegnung mit Olaf Scholz) klingt, verglichen mit dem nüchternen „The Showman“ des amerikanischen Originals, pathetisch. Sein Talent als Kommunikator ist jedoch für die Faszination, die vom Präsidenten des überfallenen Landes ausgehen sollte, ausschlaggebend. Schon als Teenager hatte der Sohn aus jüdischer Akademikerfamilie in seiner Heimatstadt Krywyj Rih auf der Bühne gestanden. In der Stahlwerkerstadt mit schlechtem Ruf studierte Selenskij seinen Eltern zuliebe zwar Jura, aber die populären sowjetischen Shows mit ihren eher groben Witzen blieben seine Leidenschaft. Als Spaßvogel, der das Tun der Politiker aufspießte, wurde der nur knapp 1,70 große Mann mit den funkelnden Augen dann in der unabhängigen Ukraine zum bekanntesten Satiriker. 20 Jahre lang hatte Selenskij das Leben als Show genossen. Seine Ehefrau Olena, die er schon in der Schule kennenlernte, schrieb ihm die Drehbücher für seine TV-Produktionen. Nie hatte er in der Armee gedient.
Seine Erfahrung als Staatsmann betrug bei Kriegsbeginn etwa zwei Jahre und neun Monate. Ein paar russische Bomben, wie sie am Morgen des 24. Februar 2022 auf ukrainische Militärstützpunkte fielen, hätten ausgereicht, das sogenannte „Dreieck“ zu verwüsten: Parlament, Ministerkabinett und Präsidialamt liegen in Kiew eng beieinander. „Es war keine Angst, es war eine Frage“, die sich in den Augen Selenskijs und seines engen Vertrauten und Parlamentsvorsitzenden Ruslan Stefantschuk spiegelte, erzählte später der alte Freund des Präsidenten dem Journalisten: „Wie kann das sein? Es klingt vielleicht schwülstig, aber wir spürten, dass die Weltordnung zusammenbrach.“ In den ersten Stunden des Überfalls jagten sich die Anrufe westlicher Staats- und Regierungschefs. Angesichts der russischen Übermacht war der Ukrainer für viele bereits ein dead man walking (Shuster). Sie boten sich als Vermittler für eine Kapitulation an, sicherten Selenskij und seiner Familie Asyl zu und waren bereit, bei der Einsetzung einer Exilregierung zu helfen. Doch der Präsident hielt stand und übermittelte am 26. Februar im Innenhof des Regierungsviertels seine berühmt gewordene einfache Botschaft: „Hört her, ich bin hier. Niemand wird die Waffen niederlegen. Wir werden unser Land verteidigen.“
Den russischen Bombern am Himmel ausgesetzt hätten sie sich gefühlt, „als stünden wir nackt da“, erinnerte sich einer von Selenskijs Begleitern. Im unterirdischen Bunker, der noch aus Sowjetzeiten das „Dreieck“ untertunnelte und gegen atomare Schläge sicher war, im Eisenbahnabteil oder bei Autofahrten an die Front, wo Selenskij die Nähe zu einfachen Soldaten suchte – Shuster war im ersten Kriegsjahr dem Präsidenten stets auf den Fersen und zu Gesprächen willkommen, wenngleich Selenskij sich über das Projekt einer so frühen Biografie wunderte: „So alt bin ich noch nicht.“
Dem Militär ließ der Präsident, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, zunächst freie Hand. Selenskij beschränkte sich auf das, was er am besten konnte – Massenkommunikation. Mit täglichen Videobotschaften vermittelte er seinem Volk Zuversicht. Mit seinem Waffenwunschzettel drängte er westliche Politiker unermüdlich zu Unterstützung. Bei der Weltbank, in Videoansprachen an die Bürger auf den Plätzen der EU, bei der Verleihung der Grammys – überall warb der Mann im olivgrünen Sweatshirt mit aufgesticktem ukrainischen Dreizack für den Kampf seines Volkes. Geschickt passte er seine offiziellen Reden dem internationalen Publikum an: In den USA verwies er auf die Katastrophen von Pearl Harbor und 9/11, im Bundestag auf den Holocaust und das „Nie wieder“. In Butscha, Ort russischer Gräuel, ließ er Dutzende Delegationen an die Leichengrube führen, Besucher wie die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erlitten einen unvergesslichen Schock.
„Sei nicht zu großzügig mit ihm“, mahnte die Chefredakteurin der kritischen Zeitung Ukrajinska Prawda den Kollegen Shuster. Noch vor dem Krieg hatte Selenskij sich beim Parlamentssprecher und bei Gesetzgebern mit Einschränkungen der Pressefreiheit unbeliebt gemacht. Als „illegal“ kritisierten sie das Verbot dreier Fernsehkanäle, die in der Ukraine Putins Propaganda verbreiteten. „Mit Ärger und Verlegenheit“, so Shuster, habe der Präsident reagiert, als er ihn darauf ansprach und sein Verdikt mit Schutz vor „Gehirnwäsche“ verteidigt.
Mit seinem wachsenden Selbstbewusstsein wuchs im Verlauf des Krieges auch die Kluft zwischen dem Präsidenten und dem allseits bewunderten General Walerij Saluschnyj. Dass Selenskij sich zum Autokraten entwickeln könnte, kann sein Biograf trotz gewahrter Distanz nicht erkennen. Wenn die Rede von den gefallenen und gefolterten Opfern gewesen sei, habe der Präsident stets von Individuen gesprochen, „die Trauer stand ihm ins Gesicht geschrieben“. Übermäßige Verehrung liegt ihm in seiner neuen Rolle fern: Den Entwurf einer Briefmarke zum Unabhängigkeitstag, die ihn in Heldenpose abbildete, wies er schroff zurück: „Es ist jetzt nicht die Zeit für einen Personenkult.“ Auch will der ehemals als Entertainer vom Publikum so abhängige Präsident keine Porträts von sich in Amtsstuben sehen: „Hängt dort lieber die Fotos von euren Kindern auf.“
Auch auf der neunstündigen Rückfahrt vom gerade befreiten, frontnahen Cherson, wo Selenskij sich wieder einmal ohne Schutzhelm und kugelsichere Weste unter das begeisterte Volk gemischt hatte, bot sich Shuster im Eisenbahnwaggon Gelegenheit für ein persönliches Gespräch. Wenigstens auf langen Reisen konnte Selenskij, dessen Lieblingsschriftsteller George Orwell ist, sich Bücher vornehmen, vor allem historische Themen. Für Churchill, dessen Biografie er nach der Invasion gelesen hatte, konnte er keine Bewunderung aufbringen. Umso mehr für Charlie Chaplin: „Weil er während des Zweiten Weltkrieges Information als Waffe einsetzte, um gegen den Faschismus zu kämpfen“, sagte der Präsident: „Es gab solche Menschen, die der Gesellschaft halfen, und oft war ihr Einfluss stärker als Artillerie.“
Am 24. Februar 2022
boten einige Staaten
Selenskij Asyl an
Weltweit auf Werbetour
für Waffen aller Art
im olivgrünen Sweatshirt
Kaum jemand glaubte zu Beginn des Überfalls an ukrainischen Widerstand, auch Simon Shuster nicht. Doch der Präsident veröffentlichte am 26. Februar 2022 in Kiew das berühmt gewordene Video mit den eindrücklichen Worten: „Hört her, ich bin hier. Niemand wird die Waffen niederlegen. Wir werden unser Land verteidigen.“
Foto: Ukrainian Presidential Press Office / dpa
Simon Shuster:
Vor den Augen der Welt.
Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine. Übersetzt von Henning Dedekind, Karsten Petersen und Thomas Stauder. Goldmann-Verlag, München 2024. 528 Seiten, 26 Euro.
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