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Wer war Faridaddin 'Attar, dem 114 Werke, entsprechend der Zahl der Koransuren, zugeschrieben werden? Wer war dieser Dichter, dessen Werke zur klassischen Literatur des Sufismus zählen, der die persische mystische Literatur so nachhaltig beeinflußte? Über sein Leben geben die bisher erschlossenen Quellen wenig preis: Er soll in Nischapur im nordöstlichen Persien geboren und um 1221 ebendort gestorben sein. 'Attars Name zeigt an, daß er Drogist war. Man darf ihn sich vorstellen, wie er denen, die sich als Kunden in seinem Laden einfanden, nicht nur Heilkräuter und Duftstoffe, sondern auch…mehr

Produktbeschreibung
Wer war Faridaddin 'Attar, dem 114 Werke, entsprechend der Zahl der Koransuren, zugeschrieben werden? Wer war dieser Dichter, dessen Werke zur klassischen Literatur des Sufismus zählen, der die persische mystische Literatur so nachhaltig beeinflußte? Über sein Leben geben die bisher erschlossenen Quellen wenig preis: Er soll in Nischapur im nordöstlichen Persien geboren und um 1221 ebendort gestorben sein. 'Attars Name zeigt an, daß er Drogist war. Man darf ihn sich vorstellen, wie er denen, die sich als Kunden in seinem Laden einfanden, nicht nur Heilkräuter und Duftstoffe, sondern auch Geschichten mit auf den Weg gab, die sie erbauen und ihnen den Weg zum höchsten Ziel, zu der im Meer ihrer Seele verborgenen Perle zeigen sollten.

Das 12. Jahrhundert war eine Zeit politischer Unruhe, eine Zeit, die reif war für mystische Literatur von hohem Rang. Obwohl die überlieferte Anzahl von 'Attars Werken als übertrieben angesehen werden muß, war sein literarisches Schaffen äußerst fruchtbar: Mehrere umfangreiche Epen, eine Sammlung von Heiligenbiografien und zwei Lyriksammlungen legen davon Zeugnis ab. Von seinen Epen sind die Vogelgespräche das im Westen bekannteste Werk.

Annemarie Schimmel hat eine repräsentative Auswahl aus den Epen und den lyrischen Werken 'Attars getroffen, die sie hier in eigener Übersetzung vorstellt. In einer ausführlichen Einleitung führt sie in das Werk dieses bedeutenden klassischen persischen Mystikers ein.

Zum Autor/Herausgeber: Annemarie Schimmel, international renommierte Orientalistin, geboren 1922, lehrte zuletzt in Harvard und hat zahlreiche Publikationen zur islamischen Kultur und Geschichte vorgelegt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ulrich Holbein bedauert es sehr, dass bisher kaum Texte Atters in deutscher Sprache erschienen sind. Das vorliegende Buch ist für ihn kaum mehr als ein "Tröpfchen aus dem Gesamtmeer" des äußerst produktiven Autors. Darüber hinaus hat er an der Edition jedoch einiges auszusetzen. So weisen zahlreiche Verweise, wie er anmerkt, auf nicht übersetzte Texte hin und auch die deutsche Übertragung kommt nicht gut weg: "Hausfrauenlyrik" und "altdeutsche Besinnlichkeit" diagnostiziert Holbein hier, die dem Mystiker nicht gerecht werde. Auch Ausdrücke wie `na bravo` oder `arbeitslos` findet er reichlich deplaziert in diesen Texten. Die Namensschreibung unterscheidet sich - ohne Begründung - von Schimmels früherer Schreibweise und von Kindlers Neuem Literatur-Lexikon, so Holbein. Dennoch blitzt seiner Ansicht nach unter den "gutgemeinten Schimmel-Versen" die Qualität der Dichtung durch, was allein diese Ausgabe schon lohnend mache. Die Texte scheinen ihn in ihrer Drastik teilweise zu überraschen: Dagegen wirken "Salman Rushdies Vergehen harmlos", so Holbein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2000

Der Schlingenbeschwörer
Weshalb Fariduddin Attar seine Übersetzerin stolpern läßt

In den Noten zu Goethes "Westöstlichen Divan" wird Fariduddin Attar, der oft im Schatten von Hafis, Nizami, Firdusi, Dschelaleddin Rumi stand, kaum gestreift. Sein Werk sah er als derart mustergültig, umfassend, daß es nach ihm, wie er glaubte, keine Dichter und Denker mehr zu geben brauchte. Hegel-Effekt? Endspiel-Syndrom? Jeder Spätere würde nur verwässern können, und tatsächlich könnte Dante (zwei Generationen nach Attars Tod geboren und zwanzigmal ins Deutsche übersetzt) neben Attar (nur spärlich hierzulande greifbar) durchaus schmalspurig erscheinen, zumal Dantes Themenradius beziehungsweise Weltsphärensystem (obwohl Mohammed in dessen Hölle landete) großteils aus muselmanischen Quellen gespeist worden sein soll. Nie wieder wurde nach (und vor) Attar ein Dichter 106 Jahre alt, allenfalls 102. Obendrein starb der Zeitgenosse des Dschingis-Khan und der Stauferkönige nicht an Altersschwäche, sondern im Mongolensturm. Man schrieb ihm 114 Werke zu (Balzac schaffte nur 97). Deutsch liegt auf englisch-französischen Umwegen einzig seine von Borges hochgerühmte und von Hadayatullah Hübsch als Hörspiel bearbeitete "Konferenz der Vögel" vor.

666 Hodscha-Nasreddin-Anekdoten reichen dem subtileren und tieferen Attar nur teilweise an Reling und Turban, liegen aber dafür vorbildlich komplett ediert vor (seit 1997 bei Beck), ebenso der Geschichtensammler Pu Sung-ling (im Verlag Die Waage), desgleichen Attars ebenso paradoxvernarrter Seelenbruder Zhuangzi alias Dschuang Dsi (1998 im Wolfgang Krüger Verlag) - einzig Attar selbst findet nur häppchenweise Familienanschluß auf deutsch. Seine stoffreichen Sufi-Viten ("Tadhkirat al-auliya") stellen 97 damalige Mystiker vor Augen, in tausend Episoden und Lehrsprüchen - wann wagt ein Verlag eine Übersetzung dieser überbunt hochlebendigen Hauptquelle der Sufi-Bewegung zwischen 700 und 1100, dieses persischen Diogenes Laertios (aus dem lediglich die Annemarie-Schimmel-Schülerin Gisela Wendt 1984 schmale Beispiele ins Deutsche übersetzte)?

Auch die neue Schimmel-Auswahl bringt wieder nur ein Tröpfchen aus dem Gesamtmeer, einen Bruchteil der Textmasse, die der Orientalist Hellmut Ritter in seinem vergriffenen Lebenswerk "Das Meer der Seele" dargeboten hatte. Sie erzählt kursiv drei Attar-Versepen nach, vor allem die prominente Pilgerfahrt der Seelenvögel - unter Leitung des Wiedehopf-Gurus Hudhud - zum Übervogel Simurgh, und blendet in die ausführlichen Inhaltsangaben, die von Verweisen auf durchnumerierte, nicht übersetzte, also unzugängliche Binnenerzählungen wimmeln, ab und zu ein, zwei Seiten übersetzte Kostproben ein. Zwischen jede der drei Darstellungen wird fernsehmagazinartig ein Kapitel "Aus dem Divan" gecuttet, mit Reimgedichten voll von: "der Schatz im tiefsten Grunde", "Schönheit ohne Fehle", "holde Bilder", "vieler Farben Pracht" - solche Hausfrauenlyrik und blassen Schwulst, wie er sich bei Hellmut Ritter nirgendwo findet, soll ein bedeutender Mystiker des zwölften Jahrhunderts gedichtet haben? -, "die Perle zu empfah'n", "o Herr, Dein ew'ges Licht", "geziemt dem Herzen", "Herzblut trinken", "blut'ge Tränen", "trägt's Veilchen Deines Klosters Ordenskleid" - so verdünnt sich das Meer der Seele zu Weihwasser.

Sandsturmdurchwehter Orient wird zum Hausschatz und Blumenflor altdeutscher Besinnlichkeit, schier zu Marienlyrik, an deren geistlichem O-Seele-Aufgebot aus Gnade, Güte, Gottesglanz, Juwelenschmuck, Erbarmen, der Liebe Huld und Weh hierzuland kaum eine verspätete Kirchgängerin mehr sich aufzuwärmen vermag. Sollen so die letzten frömmelnden Fossilien, die angstvoll DVU wählend die Moscheen aus dem Ruhrpott aufsteigen sehen, die spirituelle Einheit von Christentum und Sufismus zu spüren bekommen, süßen Brei, nach dem Goethe-Motto: "Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen"?

Reim ohne Zeit

In Schimmels gereimter Zeitlosigkeit - "sichtbar" auf "lichtklar", vor allem aber "Herz" auf "Schmerz" - sieht Fariduddin Attar auf einmal alt aus. Vor siebenhundert Jahren klang er garantiert unverstaubter, nämlich noch lange nicht nach Gertrud von le Forts "Hymnen an die Kirche" von 1924, wenn nicht gar (kaum noch konfirmationskompatibel) nach Paul-Gerhardt-Erbauungslyrik von 1656 - und dies 1999! Worte wie Bagdad und Basra, die in aktuellen Golfkriegen weiterhin nach unerreichbarem Harun al Raschid klingen wollen, machen jedes Nachdichten zur Gratwanderung.

In den bejahrten Duktus schleichen sich Aktualismen, wie "na bravo", "die Basis für den Glauben" oder auch: "Abu Sa'id war tief, ach, deprimiert" und: "Was sitzt du hier so arbeitslos herum?" Schimmel-Verse wie "Die Liebe paßt nicht in normalen Ausdruck", "der Inhalt der verborgenen Mysterien" oder auch "hundert Welten des Universalen Intellekts" ähneln, statt Attar, eher Shri Aurobindos englisch verfaßter "Savitri" auf deutsch.

Der wehrlose umgepolte Fariduddin Attar (den Annemarie Schimmel im Gegensatz zu ihren früheren Büchern neuerdings ohne Erläuterung Faridaddin schreibt und der in Kindlers Neuem Literaturlexikon Farid o'd-Din geschrieben wird) ruft zu seinen Gunsten nach weiheloserer Übersetzung, nach einem Schuß Martin-Buber-Genesis, Rudolf-Borchardt-Dante und Paul-Zech-Villon, wenn nicht gar nach Klaus-Kinski-Diktion und Raoul Schrotts apokrypher Urpoesie. Wie Attar damals stets daran litt, daß zwischen Gott und ihn ein Schleier namens Ich sich schob, so versucht er nun den anämisch gutgemeinten Schimmel-Versen durch die Zeilen zu schimmern, vor allem außerhalb seines Divans, und siehe: Alle Attar-Lieblingsgleichnisse arbeiten sich unter ihrer Überdehnung durch Schimmelsche, von Rückert übernommene Reim- und Rhythmusnot ("arab'sches Roß") halbwegs unbeschadet hervor und hinauf ins Sufi-Licht der Kerzenflamme, in das der Falter dringend stürzen möchte: das immer wieder variierte Motiv vom Tropfen, der ins Meer, das ihn aussperrte, zurückwill, oder vom Insekt (Schimmel übersetzt "Mücklein", Ritter "Wanze"), das eine unendliche Platane belästigt. Der Baum aber hat gar nicht gemerkt, daß die Mückenwanze gekommen - und gegangen ist.

Über Annemarie Schimmels Kommentare und Reflexionen wie "Das Leben erscheint als ewiges Recycling der Materie" rauscht Attar hinweg mit einer Geschichte vom Mann, der von (einem als schamanistisch verstandenen) Jesus das Zauberwort zur Wiederbeseelung ausgebleichter Knochen erbittet, woraufhin er tatsächlich einen toten Löwen auferstehen lassen darf, der nun den frevelhaft zaubernden Erwecker frißt und anstelle des eigenen Skeletts die Knochen ebendieses Frevlers in der Wüste zurückläßt.

Der Krug geht solange zum Berge

Und schon wächst Attar hinaus übers Nadelöhr seiner Dolmetscherin, ohne deren Verdienste er noch viel unbekannter in seinem Mittelalter steckengeblieben wäre, hinaus über den Fabelsammler Äsop, hinaus über die Überfülle ulkiger Parabeln - "Der Mörder im Paradies", "Der Derwisch, der eine Sintflut wünschte", "Satan rühmt sich seines Leidens", "Moses und das Schwein", "Jesus und der Schlangenbeschwörer". Attar beschämt die hartkantige, wüstengegerbte islamische Machogesellschaft mit Softieallüren, Homosensualität, vegetarischen Anwandlungen, franziskanisch-buddhistischer Tierliebe, kümmert sich rührend wie Ali um versehentlich verletzte Ameisen, sympathisiert mit dem Palmstumpf, der sich nach der Hand des Propheten sehnt, weil dieser sich beim Predigen zeitweise auf den nun verwaisten, schmachtenden Stumpf aufzustützen pflegte, tradiert vor allem auch (zum Beispiel in "Der Eremit, der Gott bedrohte") blasphemische Äußerungen und Taten ausgeflippter Derwische, neben denen Salman Rushdies Vergehen harmlos wirken.

Und er baut sich aus dem Riesenteppich kauziger Anekdoten ein Sprungbrett zum "Musibatnama", dem "Buch der Plagen" (Ritter), dem "Buch der Not" (Wendt), dem "Buch des Leids" (Kindler), dem "Buch der Heimsuchung" (Schimmel). Allwo die Seele die komplette Schöpfung abgrast und überall nur marastische Sehnsucht und Gottesferne vorfindet, vergrößert zum kosmischen Tränenkrug, bis dorthin, wo Berge an ihrem harten Kern leiden, das Meer - von Fischen beweint - am Durst vergeht und die Sonne ihres monotonen Kreisens überdrüssig wurde und ihres Schwimmens im Herzblut aus Morgen- und Abendrot. "Auch das ,Musibatnama' würde eine vollständige, stark kommentierte Übersetzung verdienen" (Schimmel). Sogar der eher neuzeitliche Schock, sich einsam im Weltall vorzufinden, wird von Attar besungen: Die Mondnacht, durch die Bayazid al Bistami, der König der Mystiker, einer der 97 Sufis, schaudernd schreitet, ist leer, und als Bayazid sich darob verwundert, bekommt er von Hellmut Ritters Allah die Antwort: "O du verwirrter! Es gehört zur majestät dieses hofes, dass die bettler Unserer tür ferne bleiben. Wenn die wohnung Unserer majestät ihr licht ausgiesst, dann weist sie die gleichgültigen schläfer fort." Schimmels Allah antwortet an der entsprechenden Stelle: "Du, der verwirrt genaht - / der Fürst zeigt doch nicht jedem hier den Pfad! / Des Tores Glorie erfordert ja: / Kein Bettler komme diesem Tore nah! / Denn Meiner Glorie Heiligtum strahlt licht, / erlaubt träg' Schlummernden den Eintritt nicht." Also darf nicht jedes Tröpfchen, sosehr es den Ozean enthält, zurück in den Ozean.

Ständig steht das stets wieder umsonst abgeworfene Ich im Weg, dessen einzige und unlösbare Aufgabe in seiner Münchhausenschen Selbstbeseitigung besteht: Kaum bin ich bei Gott, bin ich kein Ich mehr und also auch wohl kaum bei Gott, der seinerseits laut Attar ein unbekannter Schatz war und, um bekannt zu werden, die Welt schuf, also das unzureichende Ich und seine Verengtheit, neben der Gott zwangsläufig als wunderbar unbegrenzt erscheinen muß. Unendlicher Geist erhält durch seine Emanation als Allah eine Brechung, Sufigeist erhält durch 97 Sufis 97 weitere Brechungen, Eingrenzungen, Abwandlungen, zum Beispiel durch Fariduddin Attar, der sich wiederum im Prisma von Annemarie Schimmel bricht, die wiederum von dieser Rezension gebrochen wird. Unendlicher Geist erscheint derart um so unendlicher und ungebrochener. Ehe Attar und Schimmel mystisch verschmelzen in Versen, die ungeteilt von beiden stammen: "Trink sieben Meere aus und, ausgetrocknet, / stirb dann vor Sehnsucht nach noch einem Tropfen!"

Zumal Attar nicht nur als Weltgeist und Weltmeer schwebt, das von Schimmel tropfenweise gesplittet, aufbereitet und vorgeführt wird. Er selber hat schimmelartig didaktische Neigungen, verunziert seine schönsten, für sich sprechenden Parabeln regelmäßig mit angehängten Erklärungen und Zeigefingern. Matnawi, Attars Lieblingsgattung, heißt: Lehr-Epos.

ULRICH HOLBEIN

Attar: "Vogelgespräche und andere klassische Texte". Vorgestellt von Annemarie Schimmel. Verlag C. H. Beck, München 1999. 355 S., geb., 48,- DM.

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