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Produktdetails
  • Verlag: Propyläen
  • Seitenzahl: 248
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 414g
  • ISBN-13: 9783549057773
  • ISBN-10: 3549057776
  • Artikelnr.: 24001902
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.1999

Smoking in russischer Kulisse
Vladimir Nabokov verbrachte "Blaue Abende" in Berlin

Auch er, Vladimir Nabokov, war ein Berliner, aber ein widerwilliger und arroganter: Die Farbenspiele des Abends in den Straßen interessierten ihn mehr als die wenigen deutschen Mitbürger, die er zur Kenntnis nahm. Er kam aus einer prominenten Familie des Landadels. Eine frühe Fotografie zeigt den verwöhnten und lässigen Zwölfjährigen in einem eleganten Matrosenanzug, der Thomas Mann entzückt hätte. Obgleich er mit seinen Eltern und Geschwistern Rußland eben in dem Augenblick verlassen mußte, da die Roten Sewastopol erobert hatten, führte ihn sein Weg nur auf Umwegen nach Berlin - seine Mama verkaufte ein Perlencollier, er studierte Französisch und Russisch in Cambridge und traf dann, im Blazer und als professioneller Tennisspieler und Boxer, in Berlin ein, wo damals mehr als 350 000 russische Flüchtlinge lebten. Er kam im Sommer 1923 in Berlin an und reiste erst nach fünfzehn Jahren weiter, einige Jahre nach Hitlers Machtübernahme.

Seine Biographen, die russischen, amerikanischen und deutschen, stehen alle vor der Frage, warum er so lange blieb. Er wollte ja gar nicht nach Berlin, mußte es aber, um seiner Mutter und den Geschwistern als ältester Sohn zu Hilfe zu eilen, denn sein Vater, liberaler Politiker und ehemaliger Kabinettschef Krenskis, war in den Berliner Philharmoniesälen einem politischen Attentat zum Opfer gefallen. Vladimir richtete sich in Berlin ein, heiratete die elegante und sprachkundige Vera Slonim aus einer patrizisch-jüdischen Familie, und zehn Jahre später war er glücklicher Vater, der seinen Sohn Dmitri im Kinderwagen durch die Wilmersdorfer Parkanlagen schob.

Thomas Urbans biographische Studie "Vladimir Nabokov - Blaue Abende in Berlin" hat es nicht einfach, denn die Literatur über den (später) russischen Amerikaner, der gerade vor hundert Jahren zur Welt kam, ist eben wie im Sprunge gewachsen. In seinen Memoiren spricht Nabokov eigentlich ironisch von den "blauen Abenden", indem er sich an seine unreifen Reime erinnert, Gedichte über den "blühenden Kastanienbaum", den "Mandarinenschimmer frühreifer Ladenbeleuchtungen". Er war ein Ästhet, und in seiner frühen Prosa "Stadtführer Berlin" (publiziert 1925) fehlt es nicht an Lichtreflexen und rhythmischen Klängen; selbst die leeren Bierflaschen sind "smaragdgrün".

Aber die schönen Dinge sind eines, die schäbigen Menschen ein anderes, und Thomas Urban belegt deutlich, daß der Snob Nabokov die Berliner unerträglich fand, vor allem wenn sie sich in Massen durch den Grunewald bewegten und dort in ihrer plebejischen Unterwäsche im Sande lagen. Karl Schlögel hat in seinem Buch über Berlin als "Ostbahnhof Europas" entdeckt, daß Vladimirs mondäner Cousin Nikolai, der sich auch in Berlin umtat, den Grandseigneur Harry Graf Kessler bewunderte, und es ist schade, daß Vladimir und der Graf einander nicht über den Weg liefen.

Der Auslandskorrespondent Thomas Urban, der sich auf die Ergebnisse Brian Boyds und Dieter E. Zimmers stützt, hat in Moskauer Archiven und Berliner Sammlungen selbständig nachgeforscht, und seine besondere Stärke liegt im Politischen und Topographischen; sein Glaube, daß historische und biographische Fakten im literarischen Text ihren "Niederschlag" oder eine "Widerspiegelung" finden, steht einer ästhetischen Analyse ein wenig im Wege.

Die Nabokovs hielten es nie lange in einem Zimmer aus, zogen von Wirtin zu Wirtin, und selbst als sie daran dachten, ein kleines Grundstück in Königs Wusterhausen zu erwerben, fehlte bald das Geld für die Raten; so begann ihre unstete Wanderschaft von Untermiete zu Untermiete von neuem. Urban hat das alles getreulich identifiziert, auch die im Kriege zerstörten Häuser oder den poetischen Hinterhof, wo das berühmte russische Kabarett "Der blaue Vogel" spielte. Es ist wenig bekannt, daß der junge Nabokov mit seinem englischen Smoking den Ehrgeiz hatte, in den Filmateliers von Babelsberg zu arbeiten, aber er mußte sich mit Auftritten als Statist Tag für Tag begnügen. Seine Filminteressen haben jedenfalls eine lange Vorgeschichte.

Russki Berlin, zwischen Nollendorf- und Wittenbergplatz, war eine Welt für sich: politische Flüchtlinge, jüdische Kaufleute, Sowjetagenten, zaristische Antisemiten. Nabokov lebte ganz in dieser Welt, und das mag auch erklären, warum er so lange in Berlin ausharrte. Er sagte selber, er sei immer "träge" gewesen und seine Vera auch, aber das stimmt nicht ganz, denn beide mußten eifrig arbeiten, um sich über Wasser zu halten. Er schrieb seine russischen Romane und gab Privatstunden, und sie arbeitete jahrelang als Sekretärin, später auch bei kleinen Privatfirmen, die es mit den Rassengesetzen nicht so genau nahmen. Die Frage ist dennoch, was sie vom Naziterror sahen und wußten, vom Reichstagsbrand, von den Bücherverbrennungen und der Flucht der Schriftsteller. Nabokov fragte sich selbst einmal, ob die Berliner russische Exilwelt nicht in einem "absoluten Vakuum" geschäftig war. Zuletzt war es doch ein Eingriff der Gestapo, welcher die Nabokovs mit ihren dürftigen Nansenpässen davon überzeugte, daß es an der Zeit sei, die Stadt zu verlassen. Die Gestapo beauftragte zwei ehemalige zaristische Offiziere namens Pjotr Schabelski-Bork und Sergej Taboritzki damit, die Berliner Russen zu überwachen. Es waren ebenjene Attentäter, deren Revolverschüsse Nabokovs Vater getötet hatten. Nabokov reiste im Jahre 1937, Vera und Dmitri warteten auf ihn schon in Marienbad, und von dort ging es weiter nach Paris und Amerika. Als alter Mann soll Nabokov daran gedacht haben, wie Urban betont, noch einmal nach Berlin zu fahren, aber es kam nicht mehr dazu. Sein Vater liegt auf dem Friedhof Berlin-Tegel begraben.

PETER DEMETZ.

Thomas Urban: "Vladimir Nabokov - Blaue Abende in Berlin". Propyläen Verlag, Berlin 1999. 248 S., geb., 38,- DM.

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